Solidarische Genossenschaft für Dresden gegründet
12. August 2020 - 18:10 Uhr
Seit einigen Jahren steigen die Mieten in Dresden rasant. Mieter*innen müssen einen immer größeren Teil ihres Einkommens für die Miete aufwenden oder gar aus ihrem Viertel wegziehen und ihre Nachbarschaft verlieren. Jetzt hat sich mit der „Wohnen Gestalten Dresden“ (WoGe) eine solidarische Alternative gegründet. Wir haben ein Interview mit den Aktivist:innen geführt.
Hallo, stellt euch doch bitte kurz vor: Wer seid ihr und warum engagiert ihr euch bei der Genossenschaft „Wohnen Gestalten Dresden“ (WoGe)?
Hannes:
Ich bin im Aufsichtsrat der Genossenschaft und seit Beginn der Initiative mit dabei. Davor war ich in verschiedenen stadtpolitischen Gruppen aktiv. Die Gründung einer solidarischen Genossenschaft, wie sie es in anderen Städten schon gibt (z.B. SoWo eG in Leipzig) ist meines Erachtens nach ein wichtiger Schritt, um Alternativen zum Ausverkauf der Stadt aufzuzeigen. Wir wollen Teil einer Stadt für alle sein, eine Voraussetzung dazu ist bezahlbarer Wohnraum. Dabei ist es wichtig, dass es verschiedene Initiativen/Akteure wie z.B. das Mietshäuser Syndikat (MHS), die WoGe Dresden oder aber auch die kommunale Wohnungsbaugesellschaft WID gibt, die unterschiedliche Gruppen abholen können.
Tine:
Bei der WoGe Dresden bin ich dabei, seit sich die Gruppe trifft. Mich treibt der Wunsch an, dass es in Dresden auf lokaler Ebene eine weitere Möglichkeit gibt, Häuser gemeinschaftlich der Immobilienspekulation zu entziehen, um möglichst selbstverwaltet und miteinander zu bewohnen. Mit dem Rahmen der Dachgenossenschaft glaube ich, dass es Haus um Haus einfacher wird, diesen Weg zu gehen und der genossenschaftliche Gedanke für viele verschiedene Menschen ein guter ist. Momentan wohne ich selbst mit günstiger Miete in einem wunderbaren unsanierten Haus, das ist jedoch leider endlich und es wäre schön, künftig eine sichere Miete zu haben, nicht jede noch so unsinnige Vorschrift der Eigentümerin erfüllen zu müssen und vor allem mit den Nachbar:innen gemeinsam das Wohnen, über den eigenen Hof hinaus zu gestalten. Ich glaube, ähnliche Wünsche haben viele Leute in der Stadt…
Stefan:
Ich bin Mitbegründer einer Hausprojektgruppe — derzeit noch ohne Haus. Vor nunmehr drei Jahren haben wir den Entschluss gefasst, dass wir kein privates Eigentum schaffen wollen. Im Zuge dessen haben wir uns mit dem Mietshäusersyndikat befasst und sind dann auch mit der WoGe zusammengekommen. Vom Grundgedanken her unterscheidet sich die WoGe Dresden gar nicht so doll vom MHS. Wir entschieden uns aber für die WoGe Dresden, weil wir dadurch einerseits weniger organisatorischen Aufwand befürchteten (kein Hausverein und Haus-GmbH) und andererseits — viel wichtiger noch — uns einer lokalen Gruppe hochmotivierter Menschen angeschlossen haben, um in Dresden ein Zeichen zu setzen.
Was ist eine Wohnungsgenossenschaft? Was macht ihr als solche?
WoGe steht für Wohnen Gestalten. Streng genommen sind wir eine DACH-Wohnungsgenossenschaft. Die WoGe Dresden eG i.G. will Häuser gemeinsam mit den darin wohnenden Mieter:innen kaufen oder mit Hausgruppen neu bauen. Die WoGe Dresden bietet ein gemeinsames Dach – einen organisatorischen und rechtlichen Rahmen – für individuelle Wohnprojekte. Damit schafft die WoGe Dresden kollektives Eigentum und fördert Selbstorganisation und Selbstverwaltung. Da die Häuser nicht wieder verkauft werden, entzieht die WoGe Dresden Häuser und Grundstücke dauerhaft dem spekulativen Immobilienmarkt.
Habt ihr bereits konkrete Wohnobjekte?
Ja und nein. Wir arbeiten gerade daran, die ersten Projekte zu verwirklichen. Dazu sind wir in Gesprächen mit Hausgruppen. Zum Beispiel haben wir uns mit einer Hausgruppe mit einem wirklich spannenden Konzept auf eine Ausschreibung der Stadt Dresden beworben.
Wie kommt ihr an Häuser? Oder wie kommt man mit euch an ein Haus? Wie würde ein Weg mit euch gemeinsam aussehen?
Jetzt am Anfang sind es die einzelnen Hausgruppen, die entweder schon ein Haus mitbringen oder noch auf der Suche sind. Wir unterstützen dabei mit unserem KnowHow, unserem Netzwerk und stellen die organisatorische Struktur. Ein möglicher Weg sieht wie folgt aus:
- Eine Hausgruppe nimmt Kontakt mit uns auf.
- Üblicherweise treffen wir uns zu einem Erstgespräch. Hierbei erläutern wir den Aufbau der Genossenschaft und dessen Organisation sowie insbesondere die Rolle der Hausgruppe in der Genossenschaft.
- Anhand des zu erwartenden Kaufpreises und der möglicherweise notwendigen Sanierungsmaßnahmen bzw. Baukosten entwickeln wir gemeinsam mit der Hausgruppe ein Finanzierungskonzept, anhand dessen das benötigte Eigenkapital und auch die zukünftigen Mietkosten abgeschätzt werden können.
- Wenn sich dann die Hausgruppe für Kauf oder Bau mit der WoGe entscheidet, die Finanzierung für die Hausgruppe realisierbar ist UND die:der Eigentümer:in verkaufen möchte, wird die WoGe Eigentümerin des Hauses/Grundstücks und die Bewohner:innen werden Mieter:innen. Dies kann entweder über einen Vertrag für das gesamte Haus oder Verträge pro Wohnung realisiert werden, abhängig vom Wunsch nach Selbstverwaltung der Hausgruppe.
- Über die Mieten werden die Kosten aus Kauf/Bau/Sanierung sowie eine Rücklage für das Haus und ein Beitrag zum Solidarfonds der Genossenschaft gedeckt.
Ihr betont, dass ihr eine solidarische Genossenschaft seid. Was versteht ihr darunter?
Die Mieter:innen eines Hauses bringen das notwendige Eigenkapital für Kauf, Bau bzw. Sanierung solidarisch auf: Wer mehr hat, bringt mehr ein. Teile des Eigenkapitals können auch von externen Menschen eingebracht werden, die ein Projekt unterstützen möchten, wie z.B. Freund:innen, Familie oder einfach Menschen, welche die Idee gut finden. Außerdem unterstützen sich die Mitglieder der Genossenschaft in und zwischen den Häusern. Weiterhin bauen wir einen Solidarfonds auf.
Wir fänden es schön, wenn unsere Hausprojekte in die jeweiligen Stadtteile und die Stadtgesellschaft hineinwirken. Das kann durch öffentlich nutzbare Räume in den Häusern oder durch die Zusammenarbeit mit sozialen Trägern passieren, um beispielsweise Wohnraum für Menschen mit Schwierigkeiten beim Zugang zu Wohnraum zu schaffen. Die konkreten Ideen für ein Wirken über das reine Wohnen hinaus liegt dabei aber bei den jeweiligen Hausgruppen.
Ihr wollt euch von anderen Wohnungsgenossenschaft unterscheiden. Warum? Was ist eure Kritik an denen?
Wir verstehen uns als Selbsthilfe von Mieter:innen für Mieter:innen. Die WoGe Dresden funktioniert nur, wenn sich die Mitglieder in die genossenschaftlichen Belange einbringen und das Werden der Genossenschaft mitgestalten. Das geht über die verantwortungsvolle Arbeit in Vorstand und Aufsichtsrat und bezieht sich auch auf Mitarbeit in Arbeitsgruppen oder im Plenum. Wir haben uns einem sehr hohen Maß an Mitbestimmung und Transparenz verschrieben, wodurch wir uns von anderen Wohnungsgenossenschaften in Dresden unterscheiden. Wir wollen einen Rahmen bieten, in dem sich unterschiedliche Hausprojekte verwirklichen können, die Projekte sollen dabei so individuell wie zahlreich sein.
In einer Wohnungsgenossenschaft (als wirtschaftliche Unternehmung) geht es ja primär ums Wohnen. Uns ist dabei aber auch wichtig, dass wir uns besonders um Menschen bemühen, die grundsätzlich auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt sind und für die es keinen Zugang zu den „traditionellen“ Dresdner Wohnungsgenossenschaften gibt. Außerdem wollen wir Wohnen und Bauen ökologisch und nachhaltig gestalten (Wohnen auf möglichst kleiner Fläche, keine Luxussanierungen, Baumaterialien etc.).
Warum Genossenschaft, es gibt ja auch anderen Formen der Mietkämpfe, zum Beispiel Besetzungen oder Vernetzung von Mieter:innen? Inwiefern ist eine (kleine) Genossenschaft eine Antwort auf die Krise des Wohnens bzw. auf die steigende Wohnungsarmut?
Als kleine Dach-Wohnungsgenossenschaft können wir natürlich nicht DIE Antwort auf die Krise des Wohnens sein, insbesondere da auch wir mit den extrem hohen, spekulativen Immobilienpreisen zu kämpfen haben. Aber wir können ein (kleiner) Teil in einer breiten Mieter:innen-Bewegung sein. Wie bereits gesagt, sehen wir uns als Selbsthilfe von Mieter:innen für Mieter:innen und wir wollen aufzeigen, dass es im Wohnsektor durchaus funktionierende Alternativen zu gewinnorientierten Großunternehmen oder Privateigentum gibt. Daneben sind wir Teil des Bündnisses „Mietenwahnsinn Stoppen! Dresden„.
Unsere Vision ist es, dass sich die WoGe im Raum Dresden entwickelt und dass die genossenschaftlichen Häuser über das Stadtgebiet verteilt sind. Über dieses Netzwerk können Menschen entsprechend den Bedürfnissen ihrer jeweiligen Lebensphase wohnen undbspw. wenn die Kinder aus dem Haus sind, auf weniger Raum umziehen. Das ist momentan häufig nicht möglich, da ein Umzug unter der aktuellen Mietensituation in den meisten Fällen trotz kleinerer Wohnungsgröße zu höheren Kosten führt.
Wir möchten eine langfristige Idee für Wohnen in Dresden realisieren und ähnlich wie das Mietshäuser Syndikat eine zusätzliche Alternative zu ständig steigenden Mieten oder Eigentumswohnungen schaffen. Dabei hoffen wir durch die WoGe Dresden anschlussfähig für Menschen vieler Hintergründe sein zu können.
Was unterscheidet euch vom Mietshäusersyndikat, von dem es in Dresden ja eine Regionalgruppe und mehrere Hausprojekte gibt?
Grundlegend sind die Ideen von Selbstverwaltung, Entzug der Häuser aus der Immobilienspekulation, der Solidarität und dem Wirken in den Stadtteil/öffentlichen Raum sehr ähnlich. Über die Genossenschaft wollen wir das Übernehmen von Häusern für eine größere Gruppe der Bewohner:innen Dresdens zugänglich machen. In der Genossenschaft sollen die Erfahrungen und das Wissen um Kauf oder Bau sehr gebündelt verfügbar sein. In der ferneren Zukunft könnte die WoGe dann auch Häuser übernehmen, in denen die Mieter:innen das aus Eigeninitiative nicht angehen würden. Wenn die ersten Häuser gekauft oder gebaut sind, wissen wir, wie es geht und können somit auch schnell agieren, wenn ein Haus verkauft werden soll, die Mieter:innen aber dort künftig selbstverwaltet wohnen möchten.
Wie kann man euch unterstützen/bei euch mitmachen/von euch unterstützt werden?
Wir sind gerade im Aufbau und freuen uns über Menschen, die Lust und Energie haben, in der Gruppe im Plenum und/oder Arbeitsgruppen mitzumachen. Es gibt viel zu tun, von Öffentlichkeitsarbeit, über Strukturbildung bis zur Beratung/Begleitung von Hausgruppen.
Weiterhin suchen wir investierende Mitglieder, die die Genossenschaft unterstützen wollen, indem sie Anteile zeichnen. Wer aus der Genossenschaft austritt, bekommt die Anteile zurück. Investierende Mitglieder bekommen auch eine kleine Verzinsung auf ihre Anteile, haben aber kein Stimmrecht.
Wir wünschen uns, dass die WoGe Dresden von vielen Menschen der Stadtgesellschaft getragen wird und somit auch ein gesellschaftspolitisches Signal sendet.
Ganz konkret benötigen wir momentan noch finanzielle Unterstützung für ein konkretes Hausprojekt, das sich mit einem großartigen Konzept auf die Ausschreibung der Stadt Dresden beworben hat. Hier braucht es weitere finanzielle Unterstützung, um das notwendige Eigenkapital für den Bankkredit bereitzustellen. Dabei ist die Höhe des Beitrages zweitrangig, denn mit einer finanziellen Beteiligung vieler Menschen an der WoGe Dresden und damit an diesem Projekt können wir gemeinsam diese Idee Wirklichkeit werden lassen.
Hausgruppen, die ihr Haus übernehmen möchten und Hausbesitzer:innen, die ihren Besitz vergesellschaften wollen, können sich gern bei uns melden.
Vielen Dank!
Kontakt:
info@woge-dresden.de
Bildquelle: Anne Ibelings, www.illustrakt.de
Veröffentlicht am 12. August 2020 um 18:10 Uhr von Redaktion in Soziales