Soziales

Gekündigter Gewerkschafter siegt gegen FLINK

6. März 2023 - 20:46 Uhr

Etwa ein Dutzend Personen, viele mit FAU-Warnweste, stehen mit einem Info-Tisch auf dem Gehweg gegenüber des Arbeitsgerichts in Dresden auf der Hans-Oster-Straße.

Mit Hilfe der Gewerkschaft Freie Arbeiter*innenunion (FAU) setzt sich zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ein Lieferfahrer gegen die Firma FLINK aufgrund unrechtmäßiger Kündigung vor Gericht durch. Agya hatte 2021 bei FLINK als so genannter Rider begonnen. Während seiner Beschäftigung erlebten er sowie zahlreiche Kolleg:innen diverse Missstände, über die die FAU in Zusammenhang mit der Unterstützung des Riders Prince bereits berichtet hatte.

In ihrer Mitteilung zählte die FAU verschiedenste Probleme auf. Beispielsweise werde den Arbeiter:innen Teile des Lohns oder ihres Urlaubs vorenthalten, sie müssten bei jedem Wetter mit teils viel zu schweren Rucksäcken fahren oder der Zugang zu digitalen Arbeitszeiterfassungssystemen werde oft erschwert oder blockiert, was die Überprüfung der Lohnzahlungen erschwert. Weder sei der Arbeitsschutz gewährleistet, noch würde ausreichend auf die Verfügbarkeiten bei der Schichtvergabe eingegangen. Große Probleme gebe es außerdem bei Transparenz von Zuständigkeiten und der Kommunikation, indem für das Arbeitsverhältnis wichtige Informationen wie aushangspflichtige Arbeitschutzgesetze nicht übersetzt werden. Statt unzureichend erfüllter Pflichten auf Arbeitgeberseite könnte hier auch ein absichtliches strategisches Vorgehen erkannt werden, da FLINK bewusst viele ausländische Student:innen bzw. Menschen mit kurzfristigen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen einstellt und um deren geringe Deutschkenntnisse weiß. 

Im aktuellen Fall erhielt Rider Agya ein schriftliches Kündigungsschreiben von FLINK, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass sein Arbeitsverhältnis automatisch endet, da nach dem Aufenthaltsgesetz für Studierende eine Arbeitserlaubnis nur für 120 Tage gelte. Flink behauptete, dass das Arbeitsverhältnis automatisch mit der Beendigung dieser Arbeitserlaubnis endet und kündigte ohne Nennung eines Sachgrundes sicherheitshalber „zudem hilfsweise […] außerordentlich fristlos, höchst hilfsweise ordentlich, äußerst hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist […]“. Nach seinem Urlaub kam Agya in die gewerkschaftliche Beratung der FAU, um sich gegen die Kündigung zu wehren.


In der Güteverhandlung am 28. Februar vor dem Arbeitsgericht sollte die Rechtmäßigkeit der Kündigung erörtert werden. FLINK zweifelte zunächst an der Zulässigkeit einer Kündigungsschutzklage, da die Klagefrist von drei Wochen nach Erhalt der schriftlichen Kündigung verstrichen sei. Die Vertretung des Riders beantragte die Wiedereinsetzung, da der Kläger während dieser Zeit im Urlaub war und auch zuvor dem Unternehmen seinen mehrwöchigen Urlaub mitgeteilt hatte. Weil der Rider damit schuldlos daran gehindert war, die Klagefrist einzuhalten und es ihm nicht zugemutet werden könne, alle Vorkehrungen für die Einreichung der Klage in Abwesenheit während seines Urlaubs zu treffen, zweifelte der Richter am Verfall des Klagerechts, unterstellte jedoch nicht direkt, dass FLINK die schriftliche Kündigung genau in diesem Zeitraum versendete. 

Außerdem berief sich FLINK auf die Ausschöpfung des Arbeitskontingents als Grund für eine ordentliche Kündigung. FLINK hätte jedoch von Anfang an klar sein können, dass die Zahl der erlaubten Arbeitstage begrenzt sei und dementsprechend planen können, so der Vertreter des Riders. Zudem habe der Kläger seine Urlaubsansprüchte überwiegend im Dezember geltend gemacht, sodass letztlich nur eine Lücke von wenigen Tagen entstanden sei, bis die gegenseitigen Verpflichtungen für Arbeitgeber und Arbeiter mit einem neuen Arbeitskontingent ab dem 1. Januar 2023 wieder in Kraft getreten wäre.

Der anwaltliche Vertreter des Riders wies darauf hin, dass das Arbeitsverhältnis auf die Arbeiter:innen zugeschnitten ist, deren Arbeitserlaubnis von ihren Aufenhaltstiteln abhängen, weshalb FLINK klar war, dass das Arbeitskontingent nach 120 Tage ende. Zudem sei die gewerkschaftliche Organisierung der wesentliche Grund dafür, dass sich FLINK vom Arbeiter trennen will. Das Ausschöpfen des Arbeitskontigents löse also nicht das Arbeitsverhältnis auf, sondern es ruhe nur bis zum Inkraftreten des neuen Kontingents ab 2023. Da die Ausschöpfung des Arbeitsumfangs etwas anderes sei, als ein Ende der Berechtigung zur Ausübung des Arbeitsverhältnisses, zweifelte der Richter an der Rechtmäßigkeit der Kündigung auch bei diesem Argument und verwies bei nicht stattfindender Einigung an diesem Tag darauf, dass eine Klage erst ab Ende Dezember 2023 offiziell behandelt werden könnte.  

Für eine gütliche Einigung hinsichtlich einer Beendigungslösung des Arbeitsverhältnisses schlug FLINK zunächst eine ordentliche Kündigung zum 31.01.2023 plus ein halbes Bruttogehalt als Lohnausgleich vor, was der Rider und seine Vertretung als inakzeptabel ablehnten und im Gegenzug eine Kündigung zum 28. Februar, also zwei volle Monatsgehälter, eine Urlaubsvergütung für Dezember und eine Abfindung von 2.000 Euro forderten. Daraufhin pausierte die Verhandlung, damit die FLINK-Vertreterin mit der Personalabteilung telefonieren konnte. 

Wahrscheinlich erkannte FLINK das Gesetz auf Seiten des Arbeiters und ging in der abschließenden Einigung fast vollständig auf die Forderungen des Riders ein. Geeinigt wurde sich auf die Beendigung  des Arbeitsverhältnisses zum 28.02.2023, der Neuberechnung des Arbeitsentgeltes für November 2022 mit Nachzahlung eines möglichen Differenzbetrages, der Auszahlung eines Urlaubsentgeltes für Dezember 2022 in Höhe von 720 Euro brutto, der Arbeitsvergütung für Januar und Februar 2023 in Höhe von je 1.040 Euro brutto und einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes in Höhe von 1.500 Euro brutto. Zudem einigten sich beide Parteien auf eine Verschwiegenheitsklausel, nach der sich beide Seiten verpflichten, Dritten gegenüber über die getroffene Einigung Stillschweigen zu bewahren, was für die anwesende Öffentlichkeit nicht gelten kann.

Auch im Fall des Ende letzten Jahres unterstützten Gewerkschafters ging es um eine unrechtmäßige Kündigung. Im September 2022 war der FLINK-Rider Prince nach einem Arbeitsunfall fristlos gekündigt worden. Vor Gericht hielt die Kündigung jedoch nicht stand und die Gewerkschaft FAU erstritt eine Zahlung von 2.700 Euro an den Rider, die den entgangenen Arbeitslohn sowie eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes ausgleichen sollte. 

Beide Rider, die mit Hilfe der FAU rechtlich gegen ihre ungültigen Kündigungen vorgingen, können jedoch nur als die Spitze des Eisbergs verstanden werden. Denn sowohl Rücksichtslosigkeit im Umgang mit ihren Angestellten als auch Union Busting oder rechtswidrige Kündigungen scheinen Teil des Geschäftsmodells zu sein, welches die Grundlage für die Wachstumsfähigkeit der Lieferdienste bildet.

Der im Jahr 2020 gegründete Lieferservice FLINK mit über 140 Standorten in mehr als 60 Städten Europas betreibt in Dresden zwei Warenlager (sogenannte Hubs) und bewirbt seine Dienste mit Slogans wie „Ein ganzer Supermarkt in nur einer App“ oder „In Sekunden bestellt. In Minuten geliefert.“ und einer Liefergebühr von 1,80 Euro pro Bestellung. Der Kampf um Marktanteile mit dem Ziel der Durchsetzung des eigenen Unternehmens und der Zerschlagung der Konkurrenz wird auf Kosten der Arbeiter:innen geführt, die mit schlechten Arbeitsbedingungen und Lohnausfällen dafür bezahlen.
Viele neue Unternehmen im Dienstleistungsbereich, die als Startups gegründet werden, darunter nicht nur schnell wachsende Lieferdienste, profitieren hier vom deutschen Arbeitsrecht, welches sich in der Praxis fast ausschließlich als Individualrecht erweist, da jede:r Arbeiter:in für sich gegen rechtswidrige Maßnahmen ihrer Arbeitgeber:innen vorgehen müssen.

Gerade bei Unternehmen, in denen die Arbeitsbedingungen der Arbeiter:innen durch Sprachbarrieren oder eingeschränkte Aufenthaltstitel vergleichsweise prekär sind und die weniger Kapazitäten haben, die illegalen Praxen ihrer Arbeitgeber:innen zu erkennen, fallen systematische Rechtsverstöße nicht nur weniger auf, auch haben die Angestellten häufig weniger Möglichkeiten, sich erfolgreich dagegen zu wehren.  

In dieser Sache fand am 17. Januar 2023 mit Unterstützung durch die Aktion gegen Arbeitsunrecht ein Gerichtstermin vor dem Arbeitsgericht Berlin statt. Der Prozess wird am 14. März 2023 fortgesetzt. Neben Union Busting, also der Verhinderung der Organisierung von Arbeiter:innen über Betriebsräte, scheinen unrechtmäßige Kündigungen zur üblichen Geschäftspraxis von Lieferdienst-Unternehmen zu gehören. Auch beim Lieferdienst Gorillas waren bis zur Übernahme durch Getir im Dezember ähnliche Missstände an der Tagesordnung. Neben Union Busting wurden auch systematische Kündigungen eingesetzt. Der neueste Fall einer Kündigung bei FLINK infolge von kritischen Berichten in einer Tageszeitung fand in Berlin statt. Offene Lohnzahlungen und mangelnde Arbeitsausrüstung sind weitere systematische Verstöße gegen das Arbeitsrecht bei den Lieferdiensten.

Sowohl Sammelklagen und Verbandsklagen als auch die selbstständige Organisierung der Arbeiter:innen könnten den systematischen Rechtsbrüchen von Arbeitgeber:innen entgegenwirken. Jedoch sind bis heute Verbandsklagen im Arbeitsrecht nicht möglich. Organisieren können sich Arbeiter:innen zusammen mit Gewerkschaften und Betriebsräten. Auch hier wehrt sich FLINK gegen die Gründung von Betriebsräten. Als FLINK in Berlin gerichtlich gegen einen zuvor gewählten Wahlvorstand vorging, löste sich dieser Mitte November auf. Aufgrund der anhaltenden systematischen Ausbeutung von vor allem migrantischen Beschäftigten bei den Lieferdiensten ruft die FAU dazu auf, sich weiterhin gegen die Arbeitsrechtsverletzungen zu wehren und einer Gewerkschaft beizutreten.


Veröffentlicht am 6. März 2023 um 20:46 Uhr von Redaktion in Soziales

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