Soziales

Sachsen: Kein Ende des Protests in Sicht

3. November 2010 - 23:20 Uhr - 7 Ergänzungen

Unter dem Motto: „Wir sind mehr Wert!“ demonstrierte am frühen Mittwochabend in Dresden erneut ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften und Sozialverbänden gegen die geplanten Sparmaßnahmen in Sachsen. Die Anfang September vorgestellten Pläne der CDU geführten Landesregierung sehen in den kommenden beiden Jahren Kürzungen bei den Sozialausgaben um 13 Prozent vor. Insgesamt will der Freistaat in den nächsten Jahren mehrere Milliarden einsparen.

Von dem Rotstift der schwarz-gelben Regierung sind neben dem Sozialetat auch der öffentliche Nahverkehr und der Bildungssektor betroffen. Die mit Sonderzügen aus allen Landesteilen angereisten knapp 10.000 Menschen kritisierten die Sparvorschläge als sozial ungerecht und forderten auf Transparenten ein Ende des Sozialabbaus.

An den Protesten beteiligten sich wie schon bei der letzten Demonstration im Juni mehrere tausend Studierende und SchülerInnen. Sie protestierten vor allem gegen die geplanten Kürzungen bei der Jugendpauschale und unterstützten damit die Forderung des sächsischen Kinder- und Jugendrings, der von der Regierung die Anerkennung seiner gesellschaftlichen Leistungen verlangte.

Neben den unterschiedlichen Verbänden, Gewerkschafts- und Parteienvertretungen beteiligte sich zum ersten Mal auch ein kritischer Block von knapp 200 Jugendlichen, der unter anderem mit Redebeiträgen der „Antifaschistischen Hochschulgruppe“ und des „Libertären Netzwerkes“ Kritik an den Inhalten der Demonstration übte. Ein zentraler Kritikpunkt war die ihrer Meinung nach fehlende Auseinandersetzung mit Problemen wie der Hartz IV-Reform, welche erwerbslosen Menschen, wirtschaftlich und gesellschaftlich ihre „Wertigkeit“ entzieht.

Die Landesgeschäftsführerin der sächsischen LINKEN, Antje Feiks, sprach von katastrophalen Folgen für die Bildungs- und Kulturlandschaft des Freistaates. Die Grünen setzten sich für einen generationengerechten Haushalt ein und verwiesen auf ihre mehr als 100 Änderungsvorschläge. Der sächsische SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Dulig sieht im aktuellen Entwurf für den Doppelhaushalt 2011/2012 den Versuch, „den Kitt aus den Fugen der solidarischen Gesellschaft“ zu kratzen und verwies auf die zeitgleich zu den Einsparungen vorgenommene Erhöhung der Rücklagen für die in Konkurs gegangene Sächsische Landesbank. In der vergangenen Woche hatte die CDU nach positiven Steuerschätzungen nachgegeben und die geplanten Kürzungen bei den Freien Schulen zurückgenommen. Auch Einsparungen bei Musikschulen, der Suchtprävention und der Aids-Beratung sowie im Kulturetat sollen weitesgehend vermieden werden.

Der Hintergrund für die Streichungspläne sind gesunkene Steuereinnahmen und weniger Gelder aus dem Länderfinanzausgleich. Insgesamt sollen in Sachsen in den kommenden beiden Jahren mehr als 2,6 Milliarden Euro eingespart werden. Ende Dezember wird der sächsische Landtag über das neue Haushaltsgesetz abstimmen.

Mehr Infos:


Veröffentlicht am 3. November 2010 um 23:20 Uhr von Redaktion in Soziales

Ergänzungen

  • Vor der Demonstration wurde im „antikapitalistischen Block“ folgender Flyer verteilt:

    PSEUDOAKTIVISMUS ALS DIENST AM STAAT – Das Elend des linken Konformismus

    Flugblatt zum Demonstrationsspektakel am 03.11.2010 in Dresden

    Die Gesellschaft, in der wir leben, hat es fertig gebracht solch immense Reichtümer zu produzieren, dass einem jeden Menschen ein erquickliches Leben garantiert werden könnte. Aufgrund ihrer Konstitution, die wiederum im gnadenlosen Ausschluss der Menschen vom Reichtum besteht, hat diese Gesellschaft ihr eigenes Urteil über sich gesprochen: sie ist historisch überflüssig, ihre Überwindung das unabstreitbare Bedürfnis emanzipatorischer Vernunft. Niemand kann ernsthaft glauben, dass das Bündnis mit dem schauerlichen Namen „Zukunft und Zusammenhalt“, das zur heutigen Demonstration aufruft, oder eine der unterstützenden Organisationen diesem Anliegen verpflichtet ist. Alle Fraktionen einer verfaulenden und regredierenden Linken finden sich unter dem grauenhaften Demoslogan „Wir sind mehr wert!“ zusammen. Von den am staatlichen Unwesen partizipierenden Parteien, über die gewerkschaftlichen Klassenkampfeinheger, bis zu den studentischen Funktionären möchte sich niemand das Spektakel des Protests entgehen lassen. Dabei ist diese Ideologie schon halb durchschaut, denn die Mühe sich über den Sinn und die Wirkmächtigkeit dieser Aktion zu verständigen, macht sich keine der etablierten linken Organisationen. Ihr Stimmvieh und Fußvolk verlangt auch schon gar nicht danach – erst recht in Zeiten, wo das, was Kommunikation genannt wird, nur über Phrasen und Bilder funktioniert und jede Reflexion nicht nur gemieden, sondern wegen ihrer potentiellen Nonkonformität geschmäht wird.
    Die Bewahrung sozialer Privilegien ist, abgesehen von ihrer moralischen Berechtigung, im gegenwärtigen Krisenzyklus eine Lebensnotwendigkeit. Die Arbeiter in Frankreich, die ihre nationale Ökonomie mit allen einkalkulierten Schäden blockieren, um sich nicht noch unerträgliche weitere Jahre zu Grunde schuften zu müssen, haben dies begriffen. Doch selbst zu diesem Bewusstsein der Notwendigkeit eines bornierten Klassenkampfes (zu einer autonome Organisation gegen die Gewerkschaften mit einer revolutionären Perspektive ist es in den Kämpfen in Frankreich nicht gekommen) bringt es das hiesige linke Bündnis nicht. Ein solcher Interessenkonflikt würde den Realismus einschließen sich im Gegensatz zur staatlichen Zwangsverwaltung und der herrschenden Klasse befindlich zu erkennen. Die besagte Parole „Wir sind mehr wert!“ ist viel mehr eine Empfehlung an die Herrschaft, die knechtselig um einen zugewiesenen Platz in der ausbeuterischen Verwertungsmaschinierie des Kapitals angebettelt wird. Die Flausen vom „Leben und Arbeiten in Sachsen“ oder dem „gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes“ drücken die Sorge um das Wohl der deutschen Volkswirtschaft aus, der man sich im Namen des sozialpartnerschaftlich verwalteten sozialen Friedens verpflichtet fühlt, in unbedingtem Gehorsam unterordnet und deren repressive Harmonie man im Sinne direkter Demokratie aktiv mitgestalten möchte. Die verordnete Ohnmacht gegenüber den gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen soll kein Stück aufgebrochen werden, sondern wird internalisiert und drückt sich gerade in solchen Pseudoaktivitäten wie der heutigen Demonstration aus, von deren Belanglosigkeit jeder weiß. Auf der Website des maßgeblichen Demobündnisses finden sich zum Terminhinweis für die heutige Demonstration kein einziges erklärendes Wort, nur die an Lächerlichkeit kaum zu überbietende schummelige Erinnerung an den letzten Protestmarsch, der ein „beeindruckendes Bild“ geliefert habe, und der Hinweis bei dem diesmaligen Spektakel „Taschenlampen, Knicklichter und ähnliches“ mitzubringen, um „ein tolles Bild (zu) erzeugen“.
    Diese Bestandsaufnahme versteht sich eigentlich von selbst, denn von den linken Referenten des Systems, den etablierten, institutionalisierten Organisationen der Linken, deren Sache schon immer die staatshörige Verwaltung des Status quo war, hat man nichts anderes zu erwarten. Im hohlen Aktivismus, dessen Elend an Offensichtlichkeit nicht zu verhehlen ist, hat ein radikal-emanzipatorisches, also kommunistisches Begehren nichts zu suchen. Um so erbärmlicher, dass sich diejenigen, die noch mit einem solchen Begehren liebäugeln, am staatstauglichen Konformismus beteiligen. Das famose „Libertäres Netzwerk Dresden“ ruft dazu auf einen „antikapitalistischen Block“ zu bilden und wie ihre sozialdemokratischen Mitdemonstranten halten sie es für unnötig ihren Aktivismus zu begründen. Die sieben Sätze, aus denen ihr „Aufruf“ besteht, scheinen für ihre Anhängerschaft ausreichend zu sein: Selbstbeschwörung als „libertäre Bewegung“, Proklamation eines für sich beanspruchten „kritischen Blick(es) auf Ökonomie, Staat und Identitätskonstrukte“ (was auch immer das sein soll) und Verkündung des Anspruchs „gemeinsam die Gründe für Unzufriedenheit anzugehen“ (was auch immer das heißt). Die Abstraktheit von Wörtern, die einmal Begriffe werden sollten, mit denen hier hantiert wird, werden kein Stück zur Erkenntnis konkretisiert, sondern dienen als Spielmarken, die auf dem Tummelplatz spektakulärer Politik ausgegeben werden, um am Bewegungsrummel zu partizipieren. Die Unverfrorenheit noch mit dem Anspruch zu kokettieren „die Gründe für Unzufriedenheit anzugehen“, womit gemeint sein könnte sich einmal tatsächlich um die Erkenntnis und die revolutionäre Umwälzung der gesellschaftlichen Verfasstheit zu bemühen, ist nichts als Lüge, wo sich doch die Libertären und vermutlich auch ihr linksradikaler Anhang vom linksdeutschen Mob nur in ihren Phrasen unterscheiden.

    Die Befreiung vom Zwang der Ökonomie und der Herrschaft ist das Projekt radikaler Aufklärung, die als zur materiellen Gewalt werdende die bestehende Gesellschaft umzuwälzen vermag. In Zeiten, in denen die gesellschaftlichen Verkehrsverhältnisse alle repressiven Zwangskollektivitäten sprengen und die Produktivkräfte die Lohnarbeit als letzte historische Form der Zwangsarbeit obsolet gemacht haben, ist der einzig haltbare Anspruch der Vernunft der, welcher auf die Aufhebung des bestehenden Zustandes geht. Das Ferment dieser Vernunft sind die radikalen Begierden, denen der materielle Reichtum und dessen reale objektive Möglichkeiten zu Grunde liegt. Diese auf Verwirklichung drängenden Begierden stehen im Konflikt mit dem gesellschaftlichen Zwang sich zum proletarisierten Arbeitskraftbehälter zuzurichten und drängen zumeist als noch nicht bewusste impulsiv-gewalttätig an die gesellschaftliche Oberfläche. Gegen linke Romantisierungen dieses Unbehagens wäre auf dessen Ambivalenz mit Möglichkeit auf Barbarisierung hinzuweisen. Unnötig wird das aber angesichts des Desinteresses der deutschen Linken gegenüber den Klassenkämpfen vor allem in Frankreich oder Griechenland (zu Letzterem wurde es einzig fertig gebracht in typisch bewegungslinker Manier Antirepressionsdemos zu organisieren, ohne auch nur einen Gedanken an die soziale Konfliktualität zu verschwenden). Dieses Desinteresse wird angesichts des Mitmachens am Volksprotest, der wirklich in keiner Hinsicht sich der staatlichen Loyalität verweigert, zur unübersehbaren Perfidie und dem unrettbaren Aufgehen im teutonischen Wald.

    Wir fordern deshalb alle Individuen, die es mit dem Anspruch auf kommunistische Emanzipation ernst meinen, dazu auf sich diesem Spektakel nicht nur zu verweigern, sondern es als reaktionären Teil der herrschaftlichen Entmündigung mittels intellektueller Selbstbewaffnung zu bekämpfen!

  • Warum wird das Flugblatt der AG Gesellschaftskritik zensiert? Hier der link dazu:

    http://anarchiadd.blogsport.de/2010/11/04/auswertungstreffen-zur-mehrwert-demo/#comment-4551

    Außerdem das zweite Flugblatt über die Studiproteste:

    Vom Elend der linken Studierenden

    Eben war auf der Titelseite der CAZ noch zu vernehmen: wer von den Dresdener StudentInnen noch einen eigenen Kopf hätte, solle vor den Landtag ziehen. Traurig ist dabei nur, dass das Motto „Zukunft und Zusammenhalt“ diese Ambitionen bestenfalls konterkariert. Studierendenschaft und alle Fraktionen einer regredierenden Linken finden sich unter dem grauenhaften Demoslogan „Wir sind mehr wert!“ zusammen. Man kann den Studierenden nicht einmal mehr zu gute halten, dass eine Differenz zwischen Wesen und Erscheinung der Proteste besteht. Wurde bisher am Widerspruch zwischen dem Anliegen, gesellschaftliche Machtverhältnisse aufzulösen und der Tatsache, an ihnen gleichzeitig produktiv mitzuwirken, der kritische Status der Proteste offenkundig, scheint sich nun bereits das neoliberale Subjekt unreflektiert unter dem Slogan „Ich bin MehrWert“ in die Verwertungsmaschinerie einzureihen. Es scheint als würde dies niemandem komisch vorkommen und real tut es das auch nicht und wenn doch, wird es danach nur noch schlimmer. Was dann bisher passierte ist folgendes: Im inflationären und neuerdings sehr beliebten, aber vor allem unreflektierten Rückgriff auf Schriften der Situationistischen Internationale gab sich der kritische Teil der Studierenden den Anstrich von Radikalität oder stellte im inszenierten Schulterschluss mit dem Mensapersonal und dem Fingerzeig auf Frau Schavan sein Bewusstsein um gesellschaftliche Bewegungsgesetze auf unglückliche Art zur Schau. Da der momentane Protest noch ärmer als der des letzten Herbstes ist, muss notgedrungen ein Großteil der Kritik aus diesem entwickelt werden, denn denjenigen die sich freiwillig eingliedern, kann man nicht anders begegnen als mit einer radikalen Kritik ihrer Verblendung.
    Dass sie sich dabei im Begreifen des Spektakels wähnen und die inhärente Rekursion auf den marxschen Begriff des Fetischismus nicht stattfindet, führt die Kritik ad absurdum. Darin äußert sich nicht nur die Einfältigkeit der Organisatoren des Protestes, sondern auch der Happeningcharakter desselben. Als positives Resultat bleiben einzig und allein die im Managen der Proteste erworbenen und gern gesehen Softskills übrig. Bekommt man eine Besetzung oder Demo organisiert, sollte es ein leichtes sein im Jahr darauf die Franchiseabteilung bei Langnese zu leiten.

    Es folgt der Versuch einige Begriffe und Zusammenhänge zu nennen, auf die (studierendenspezifisch) in der gegenwärtigen Auseinandersetzung dringend rekurriert werden sollte. Überspitzt man die Situation, steht das Zentrum der kapitalistischen Gesellschaft an einem Übergang, dem Wechsel zu einer wissensbasierten Gesellschaft. Wissen fungiert hierbei als Triebkraft der verschiedenen Nationalökonomien und Wirtschaftsräume. Es scheint als trifft die Rationalisierung zusätzlich des Menschen eigenstes Wesen. Die lebendige Persönlichkeit wird zum Kapital, welches gehandelt wird und Gewinn maximieren soll, für andere und sich selbst. Diese Ideologie wird fast schon Bilderbuchartig in der Einsicht des persönlichen Mehrwerts der Demonstration vorangestellt. Doch der Studierende überspringt dabei ein Moment der Reflexion und zwar jenes, dass er unbewusst bewusst in der bürgerlichen Wirklichkeit stehenbleibt und so verpasst, was einem emanzipatorischen Postulat entspräche – Freiheit. Der Schein der Freiheit wird nur um ein weiteres gesteigert; der Englischkurs hat im Element der selbstbestimmten Bildung aufs Innerste die Steigerung des eigenen Kapitals eingeschrieben.
    Die Ziele des bürgerlichen Schulsystem lassen sich in 3 Schlagwörtern zusammenfassen: Individualisierung, d.h. Kompetenzentwicklung für ein selbstbestimmt-monadologisches Leben, Integration, also Teilhabe am wirtschaftlichen und politisch-kulturellen Leben und schlussendlich Akzeptanz der Grundrechte, wonach Schule und Universität einen Konsens über die Grundwerte zu einem und Loyalität gegenüber dem Gemeinwesen zum anderen herstellen. Auch dies findet sich ganz wunderbar in den Forderungen: denn es geht darum, das Leben und Arbeiten in Sachsen gefährdet ist und der gesellschaftliche Zusammenhalt aufs Spiel gesetzt wird.

    Da sie in keinerlei Hinsicht die für sie konstitutiven gesellschaftlichen Lebensverhältnisse transzendiert, ist die Studierendenbewegung in ihrer jetzigen Form überflüssig. Selbst wenn sie erreichen sollte, dass sich ein rechtlicher Rahmen zu ihren Forderungen bildet, verwirklicht sie damit nicht eine emanzipatorische Gesellschaft, sondern emanzipiert die bürgerliche. Sie äußert nicht das Bedürfnis einer befreiten Gesellschaft, sondern die Befreiung der Bildung von den Fesseln der Ungleichheit. Dass hier das Postulat der bürgerlichen Aufklärung selbst eingeschrieben ist, gereift ihnen nicht zum Gedanken. Ein freier Markt ist ohne den freien Zugang aller, d.h. ohne die Befreiung von ständischen und zünftischen Schranken, nicht denkbar, ebenso ist ein freier Wissensmarkt nicht ohne freie Bildung für alle möglich. Ersteres war die revolutionäre Rolle des Bürgertums.
    Nehmen wir daher an, ihnen fällt geschichtlich eine ähnliche Rolle wie dem Bürgertum zu: Das Monopol einer bildungsbürgerlichen Klasse, insofern eine solche überhaupt noch existiert, auf die Bildungsgüter zu brechen. Sie verwirklichen damit jedoch nicht ihre eigenen Interessen sondern jene eines sich durchsetzenden geschichtlichen Prozesses, den Übergang der westlichen Welt von einer der Einfachheit halber als industriell bezeichneten zu einer Informations- und Wissensgesellschaft. Doch das was sich hier über die Menschen, vermöge ihrer eigenen Interessen durchsetzt, setzt sich gegen den Menschen durch und dies ist ein Widerspruch. Autonomie wird zur Marktautonomie, lebenslanges Lernen zur Weiterbildung und Flexibilisierung, Bildung zur Bereitschaft in die eigene Zukunft zu investieren, Eigenverantwortung zur Selbstaufgabe und dem unbegrenzten Zugriff des Kapitals auf eigene Lebenszeit. Da nicht die Begriffe sondern der ihnen zugrundeliegende materielle Prozess geschichtlich sich durchsetzt, geschieht eine ungewollte Umdefinition und kritische Studierende verwirklichen die Anforderungen des gesellschaftlichen Produktionsprozesses. Mittlerweile ist gar der Durchgang durch die Rückbesinnung auf jene Ideale verloren und die bürgerliche Ideologie wird in Reinform zur Schau getragen.

    Was nicht reflektiert wird, ist, dass Privatisierung und eine Verbesserung des öffentlichen Bildungswesen durch längeres gemeinsames Lernen, Schüler-BAföG und freien Hochschulzugang nicht Widersprüche sind, sondern sich ergänzen. Während die vom ständigen Abrutschen bedrohte Mittelschicht froh ist, dass ihre Kinder auf Privatschulen nicht mehr mit dem gesellschaftlichen Ausschuss konfrontiert sind, erhalten diese das Gefühl, auch endlich akzeptiert zu werden. Dass sich strukturell jedoch rein gar nichts ändert, ist dabei irrelevant. Wo Bildung und Zusammenhalt zu Ideologien werden, verwischen sie die Grenzen zwischen gesellschaftlicher Macht und Ohnmacht. Die Integration der Nichtintegrierbaren hat ein sozialpsychologisches Moment zu Voraussetzung, welches sich u.a. in Individualisierung und Selbstbestimmung durch Bildung ausspricht. Dass sie dabei weiterhin diejenigen bleiben, die die gesellschaftliche Last zu tragen haben und geprellt werden, steht dabei überhaupt nicht zur Disposition.
    Was sich nun durch freien Hochschulzugang, Privatisierung und Einheitsschule durchsetzt, ist nicht die Emanzipation des bürgerlichen Subjekts sondern ein Komplex aus Angst, Flexibilisierung, Leistungsdruck und frühkindlicher Optimierung. Dem gesellt sich ein zweiter fast noch wichtigerer Aspekt anheim. Der Prozess zur gesellschaftlichen Öffnung der Bildungsgüter und -institutionen ist leidlich selbst gewollt von den herrschenden Schichten (man schaue nur zu den protestierenden Eltern in Hamburg), die aus der bisherigen „Exklusivität“ von Bildung nicht nur ihre gesellschaftliche Privilegierung rekrutieren, sondern vielmehr objektiv determiniert. Die Grenzen der Prozesse verlaufen jedoch komplexer, wie sich dies auch in der gleichzeitigen Existenz von Elitehochschulen und Massenuniversitäten, von Gemeinschaftsschulen und Gymnasien ab der 5. Klasse in der bundesrepublikanischen Bildungslandschaft äußert.

    Die Gleichzeitigkeit resultiert aus den Kämpfen verschiedener gesellschaftlicher Kräfte, die sich gegenseitig zu blockieren scheinen. Während die einen noch ihr Privileg verteidigen und im G8 Modell zu steigern suchen, ist es ökonomisch längst zur Disposition gestellt und die Gemeinschaftsschule wird von Linkspartei und SPD durchgesetzt; während die einen für freien Zugang zu Bildung kämpfen, ist er ökonomisch notwendig geworden; während die einen die ökonomische Notwendigkeit von Liberalisierung einfordern, graut den anderen vor Auflösung gesellschaftlicher Schranken. Der ökonomische Grund der Verhältnisse, die Spaltung zwischen wirtschaftlicher Macht und Ohnmacht, zieht so tendenziell auch die Mächtigen in ihren Bann. Die Selbstverflochtenheit der Herrschenden in die ihnen äußerliche Macht führt sie ihrer eigenen Entfremdung zu, unter deren Bann gravitierend, sie die Möglichkeit verpassen, gesellschaftliche Prozesse zu beherrschen.

    Schlussendlich: Es bleibt festzuhalten, Warenförmigkeit von Bildung und freier Zugang zu ihr schließen sich heute nicht aus, sondern ergänzen sich. Reflektiert sich die Studierendenbewegung ganz ungeachtet der realen finanziellen Probleme nicht darauf, sind ihre Forderungen zur fragwürdigen Gegenwart geworden. In den eigenen Forderungen wird die Schlichtung dieses Antagonismus immer deutlicher, so dient für bessere Ausstattung der Schulen und Hochschulen die Investition in die Zukunft. Krönenden Abschluss findet dies in der wahrhaft ideologischen Forderung: „Wir sind MehrWert!“ Der Studierende sollte mittlerweile verstanden haben, dass sein Studium nicht die Verwirklichung der Illusion bedeutet, Teil der herrschenden Klasse zu werden. Die sozialpsychologische Verdrängung der eigenen Proletarität durch das Spähen auf Karriere verhindert die notwendige Verbindung mit anderen gesellschaftlichen Kämpfen. Wird diese Verbindung doch herbeihalluziniert, wie in der heutigen Demonstration, so nicht für eine befreite Gesellschaft, sondern für Zukunft und Zusammenhalt. Damit steht die Bewegung unter dem Niveau der Geschichte, unter aller Kritik, denn der Geist einer bornierten nationalstaatlichen Ökonomie ist durch die kosmopolitische Wirklichkeit der bürgerlichen Gesellschaft widerlegt. Diese jedoch kann nur durch eine radikale Gesellschaftskritik gebrochen werden, deswegen sollte es zu einem Grundanliegen werden sich die marxsche Gesellschaftskritik zu eigen zu machen, anstatt reformistische Forderungen zu postulieren.

  • Nicht ganz richtig…

    Hauptkritikpunkte des antikapitalistischen Blocks war die Exklusivität der Solidarität, (die sich nach dem Grundsatzpapier nämlich auf Sachsen beschränkt) die Tatsachse, dass das Bündnis den „sozialen Frieden“ sichern will, anstatt die Ursachen des Unfriedens (nach Meinung des Blocks vorallem die Idee eines Staates und die kapitalistische Wirtschaftsform) zu beseitigen und die Beteiligung der Polizei, die den „sozialen Frieden“ gerne mit Waffengewalt erhält. Zudem wurde stark auf das Motto der Demo in Verbindung mit dem ökonomischen Mehrwert-Begriff eingegangen

    Eine Sammlung von Redebeiträgen findet sich hier: http://anarchiadd.blogsport.de/2010/11/04/auswertungstreffen-zur-mehrwert-demo/

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