Menschenrechte im Lockdown – Schikanen in Flüchtlingslagern und Abschiebungen aus Sachsen
19. Dezember 2020 - 17:39 Uhr
Über die katastrophalen und menschenverachtenden Zustände in Aufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete gibt es zahlreiche Berichte. So wie z.B. im Mai 2020, als Bewohner:innen des Lagers im nordsächsischen Dölzig gegen die menschenunwürdigen Bedingungen protestierten. Die Meldungen über Schikane und Verletzungen der Menschenwürde in den Lagern reißen aber nicht ab. Erst am Dienstag veröffentlichte der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR) eine Mitteilung über einen Vorfall, der sich bereits zu Monatsbeginn im Lager in der Hamburger Straße in Dresden ereignete. Darin wird von Zimmerdurchsuchungen, Polizeieinsätzen und der Aussperrung eines Bewohners berichtet. Die Heimbetreiber:innen begründen ihr Vorgehen in den meisten Fällen mit Bezug auf die Hausordnungen der Einrichtungen. Dabei ist fraglich, ob diese das Recht auf Privatsphäre und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 GG) berücksichtigt.
Am Abend des 2. Dezember kam ein Bewohner zurück zur Unterkunft auf der Hamburger Straße. Eine Mitarbeiterin verweigerte ihm jedoch den Eintritt. „Ich fing an zu schreien, ich bat darum, die Unterkunft betreten zu dürfen. Meine Jacke war so dünn, es war kalt draußen“, berichtete der Betroffene gegenüber dem SFR. Der Betroffene wollte das Lager betreten, um sich dickere Kleidung anzuziehen. Doch anstatt ihn ernst zu nehmen, soll die Mitarbeiterin schließlich die Polizei gerufen haben. Diese hätte zunächst nur mit der Mitarbeiterin gesprochen und den Betroffenen letztlich angewiesen, sich rund 200 Meter von der Unterkunft zu entfernen. Insgesamt musste der Betroffene über 4 Stunden vor der Unterkunft ausharren, berichtet eine Mitarbeiterin des SFR. „Es kann nicht sein, dass einem Bewohner spätabends über mehrere Stunden hinweg der Zugang zu seinen Wohnräumen verwehrt wird. Hier wird gezielte Schikane betrieben!“, erklärte Paula Moser vom SFR.
In ihrer Antwort auf eine Presseanfrage rechtfertigte die Polizeidirektion Dresden den Einsatz mit der Hausordnung: „Hintergrund [des Einsatzes] war ein Verstoß gegen die Hausordnung der Aufnahmeeinrichtung. Polizeibeamte beruhigten die Situation und wiesen den 21-Jährigen auf die Hausordnung hin.“ Demgegenüber betont der SFR, dass die Hausordnungen von Aufnahmeeinrichtungen selbst seit längerem in der Kritik stünden. Ein Bündnis aus Baden-Württemberg gab in diesem Jahr ein Rechtsgutachten in Auftrag, welches die Hausordnung der Landeserstaufnahmeeinrichtungen auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen sollte. Die Gutachter:innen erhoben schwere Anschuldigungen: die Hausordnung verletze die Persönlichkeitsrechte der Bewohner:innen sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung.
Entgegen der staatlichen Schutzpflicht, würden hoheitliche Befugnisse oftmals ohne Gesetzesgrundlage an private Securityfirmen weitergegeben. Besonders häufig würden diese un- oder schlecht begründete Hausverbote aussprechen. Neben dieser grundsätzlichen Kritik an Hausordnungen äußerten die Autor:innen weitere konkrete Punkte. So sei zum Beispiel das allgemeine Verbot politischer Betätigung in den Einrichtungen eine Missachtung der Meinungsfreiheit (Artikel 5 GG). Der Sächsische Flüchtlingsrat geht davon aus, dass solche Kritikpunkte in Sachsen ebenso zutreffen: „Keinen Anspruch auf einen Schlüssel für das eigene Zimmer, umfassende Kontrollrechte für die Security, inklusive unangekündigter Kontrollen der Wohnräume, all das gibt es auch in sächsischen Aufnahmeeinrichtungen.“
Abschiebung trotz Covid-Gefahrenlage
Mitten in der Coronakrise kommt nun eine weitere schockierende Meldung aus Leipzig/Halle. Der SFR meldete, dass am vergangenen Mittwoch, trotz Corona-Gefahrenlage, ein Abschiebeflug von Leipzig/Halle nach Kabul, Afghanistan starten sollte. Federführend sei hier der Bund. Der SFR forderte daraufhin eine sofortige Intervention seitens des Freistaat. „Das ist wahnwitzig“, meint Paula Moser vom SFR. „Bei einer Abschiebung lässt sich an keiner Stelle ausschließen, wie nah sich Menschen sein werden. Nicht zuletzt steht ein mehrstündiger Flug bevor – mit Polizeibeamt:innen, der Crew sowie den Menschen, die gerade abgeschoben werden.“ Zudem gebe das Land Sachsen seinen Flughafen nicht nur dafür her, Menschen in ein Land mit kaum funktionierendem Gesundheitssystem abzuschieben. Afghanistan ist laut Global Peace Index zudem das gefährlichste Land der Welt.
„Die sächsische Regierung soll sich bitte nicht herausreden, dass es Aufgabe der Bundesrepublik sei, mit Afghanistan über die Abschiebungen zu verhandeln.“, sagte Moser. Sie verwies darauf, dass es die Zentrale Ausländerbehörde des Freistaats Sachsen ist, die hiesige Abschiebungen organisiert. Wenigstens aus Sachsen müsse niemand abgeschoben werden, wenn die Regierung interveniere. Der Freistaat ist Anteilseigner am Flughafen Leipzig/Halle und hätte dem SFR zu Folge die Möglichkeit, Flüge zu canceln. Doch Berichten aus Berlin zufolge, hat die sächsische Regierung nichts unternommen. Der Berliner Flüchtlingsrat schrieb am Mittwochabend auf Twitter: „Semal befindet sich am Flughafen Leipzig Halle und wird jetzt abgeschoben. Wir sind unglaublich wütend! Der Innensenator kennt kein Erbarmen mitten im Lockdown und kurz vor Weihnachten.“
Die deutsche Asylpolitik bleibt weiterhin brandgefährlich für in Deutschland ankommende Asylsuchende. Im ersten Halbjahr 2020 wurden 4.616 Menschen sowohl in Länder der EU, aber auch nach Afghanistan, Syrien oder den Irak abgeschoben. Zweithäufigstes Zielland dieser Maßnahmen war das krisengebeutelte Italien, welches nach wie vor tief in der Corona-Pandemie steckt. Im Frühjahr hatte Italien die Rücknahme Geflüchteter auf Basis der Dublin-Verordnung verweigert. Das Beispiel zeigt, Abschiebungen scheitern auch in der Pandemie nicht am Deportationswillen deutscher Bundes- oder Landesregierungen, sondern nur an der Unwilligkeit anderer Staaten, Geflüchtete aufzunehmen. Ein genereller humanitärer Abschiebestopp, wie er von vielen Initiativen gefordert wird, ist weiter nicht in Sicht.
Veröffentlicht am 19. Dezember 2020 um 17:39 Uhr von Redaktion in Soziales