Soziales

Nachrichten aus dem Süden Europas – Griechenland (3)

30. Januar 2014 - 12:17 Uhr - Eine Ergänzung

Dass die durch die Troika angeordneten Sparmaßnahmen in Südeuropa für die Menschen in den von „notwendigen Strukturanpassungen“ betroffenen Ländern keineswegs zu Verbesserungen führt, dürfte hinlänglich bekannt sein. Nach unserem ersten Interview und einem Bericht über die geplante Schließung öffentlicher Rundfunkanstalten in Griechenland, soll sich der folgende Aufruf (*.pdf) des ‚Kollektivs kosmotique‘ mit dem Zu­sam­men­bruch der Ge­sund­heits­ver­sor­gung und der daraus entstandenen Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on in So­ci­al Cli­nics of So­li­da­ri­ty auseinandersetzen. Der Text soll euch einen Eindruck davon geben, was genau unter Nachrichten zu verstehen ist, die weitere Strukturanpassungen und Reformbemühungen fordern.

Krank gespart!

Laut einer im Ok­to­ber 2013 von der Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on Oxfam ver­öf­fent­lich­ten Stu­die er­in­nern die eu­ro­päi­schen Spar­maß­nah­men an die „Struk­tur­an­pas­sungs­pro­gram­me“ des In­ter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds (IWF) in Län­dern La­tein­ame­ri­kas, Süd­ost­asi­ens und Afri­kas in den acht­zi­ger und neun­zi­ger Jah­ren. Eine un­mit­tel­ba­re Folge der Kri­sen­po­li­tik ist die Ver­schär­fung so­zia­ler Un­gleich­heit in den Län­dern, die die um­fang­reichs­ten Spar­maß­nah­men vor­ge­nom­men haben, wie Grie­chen­land, Ir­land, Ita­li­en, Por­tu­gal, Spa­ni­en und Groß­bri­tan­ni­en. EU-​weit haben die reichs­ten zehn Pro­zent der Be­völ­ke­rung vor­be­halt­los von der Po­li­tik der ver­gan­ge­nen Jahre pro­fi­tiert. In allen eu­ro­päi­schen Staa­ten konn­ten sie ihren An­teil am Ge­samt­ver­mö­gen stei­gern: in Deutsch­land in den ver­gan­ge­nen Jah­ren um jähr­lich ein Pro­zent auf deut­lich über 60 Pro­zent; und sogar in Grie­chen­land stieg der Ge­samt­ver­mö­gens­an­teil der 2.​000 reichs­ten Fa­mi­li­en von etwa 75 auf über 80 Pro­zent.

In Grie­chen­land ist unter dem Druck der Spar­dik­ta­te das Ge­sund­heits­sys­tem zu­sam­men­ge­bro­chen. Die Troi­ka aus Ver­tre­ter_in­nen der EU-​Kom­mis­si­on, der Eu­ro­päi­schen Zen­tral­bank (EZB) und dem In­ter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds hat durch­ge­setzt, dass alle so­zi­al­staat­li­chen Leis­tun­gen, in­klu­si­ve Kran­ken­ver­si­che­rung, zwölf Mo­na­te nach Ver­lust des Ar­beits­plat­zes ein­zu­stel­len sind. Die stei­gen­de Zahl ar­beits­lo­ser Men­schen ist daher ein si­che­rer In­di­ka­tor für die zu er­war­ten­den ge­sund­heit­li­chen Be­las­tun­gen der Be­völ­ke­rung. Of­fi­zi­ell sind rund 30 Pro­zent der Be­völ­ke­rung in Grie­chen­land nicht mehr kran­ken­ver­si­chert. In­of­fi­zi­el­le Schät­zun­gen gehen davon aus, dass na­he­zu jede Zwei­te mitt­ler­wei­le aus der Ab­si­che­rung her­aus­ge­fal­len ist. Wer nicht kran­ken­ver­si­chert ist, muss die Kos­ten einer Be­hand­lung vor Ort in bar be­zah­len, oder aber das Geld wird am Ende des Jah­res über die Steu­er ein­ge­zo­gen.

Dabei haben die immer neuen Spar­run­den und Struk­tur­an­pas­sun­gen be­reits zu ge­sund­heit­li­chen Ka­ta­stro­phen ge­führt. In Grie­chen­land ist die Sui­zid­ra­te um 45 Prozent ge­stie­gen, HIV-​In­fek­tio­nen haben um 52 Pro­zent zu­ge­nom­men, 26.​000 Ge­sund­heits­ar­bei­ter_inn­nen, in­klu­si­ve 9.​100 Ärz­t_in­nen, haben ihre Ar­beit ver­lo­ren, Gel­der für psy­cho­so­zia­le Ver­sor­gung sind um 45 Pro­zent ge­kürzt wor­den. Durch diese Spar­maß­nah­men sind viele Not­auf­nah­men maß­los über­for­dert. So muss das Pa­pa­ge­or­giou-​Kran­ken­haus, eines der bes­ten Kran­ken­häu­ser des Lan­des, rund 1.​500 Men­schen am Tag be­han­deln. Selbst das größ­te Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Eu­ro­pas, die Ber­li­ner Cha­rité, be­han­delt täg­lich nur ein Drit­tel so viele Men­schen. Ein Grund dafür ist, dass die Not­fall­am­bu­lanz nur alle vier Tage ge­öff­net ist. Am hef­tigs­ten trifft die von der grie­chi­schen Re­gie­rungs­ko­ali­ti­on durch­ge­setz­te Spar­po­li­tik Men­schen mit chro­ni­schen Er­kran­kun­gen wie Dia­be­tes, Blut­hoch­druck oder Krebs.

Um den­noch eine Be­hand­lung der Armen und Nicht-​mehr-​Ver­si­cher­ten ge­währ­leis­ten zu kön­nen, sind in ganz Grie­chen­land So­ci­al Cli­nics of So­li­da­ri­ty (SCS) ent­stan­den, in denen Ärz­t_in­nen und Pfle­ger_in­nen eh­ren­amt­lich ar­bei­ten. Diese Ba­si­s­in­itia­ti­ven al­ter­na­ti­ver Ver­sor­gung leis­ten nicht nur di­rek­te Hilfe, son­dern sind Orte des Wi­der­stands gegen Spar­po­li­tik und Ras­sis­mus. Die SCS kri­ti­sie­ren, dass immer mehr staat­li­che Kran­ken­häu­ser ge­schlos­sen wer­den. Die in den So­li­da­ri­schen Kli­ni­ken or­ga­ni­sier­ten Men­schen kämp­fen für die Wie­der­her­stel­lung einer kos­ten­lo­sen öf­fent­li­chen Ge­sund­heits­ver­sor­gung als grund­le­gends­tes und nicht ver­han­del­ba­res Recht, wel­ches allen Men­schen kos­ten­los zu­steht, un­ab­hän­gig von öko­no­mi­schem Sta­tus oder Be­schäf­ti­gungs­sta­tus, le­ga­len Pa­pie­ren, Re­li­gi­on, Na­tio­na­li­tät, se­xu­el­ler Ori­en­tie­rung, Gen­der oder Alter. In den So­li­da­ri­schen Kli­ni­ken wer­den Asyl­su­chen­de und Mi­gran­t_in­nen be­han­delt, die oft in staat­li­chen Kran­ken­häu­sern ab­ge­wie­sen wer­den. In ei­ni­gen Kli­ni­ken z.B. in Athen stel­len sie die Hälf­te der Pa­ti­en­t_in­nen. Die Open Po­ly­cli­nics der Doc­tors of the World exis­tie­ren sogar schon län­ger und waren ur­sprüng­lich für die Un­ter­stüt­zung der von Ge­sund­heits­ver­sor­gung aus­ge­schlos­se­nen Mi­gran­t_in­nen und Roma ge­grün­det wor­den. Eine staat­li­che An­wei­sung, keine Men­schen ohne Pa­pie­re zu be­han­deln, haben die Ge­sund­heits­ar­bei­ter_in­nen in den so­li­da­ri­schen Kli­ni­ken igno­riert. Ärz­t_in­nen von Doc­tors of the World wurde von Schlä­ger_in­nen der Gol­de­nen Mor­gen­rö­te (Chrysi Avgi) be­droht, als sie ein­mal mit einer mo­bi­len Ver­sor­gungs­sta­ti­on in der Nähe eines Büros von Chry­si Avgi halt ge­macht haben.

Aber auch mit staat­li­chen Re­pres­sio­nen sind die so­li­da­ri­schen Kli­ni­ken kon­fron­tiert. Wäh­rend in Thes­sa­lo­ni­ki und Athen be­reits acht staat­li­che Kran­ken­häu­ser ge­schlos­sen wur­den und wei­te­re Schlie­ßun­gen ge­plant sind, gab es im Ok­to­ber 2013 po­li­zei­li­che Durch­su­chun­gen in der Me­tro­po­li­tan Com­mu­ni­ty Cli­nic in El­li­ni­ko und der Po­ly­kli­nik der Méde­cins du Monde in Athen, die mit dem Vor­wurf des Dro­gen­han­dels be­grün­det wur­den, ge­meint waren be­täu­bungs­mit­tel­hal­ti­ge Me­di­ka­men­te. Wir zi­tie­ren Teile der Pres­se­er­klä­rung der So­ci­al Cli­nics of So­li­da­ri­ty zum Po­li­zei­ein­satz in den Kli­ni­ken:

„The­re­fo­re we state cle­ar­ly and loud­ly that our­sel­ves, we are „il­le­gal“ con­stant­ly and we are wait­ing for them. We are „il­le­gal“ for the last 2 years for ha­ving sup­por­ted more than 10.​000 un­in­su­red pa­ti­ents by pro­vi­ding health ser­vices and me­di­ca­ti­ons wi­thout as­king from an­yo­ne their per­mis­si­on. We are „il­le­gal“ be­cau­se we do so wi­thout money. We are „il­le­gal“ be­cau­se we ob­li­ge only to the code of me­di­cal. We are „il­le­gal“ be­cau­se we are ac­coun­ta­ble only to our con­scious­ness, our pa­ti­ents and the so­cie­ty. We are „il­le­gal“ be­cau­se we fight against to hu­mi­lia­ti­on and We are „il­le­gal“ be­cau­se we be­lie­ve that Health is a major so­ci­al good and not a com­mo­di­ty. … Those last ac­tions, re­min­ding of to­ta­li­ta­ri­an re­gimes, cle­ar­ly de­mons­tra­te that the red line is cros­sed. They want to eli­mi­na­te hope. They want to de­s­troy ever­y­thing that keeps us united. They hate life. They will face us all, volun­te­ers, pa­ti­ents, ci­vi­li­ans, in the op­po­si­te side. We will de­fend life and di­gni­ty. We will fight against death. So­li­da­ri­ty ist our wea­pon.“

Für den Fort­be­stand der so­li­da­ri­schen Kli­ni­ken sind diese drin­gend auf Geld-, Ma­te­ri­al-​ und Me­di­ka­men­ten­spen­den an­ge­wie­sen. Es kann nicht bei der Er­kennt­nis blei­ben, dass Deutsch­land eine he­ge­mo­nia­le Rolle bei der eu­ro­päi­schen „Kri­sen­be­wäl­ti­gung“ bzw. dem neo­li­be­ra­len Fit­ma­chen Eu­ro­pas für den glo­ba­len Wett­be­werb ein­ge­nom­men hat. Un­se­re Kri­tik an der Deut­schen Härte ge­gen­über den süd­eu­ro­päi­schen Län­dern, ins­be­son­de­re Grie­chen­land, wol­len wir mit prak­ti­scher So­li­da­ri­tät und der Un­ter­stüt­zung eman­zi­pa­to­ri­scher Or­ga­ni­sie­rung kom­bi­nie­ren. Wir rufen Euch daher dazu auf, Geld zu spen­den. Sam­melt Geld, or­ga­ni­siert So­li-​Tre­sen, So­li-​Kon­zer­te, So­li-​Par­ties… In­for­miert Euch und an­de­re. Lei­tet den Auf­ruf an Men­schen wei­ter, die im me­di­zi­ni­schen Be­reich ar­bei­ten. Aus ver­schie­de­nen or­ga­ni­sa­to­ri­schen und fi­nan­zi­el­len Grün­den haben wir uns zwar da­ge­gen ent­schie­den, zu Me­di­ka­men­ten­spen­den auf­zu­ru­fen, ob­wohl die Kli­ni­ken Me­di­ka­men­ten-​ und Ma­te­ri­al­spen­den eben­so drin­gend be­nö­ti­gen wie Geld, u.a. des­halb weil es Lie­fe­r­eng­päs­se bei be­stimm­ten Me­di­ka­men­ten gibt. Soll­te der Auf­ruf auch Ge­sund­heits­ar­bei­ter_in­nen er­rei­chen, die lie­ber Me­di­ka­men­te oder gar me­di­zi­ni­sche Tech­nik spen­den kön­nen – bitte kon­tak­tiert uns über die unten ste­hen­de E-​Mail-​Adres­se! Wir kön­nen Euch eine kom­men­tier­te und mit Ge­ne­ri­ka er­gänz­te Me­di­ka­men­ten-​ bzw. Ma­te­ri­al­wunsch­lis­te zur Ver­fü­gung stel­len!

Spen­den kön­nen auf das fol­gen­de Konto über­wie­sen wer­den:

Kos­mo­tique e.V.
GLS Ge­mein­schafts­bank e.G.
BLZ: 43060967
Kto-​Nr.: 1130360500
IBAN: DE83 4306 0967 1130 3605 00
BIC: GENO­DE­M1GLS
Kenn­wort: So­li­da­ri­sche Kli­ni­ken

Außerdem könnt ihr immer Dienstags zwi­schen 21 und 23 Uhr oder Mitt­wochs zwi­schen 20 und 23 Uhr in der kos­mo­tique auf der Mar­tin-​Lu­ther-​Straße 13 vorbeikommen und eure Spenden direkt abgeben.

Into the Fire – The Hidden Victims of Austerity in Greece:

Blog mit aktuellen Nachrichten zur Gesundheitsversorgung: Griechenland-Blog


Veröffentlicht am 30. Januar 2014 um 12:17 Uhr von Redaktion in Soziales

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