Soziales

Nachrichten aus dem Süden Europas – Griechenland (2)

21. Oktober 2013 - 22:42 Uhr

Am 10. Oktober 2013 waren die Dresdner Gruppen ‚Ausser Kontrolle‘, die ‚Kampagne 129 eV‘, das ‚Kollektiv kosmotique‘ und die Ortsgruppe der ‚Roten Hilfe‘ in den Räumen des früheren staatlichen Radiosenders ERT3 in Thessaloniki zu Gast. Begleitet wurden sie von John Malamatinas, Co-Autor des Buches „Krisenlabor Griechenland“. Er informierte über die außerparlamentarische Opposition in Griechenland und übersetzte für die Gruppe. Die öffentlichen Rundfunkanstallten ERT3 (Radio) und ET3 (Fernsehen) wurden am 11. Juni 2013 geschlossen, anschließend aber durch Teile der Belegschaft besetzt und selbstorgansisiert wieder in Betrieb genommen. Beide Besetzungen sind akut räumungsbedroht.

Die Bedeutung des Arbeitskampfes ist den Besetzer_Innen mittlerweile bewusst – geht es doch um viel mehr als nur darum, den eigenen Job zu sichern. „Vor der Schließung haben wir unsere Arbeitskraft verkauft, nun geht es darum, die Informierung der Öffentlichkeit zu gewährleisten.“, so Jannis. Er ist der Moderator des Politmagazins ‚Vavel‘ (Βαβέλ) und lud die Gruppen am Vorabend der Sendung zu einem Gespraech am nächsten Tag ein. Der Grund für das Gespräch war eine Informationstour quer durch Griechenland. Dazu eingeladen hatte die griechische „Inititaive der Anwält_Innen für die Freiheit“. In Thessaloniki fand der Vortrag im sozialen Zentrum Micropolis (Μικρόπολις) statt. Der Vortrag war mit etwa 70 Gästen sehr gut besucht. Die Themen drehten sich rund um die aktuelle Repression gegen Antifaschist_Innen in Dresden, moderne Methoden der Überwachung, die sogenannte Extremismustheorie und den Widerstand dagegen. Die eigentliche Grundaussage des Vortrags ging jedoch weit über den Antifaschismus hinaus.

Staatliche Kriminalisierungsversuche gegen Proteste abseits von Parteien und Parlamenten gibt es in ganz Europa. Die „Extremismustheorie“ bzw. die „radicalism studies“ schaffen den ideologischen Background dafür. Eine starre Ordnung der „Demokratischen Mitte“ soll mittels Repression verteidigt werden. Grundlegender Dissens wird als illegitim und kriminell, eben als „extrem“, dargestellt. Es wurde versucht die spezifischen Erfahrungen aus Dresden auf eine generellere, europäische Ebene zu übertragen. So sollten Austausch und Diskussionen mit den griechischen Genoss_Innen zu Stande kommen. Grundlegend ging es um die Gefahr, dass wir auf dem Weg in eine nicht allzu ferne Zukunft sind, in der uns das Recht genommen wird, uns außerhalb der Strukturen von Parlamenten politisch zu äußern und zu organisieren. Was die Beteiligten der Sendung nicht wussten, war, dass sich am Abend vor der Sendung eine ehemalige Mitarbeiterin umgebracht hatte. Die 46-jährige Frau sprang, auf Grund des Drucks, den die Entlassung im Juni bei ihr erzeugt hatte, aus dem fünften Stock einer Wohnung. Wir drücken hiermit allen Angehörigen und Trauernden unser tiefstes Beileid aus.

Aktuelle Situation

Besprochen wurde der Hintergund der Infotour, welcher sich aufgrund des Mordes an dem antifaschistischen Rapper Pavlos Fisas am 18. September 2013 schlagartig änderte. Der Begriff des Extremismus taucht seitdem vermehrt in der öffentlichen Diskussion in Griechenland auf. Die „Theorie der zwei Extreme“, die griechische Variante der Extremismustheorie, soll nun die „Wunderwaffe“ der Regierung Antonis Samaras gegen den faschistischen und rassistischen Terror der Goldenen Morgenröte (Χρυσή Αυγή, [xri’si av’ji]) sein. So berichtete dann auch die internationale Presse, dass nun endlich etwas gegen Mitglieder der Goldenen Morgenröte unternommen werde. Ermittelt wird wegen des Verdachts der Gründung einer kriminellen Vereinigung. Auch in Griechenland stellt dies eine Straftat nach § 187 StGB dar und soll nun helfen, den Faschismus zu bekämpfen.

Das deutsche Pendant des griechischen §187 StGB ist der §129 StGB. Er wird hierzulande aus gutem Grund als „Schnüffelpragraph“ bezeichnet. In den seltensten Fällen kommt es tatsächlich zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft, noch viel seltener zu einer Verurteilung. In mehr als 95% der Fälle wird er lediglich zum Ausspionieren und zur Mriminalisierung von Strukturen eingesetzt. Der Einsatz des Paragraphen legalisiert damit umfassende Überwachungsmaßnahmen. Auf diese Weise werden Angsträume geschaffen, denn allein das Tragen derselben Klamotten oder die Formulierung desselben politischen Anliegens kann zur Konstruktion der Mitgliedschaft einer vermeintlichen kriminellen Organisation dienen. Die europäische Harmonisierung der Justiz ist dabei nicht zu übersehen. Bisher sei es noch nie zu einer Anwendung des Paragraphen 187 StGB gegen politische Strukturen auf so breiter Ebene gekommen, so eine Anwältin aus Thessaloniki während einer Diskussion. Entsprechend der Denkweise der Extremismus-ApologetInnen wird der §187 nun auch gegen die öko-sozialen Kämpfe in Halkidiki benutzt und der Widerstand der Bevölkerung gegen die Zerstörung des Gebietes in Halkidiki und gegen das “Fast-Track-Investment-Law” mit rassistischen Morden der Neo-Nazis gleichgesetzt.

Hintergrund zu Halkidiki

Halkidiki ist eine Halbinsel im griechischen Norden und befindet schon seit langem im Widerstand gegen die neuen Goldminenpläne des Kanadischen Investors „Eldorado Gold“ und dem neuen „Fast-Track-Investment-Law“. Das im Zuge der Krise eingeführte Gesetz soll Investitionen multinationaler Konzerne erleichtern. Laut dem Internetblog des Netzwerks SOS-Halkidiki zahlt „Eldorado Gold“ per Regierungsbeschluss keine Transaktions- oder sonstige Steuern. Außerdem soll das Unternehmen keine Verpflichtungen zum finanziellen Ausgleich von zu erwartenden Umweltschäden durch den Goldbau eingehen müssen. Zu erwarten sind Grundwasser-, Boden- und Luftbelastungen mit Schadstoffen durch Schwermetalle wie Arsen, Blei, Cadmium usw. Das Absinken der PH-Werte der Böden sei wahrscheinlich. Landwirtschaftlich genutzte Flächen würden damit durch die Abbaumaßnahmen direkt oder indirekt zerstört bzw. kontaminiert. Der Tourismus der Region, der etwa 15 bis 20% des Bruttoinlandproduktes ausmacht, würde durch den Verlust der charakteristischen Landschaft massiv einbrechen. Viele Menschen hätten so keine Lebensgrundlage mehr und würden so zur Migration gezwungen. Damit geht der Zerfall sozialer Netzwerke und Beziehungen einher. Außerdem thematisiert das Netzwerk die Ungleichheit gegenüber Frauen, die aufgrund der überwiegend von Männern dominierten Aktivitäten rund um das Minengeschäft betroffen sind. Einerseits haben sie kaum eine Chance auf einen Job in der Mine. Zum anderen würden sie durch die Wasserverseuchungen z.B. in der Schwangerschaft zusätzlich belastet werden.

Es ist bekannt, dass internationale Bergbaukonzerne aggressive Methoden bei der Durchsetzung ihrer Pläne einsetzen. So kommt es zu Vorfällen wie Erpressung, Bespitzelung und Infiltration von Oppositionellen, öffentlichen Verleumdungen und sogar Morddrohungen. Außerdem werden immer wieder Gerichtsprozesse provoziert, welche die oppositionellen Gruppen in den finanziellen Ruin treiben sollen. „Eldorado Gold“ arbeitet eng mit Sicherheitsfirmen und den Polizeibehörden zusammen. Amnesty International erwähnt in einem Bericht von 2012 mehrere brutale Übergriffe durch die griechische Polizei nicht nur in Halkidiki.

Auch jenseits direkter aggressiver Methoden versucht der Konzern, das soziale Gefüge der Bewohner_Innen der Region zu zerstören. So werden Allianzen mit lokalen Behörden und Gruppen geschmiedet, die dem Bergbauprojekt positiv gegenüberstehen. Der bisher kaum vorhandene gesellschaftliche Rückhalt wird durch so genannte „Soziale Ausgleichsprojekte“ manipuliert. Eine weitere Strategie ist das Versprechen sicherer Jobs. In Zeiten der ökonomische Krise ein verlockendes Angebot. Die Aktivist_Innen, die gegen „Eldorado Gold“ kämpfen, sprechen hier von einem Versuch, die sozialen Netzwerke der Region langsamen zu zerreißen. „There is no doubt in my mind that powerful forces in both your country and mine are doing their best to put you into a state of fear and shock, precisely because they know that these are the conditions under which they can best subvert the democratic will of the people and push through their project. Indeed your community was literally invaded by shock troops, an attack that terrorized your children and robbed sleep and security from all of you. These ugly tactics continue to this day“, kommentierte Naomi Klein die aktuelle Repression in Halkidiki.

Das Gemeingut der Bevölkerung wird privatisiert, verkauft und die soziale, ökonomische und ökologische Lebensgrundlage der Menschen Halkidikis aufs Spiel gesetzt. Aber es geht auch um die Ablehnung des neu eingeführten „Fast-Track-Invetment-Law“, dass die Privatisierung der Commons erleichtern soll. Kein Wunder also, dass sich Protest von unten organisiert und es Widerstand gibt. Die letzte Zuspitzung des Kampfes um das Gebiet im griechischen Norden gab es im Februar diesen Jahres. Vierzig vermummte Aktivist_Innen stürmten das Gelände der Goldmine und zerstörten sämtliches Arbeitsgerät und die Büros des Konzerns. Nikos Dendias, der „Minister zum Schutz des Bürgers“ antwortete mit tagelangen Razzien und weiteren Repressionmaßnahmen, wie teilweise gewaltsame DNS-Entnahmen bei über 250 Personen. Vier Menschen aus der Region sind immer noch inhaftiert. Am 10. Oktober gab es ein Podium im Arbeiter_Innen-Zentrum in Thessaloniki, welches über die aktuelle Situation der Repression informierte. Nun wurde öffentlich besprochen, was viele bereits wussten: Die Inhaftierten und 23 weitere Personen sehen sich mit dem §187 StGB konfrontiert und ein weiteres Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen die antiautoritäre Plattform Alpha Kappa (Αντιεξουσιαστική κίνηση, Antieksousiastiki Kinisi, antiautoritäre Bewegung) wird angestrebt. Blogeinträge und Webseiten sollen als Beweise für die Existenz einer kriminellen Vereinigung dienen. Außerdem soll auch ein Anwalt betroffen sein, da er regelmäßigen Kontakt zu der widerständigen Bevölkerung habe.

Doch die Solidarität ist nach wie vor groß und wird von breiten Teilen der Bevölkerung getragen. Das zeigte sich unter anderem auf einem Solidaritätskonzert, welches am 6. Oktober in Thessaloniki stattfand. Mit über 30.000 verkauften Karten im Vorverkauf, war es wohl das größte Konzert, dass bisher in der Region stattgefunden hat. Namenhafte griechische Künstler_Innen, wie beispielsweise Giannis Agelakas und Thanasis Papakonstantinou, bekundeten ihre Solidarität mit den Protesten auf der Bühne.

Nachdem der Konzern „Eldorado Gold“ bisher keinen Erfolg hatte, die Bewegung sozial zu spalten, soll dies nun mittels politischer Repression geschehen. Besonders exponierte bzw. aktive Individuen oder Gruppen sollen von ihrer sozialen Basis isoliert werden. Die darauf folgende Kriminalisierung soll die Bewegung anschließend in „die Guten“ und „die Bösen“ teilen. Eventuell handelt es sich hier um einen Kurswechsel, den ein griechischer Genosse treffend als „Repression mit dem Wattebausch“ beschrieb. Eine Form der Repression, die also nicht mehr auf roher Gewalt, sondern auf der Schaffung von Angsträumen, die mit Hilfe von Repression auf soziale Isolierung durch Kriminalisierung setzt. Wir verurteilen das Vorgehen der griechischen Behörden auf das Schärfste und werden unsere Genoss_Innen nach besten Kräften in ihrem Widerstand unterstützen.

Radiosendungen: Infotour durch Griechenland (deutsch/griechisch) | Zwei Reisende berichten


Veröffentlicht am 21. Oktober 2013 um 22:42 Uhr von Redaktion in Soziales

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