Sachsen – Urteil stützt Versammlungsrecht
3. Dezember 2021 - 19:30 Uhr
Am Mittwoch dem 1. Dezember fand vor dem Landgericht Dresden die Berufungsverhandlung im Verfahren gegen den Anmelder der „Polizeigesetz stoppen„-Demonstration vom 17.11.2017 statt. Damals hatte ein Bündnis zu einer Großdemonstration nach Dresden eingeladen, um gegen eine neuerliche Verschärfung des Sächsischen Polizeigesetzes (SächsPolG) zu protestieren. Im Laufe der Demonstration waren einige Rauchtöpfe gezündet worden, weshalb die Polizei unter anderem ein Verfahren gegen den Demonstrationsleiter einleitete. In erster Instanz urteilte das Amtsgericht Dresden auf eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Die Verteidigung ging daraufhin in Berufung.
Das Verfahren endete am vergangenen Mittwoch zur Freude von Anwält:innen und Angeklagtem mit einem Freispruch. Das Gericht folgte in allen Punkten der Argumentation der Verteidigung. Es stellte klar, dass das Verfahren einen Schatten auf die ermittelnden Behörden werfe, die über drei Jahren an der politisch motivierten Anklage festgehalten hatte.
Die Verteidigung hatte von Anfang an auf Freispruch plädiert und auch eine Einstellung wegen geringer Schuld nach § 153 StPO abgelehnt. In ihrer Argumentation begegnete sie der Anklage auf mehreren Ebenen. Zunächst sei auch in der Berufungsverhandlung unklar, welches (Nicht-)Handeln genau dem Demonstrationsleiter vorgeworfen würde. Er selbst hatte keinerlei Auflagenverstöße, etwa das Mitführen von Pyrotechnik oder von zu langen Seitentransparenten, begangen.
Dies bestätige sich auch in den Aussagen der Polizeizeugen, die lediglich anführen konnten, dass der Angeklagte nach ihrer Meinung nicht sonderlich freundlich und kooperativ auf sie reagiert habe. In der Urteilsbegründung gab die Richterin ebenfalls an, dass sich ihr eine Tathandlung nicht erschließe. Außerdem gehe sie davon aus, dass bei einer Demonstration gegen ein Polizeigesetz nicht erwartbar sei, dass der Anmelder Sympathien gegenüber denjenigen hege, die „dieses Polizeigesetz später mit Leben erfüllen müssten“.
Dabei beließ es die Richterin hingegen nicht, sondern schloss sich auch in der rechtlichen Würdigung der Verteidigung an. Diese hatte argumentiert, dass selbst wenn im konkreten Fall dem Demonstrationsleiter ein mangelndes Einstehen für die Einhaltung der Auflagen zur Last gelegt werden würde, zu prüfen sei, ob denn die Auflagen für die Demonstration rechtlich zulässig gewesen wären.
Das sei nicht der Fall, führte Strafverteidigerin Isabel Antz in einer Erklärung aus. Es gebe einschlägige Urteile, wonach der Demonstrationsleitung nicht auferlegt werden könnte, das Mitführen von Pyrotechnik oder Vermummungsgegenständen zu unterbinden. Es sei einer Demonstrationsleitung schlichtweg nicht möglich, eine solche Auflage umzusetzen, da dies im Endeffekt auf eine Durchsuchung aller Demonstrationsteilnehmer:innen hinauslaufen würde. Auch die Beschränkung von Seitentransparenten auf zwei Meter Länge griff die Verteidigerin an. Für diese Auflage brauche es eine Gefahrenabschätzung anhand konkreter Hinweise, welche auch im Auflagenbescheid als Begründung angeführt werden müsste. Eine pauschale Beauflagung sei hingegen rechtlich unzulässig, wie das Verwaltungsgericht Dresden erst kürzlich festgestellt habe.
Was sich schon bei der Zeugenvernehmung andeutete, bestätigte sich im Verdikt der Schöffenkammer. Der Angeklagte wurde freigesprochen, die Kosten des Verfahrens dementsprechend der Staatskasse auferlegt. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, da die Staatsanwaltschaft am Verhandlungstag eine Revision nicht ausschließen wollte.
Rechtsanwalt Feilitzsch sieht in dem Urteil eine klare Ansage: „Durch den Freispruch ist eine dreijährige, unseren Mandanten belastende Farce beendet. Schon die Anzeige nach einem Geheimtreffen von Polizei und Ordnungsamt trägt intrigante Züge. Die Staatsanwaltschaft hat dieses Muster durch eine grundrechtsfeindliche Argumentation noch vertieft. Selbst das Amtsgericht – das erst durch eine Rüge zur Arbeit motiviert werden konnte – hat lieber ein obskures Urteil aus Berlin abgekupfert als sich selbst mit der Sach- und Rechtslage auseinander zu setzen. Nun haben Staatsanwaltschaft und erste Instanz ihre absehbare Klatsche erhalten.“
Der Freispruch sei ein starkes Signal für die Versammlungsfreiheit, ergänzt Antz gegenüber addn.me: „Polizei und Staatsanwaltschaft meinten, unseren Mandanten strafrechtlich verfolgen zu können, weil er aus ihrer Sicht den Polizist:innen nicht ehrfürchtig genug begegnet ist. Das Landgericht hat mit seinem Urteil aber deutlich gemacht, dass das sächsische Versammlungsgesetz hierfür nicht herhalten kann: Weder kann ein:e Versammlungsleiter:in ohne den Nachweis einer eigenen strafbaren (Unterlassungs-)Handlung für Auflagenverstöße der Teilnehmer:innen verurteilt werden, noch muss er:sie wegen der Auflagenverstöße die Versammlung beenden.“
Veröffentlicht am 3. Dezember 2021 um 19:30 Uhr von Redaktion in Soziales