Soziales

„Wenn du nicht mal die Krümel bekommst“ – Ausstellung zu Obdachlosigkeit und Housing First

20. März 2022 - 20:26 Uhr - 2 Ergänzungen

Am 1. Dezember 2021 beschlossen die Sozialminister:innen der Bundesländer fast einstimmig, Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 zu beenden. Zuvor hatte das Europaparlament und die deutsche Ampel-Koalition gleichlautende Beschlüsse gefasst. Bereits 2015 hatte die damalige Bundesregierung der „Agenda 2030“ der Vereinten Nationen zugestimmt, nach der alle Menschen Zugang zu angemessenen, sicheren und bezahlbaren Wohnungen haben sollen. Seitdem ist eher das Gegenteil zu beobachten. Die verfehlte Wohnungs- und Mietenpolitik hat für eine stete Zunahme von obdachlosen Menschen gesorgt.

Bei der Überwindung der Obdachlosigkeit setzen die Sozialminister:innen überwiegend auf das Konzept Housing First. Dabei handelt es sich um eine in der US-amerikanischen Sozialpolitik entwickelte Alternative zum herkömmlichen System von Notunterkünften und vorübergehender Unterbringung. Zielgruppe von Housing First sind vor allem langjährig wohnungslose Menschen mit komplexen psychischen Problemen und Suchterkrankungen. Im Unterschied zu herkömmlichen Programmen müssen sich obdachlose Menschen nicht verschiedene Unterbringungsformen wie Nachtcafés und Übergangswohnheime „durchlaufen“, um sich für eine dauerhafte Wohnung zu „qualifizieren“: Housing First bedeutet, dass sie direkt in eine Wohnung ziehen können. Der Ansatz basiert auf der Erkenntnis, dass eine  dauerhafte Unterkunft Sicherheit und Stabilität bietet, welche die Menschen als Grundlage zur Problembewältigung brauchen. Housing First kommt seit den 1990er Jahren in den USA und seit 2013 in zahlreichen Städten in Europa zur Anwendung und weist Erfolgsquoten von über 80% auf . Der schnelle Zugang zu einer dauerhaften Unterkunft wird kombiniert mit mobilen Unterstützungsangeboten, welche die Menschen in ihrer Wohnung aufsuchen. Die Inanspruchnahme ist freiwillig. Eine Abstinenz von Alkohol oder anderen Substanzen ist keine Voraussetzung.

Auch die Landeshauptstadt Dresden hat ein Housing First Konzept erarbeitet . Aktuell befindet es sich in der Erprobungsphase. Die BettelLobby Dresden kritisiert die hiesige Ausgestaltung des Housing First und hat ihre Kritik am 19. März mit einer Ausstellung: „Wenn du nicht mal die Krümel bekommst“ im Hof des Kraftwerk Mitte öffentlich gemacht.

Die BettelLobby bemängelt, dass es sich faktisch nicht um ein Housing First Konzept handele. Denn die Projektskizze weise eine ganze Reihe von Ausschlusskriterien auf. So seien Menschen, die nicht allein leben, etwa Paare oder Familien, ausgeschlossen. Ebenso ausgeschlossen sind Menschen aus dem europäischen Ausland, die keine Unterstützung nach dem Sozialgesetzbuch erhalten. Auch Menschen mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen oder akuten Suchtproblemen können nach dem Dresdner „Housing First“-Konzept keine Wohnung erhalten. Damit werde das Grundprinzip von Housing First, nämlich die Unterbringung eben nicht an Vorbedingungen zu knüpfen, ad absurdum geführt. „Die Landeshauptstadt hat sichergestellt, dass diejenigen, denen der Housing First Ansatz am meisten helfen könnte, auf gar keinen Fall Zugang zu ihm erhalten können.“ so die BettelLobby gegenüber addn.

Auch dass die Stadt Dresden Housing First zusammen mit der Vonovia durchführt, findet die BettelLobby problematisch. „Viele Wohnungslose die wir kennen sind ehemalige Mieter:innen der Vonovia. Sie haben dort oft Mietschulden und würden aufgrund der miesen Erfahrungen, die sie mit der Vonovia gemacht haben, nie wieder in eine Vonovia Wohnung ziehen.“ so die BettelLobby gegenüber addn. In Leipzig hingegen erfolge die Zusammenarbeit mit einer kommunalen Wohnungsgesellschaft. Mit der WiD gibt es seit 2017 zwar wieder eine städtische Wohnungsgesellschaft in Dresden, aber einen umfangreichen Wohnungsbestand kann sie noch nicht aufweisen – vielmehr ist sie noch im Wiederaufbau begriffen. Wieder einmal zeigt sich, wie weitreichend die Konsequenzen des Verkaufs der WOBA GmbH im Jahr 2006 sind. Die Landeshauptstadt ist bei der Umsetzung aller Pläne von der Gnade des vielfach in der Kritik stehenden Immobilienkonzerns Vonovia SE und anderer Vermieter:innen abhängig.

Nach den Bedürfnissen von Obdachlosen wird in der Regel nicht gefragt. Daher hat dies die BettelLobby getan und Interviews mit Obdachlosen in Dresden geführt. Ihre Antworten auf Fragen danach, wie sie im Moment leben, wie lange sie schon obdachlos sind, von wem sie Unterstützung bekommen, wie sie wohnen wollen und mit wem – waren ebenso Gegenstand der Ausstellung.

Die BettelLobby Dresden setzt sich sich für die Belange von Obdachlosen, Schnorrer:innen und Bettelnden ein. Ihre politischen Forderungen entstehen in Rückkoppellung mit Obdachlosen und Mitarbeiter:innen aus der Sozialen Arbeit. Sie begleitet kritisch die Stadtpolitik, organisiert konkrete Hilfe und Austausch. Neben der Kritik an armenfeindlicher Politik thematisiert sie auch Rassismus und Ausschlüsse gegenüber EU-Bürger:innen. Entstanden war die BettelLobby im Jahr 2017, um in die öffentlich geführte Debatte über ein geplantes Bettelverbot zu intervenieren.


Veröffentlicht am 20. März 2022 um 20:26 Uhr von Redaktion in Soziales

Ergänzungen

  • Sche………vonovia Menschen locken mit niedriger Miete ein Jahr später neben Kosten Abrechnung der Wahnsinn mit mieteerhöhung richtig zum kotzen. Nie wieder vonovia.. meiner Meinung nach

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