Öffentliche Aufarbeitung: Diskussionsveranstaltung zu Fällen sexualisierter Gewalt in Heidenau
19. Oktober 2021 - 16:35 Uhr
Am 18. September 2021 fand in der Stadt Heidenau eine von der Heidenauer Kirchgemeinde St. Georg ausgerichtete Diskussionsveranstaltung statt. Thema der Veranstaltung war der Umgang mit sexualisierter Gewalt in der katholischen Gemeinde. Der Pfarrer Herbert Jungnitsch hat laut Recherchen der Sächsischen Zeitung während seiner Amtszeit in den 1960er Jahren mindestens vier Mädchen zwischen 3 und 8 Jahren seiner Kirchgemeinde schwere sexualisierte Gewalt angetan (addn.me berichtete). Beteiligt waren weitere Unbekannte, die nach Aussagen der Betroffenen ebenfalls der Gemeinde angehört haben.
Bisher war bekannt, dass die Fälle seit dem Jahr 2010 dem Bistum Dresden-Meißen vorlagen. Kirchenintern waren Gespräche mit den Betroffenen geführt worden, nachdem diese sich an die Gemeinde gewendet hatten. Allerdings gab das Bistum die zugehörigen Unterlagen erst im Jahr 2018 an die Staatsanwaltschaft weiter. Im Jahr 2020 beschloss der Seelsorgerat der Gemeinde St. Georg die Einebnung des Grabs von Pfarrer Jungnitsch als Teil der Aufarbeitungsbemühungen in Heidenau.
Vertuschung und Ignoranz 20 Jahre lang
Auch an diesem Abend kamen weitere Informationen zur Geschichte der Vertuschung sexualisierter Gewalt in der Kirche ans Licht. Der Bistums-Justiziar Stephan von Spies berichtete, dass der Ex-Kardinal Hans Herrmann Groër bereits im Jahr 2000 einen Brief mit Informationen zu Fällen sexualisierter Gewalt in Heidenau erhalten hatte. Groër lebte damals in Goppeln bei Dresden, da er selbst an seinem ehemaligen Sitz in Wien, sexualisierte Gewalt ausgeübt hatte. Den Brief besprach er mit dem damaligen Bischof des Bistum Dresden-Meißen Joachim Reinelt. Ein Rechercheauftrag verlief jedoch im Sande.
Für die Betroffenen, dass wurde an diesem Abend deutlich, hatten die Taten weitreichende psychische und physische Folgen. So berichtete Gerda Lemmer (Name geändert) aus ihrem Leben. Sie habe, um das Erlebte zu bewältigen, ihre eigenen Gefühle vereisen müssen. Gelitten hätten darunter auch ihre Kinder. Gerda Lemmer erzählte außerdem von ihrem Suizidversuch, der nur mit Glück nicht tödlich endete. Gegen die ältere Generation erhob sie ebenfalls noch einmal den Vorwurf, die sexualisierte Gewalt sei in all den Jahren kleingeredet und ignoriert worden.
Ein unerwarteter Gast des Abends war der Bischof Heinrich Timmerevers. In der Vergangenheit hatte er seine Zurückhaltung immer damit begründet, er wolle sich und seine Persönlichkeit an diesem Abend nicht durch einen Besuch in den Vordergrund drängen. Dafür war er kritisiert worden. Er ergriff zum Schluss des Abends das Wort und sprach eine offizielle Entschuldigung gegenüber den Betroffenen für die sexualisierte Gewalt des Pfarrers Jungnitsch aus. Für die anhaltende Verschleppung der Aufarbeitung fand er hingegen keine Worte.
Am 20. September berichtete die Sächsische Zeitung, dass das Grab des Pfarrers Jungnitsch geöffnet und die Leiche exhumiert werden soll. Ziel ist es DNA-Proben zu nehmen. Eine Frau soll sich beim Bistum Dresden-Meißen gemeldet haben, deren Schwangerschaft möglicherweise die Folge sexualisierter Gewalt durch Jungnitsch war. Die Aufarbeitung dieses Falles scheint nach diesem Abend noch lange nicht abgeschlossen.
Für Aufarbeitung, Intervention und Prävention sexualisierter Gewalt hat das Bistum mittlerweile eine Stelle geschaffen und zahlreiche Konzepte veröffentlicht, die die Schulung aller Kirchenangestellten versprechen,
Veröffentlicht am 19. Oktober 2021 um 16:35 Uhr von Redaktion in Feminismus, Soziales