„Wir können den Leuten nicht mehr gerecht werden!“ – Bündnis für Pflege demonstriert für bessere Arbeitsbedingungen
23. November 2021 - 09:59 Uhr
Die Corona-Pandemie geht in ihre vierte Welle, die schlimmer zu werden droht, als die bisherigen. Wenig ist passiert seit vergangenem Jahr, als mit dem Ausbruch der Pandemie kurzzeitig fleißig von den Balkonen für Gesundheitspersonal und Pflegekräfte geklatscht wurde. Leider ist festzustellen, dass sich seitdem die Lage in einzelnen medizinischen Bereichen erheblich verschlechtert hat: auch in der Pflege. Auf diesen Umstand wollte das Pflegebündnis Dresden am vergangenen Donnerstag mit einer Kundgebung vor der Frauenkirche aufmerksam machen. Außerdem berichten Dresdner Pflegekräfte in einer veröffentlichten Dokumentation über ihren Arbeitsalltag.
„Wir wollen sowohl die extrem schwierigen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten als auch die darunter leidende Qualität der Pflege kritisch darstellen“, erklärte die Sprecherin des Bündnis für Pflege, Dorit Hollasky, anlässlich der Kundgebung zum Tag der Altenpflege gegenüber addn.me. Rund 40 Personen hatten sich vor der Frauenkirche versammelt, um ihren Protest zum Ausdruck zu bringen und gemeinsam die vom Bündnis produzierte Dokumentation zu sehen.
Laut des Bündnisses, habe sich die Situation seit dem Ausbruch der Pandemie erheblich verschlechtert. In einer Zeit, wo die Pflegearbeiten besonders aufwändig und intensiv seien, entscheiden sich immer mehr Pflegekräfte dazu, den Beruf zu wechseln. Die schlichtweg nicht mehr aushaltbare Belastung sei der Grund dafür, so Hollasky. Bereits 62 Prozent der Pflegekräfte arbeiteten mittlerweile in Teilzeit. Laut einer Studie der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bräuchte es eine Personalaufstockung von 36 Prozent, um eine angemessene Pflege zu gewährleisten.
Kritisch sieht das Bündnis darüber hinaus die voranschreitende Privatisierung von Pflegeberufen. Mittlerweile sind 43 Prozent aller stationären Angebote in privater Hand. Im ambulanten Bereich werden sogar zwei Drittel der Dienste privat betrieben. „Deshalb gelten für große Teile der Beschäftigten keine oder Dumping-Tarifverträge. Ihre Bezahlung ist wesentlich geringer, die Arbeitsbedingungen sind spürbar schlechter. Oft verdienen examinierte Altenpfleger:innen kaum mehr als 2.000 Euro brutto pro Monat – in Vollzeit!“, fasste ver.di-Aktivist Enrico Sinkwitz die besorgniserregende Entwicklung zusammen.
Auf der Kundgebung forderte das Bündnis für Pflege Dresden deshalb eine angemessene Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen. Diese dürften jedoch nicht auf Kosten der zu Pflegenden und deren Angehörigen gehen. Schon jetzt sei die Pflegeversicherung chronisch unterversorgt, weshalb der Eigenanteil für Klient:innen rasant steige. Viele seien auf zusätzliche Sozialhilfe angewiesen. Pflegebedürftigkeit dürfe nicht arm machen, erklärte das Bündnis gegenüber addn.me.
Altenpflegefachkraft Christin Baksai konstatierte: „Um diese Situation zu beenden, braucht eseinen Systemwechsel. Die Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wettbewerb und private Betreiber haben hier nichts zu suchen“. Dafür, so Baksai weiter, brauche es eine „verbindliche, bedarfsgerechte Personalbemessung, gute Bezahlung, gute Ausbildung und Qualifizierung und vor allem eine auskömmliche Finanzierung der Pflege“.
Der allgemein schon von Stress, wenig Zeit für Klient:innen und Durchrationalisierung geprägte Arbeitsalltag von Pflegekräften dürfte durch die Ausnahmeregelungen in der Sächsischen Arbeitsverordnung (SächsAZVO) noch verschärft werden. Mit der Änderung ist die gesetzliche Arbeitszeitbegrenzung auf maximal 12 Stunden pro Tag befristet ausgesetzt. Als nicht nachvollziehbar kritisierte ver.di-Landesbezirksleiter Oliver Greie am vergangenen Samstag die Verlängerung dieser Regelung: „Die Beschäftigten in den Kranken- und Pflegeeinrichtungen arbeiten am Anschlag, personelle Engpässe können nicht mehr kompensiert werden“.
Veröffentlicht am 23. November 2021 um 09:59 Uhr von Redaktion in Soziales