Geflüchtete richten Protestcamp auf dem Theaterplatz ein
2. März 2015 - 18:03 Uhr - 3 Ergänzungen
In Dresden haben am Samstag rund 5.000 Menschen in der Innenstadt für die Rechte von Geflüchteten demonstriert (Fotos 1 | 2 | 3). Von ihrer Auftaktkundgebung am Theaterplatz zogen die Demonstrierenden dabei über die Augustusbrücke vorbei am Sächsischen Finanz- und Kultusministerium zur Schießgasse. Anschließend ging es über die Wilsdruffer Straße und den Postplatz weiter bis zum Sächsischen Landtag und zurück bis zum Startpunkt der Demonstration. Kurz nachdem die Polizei am Rande der Demonstration unweit der Neuen Synagoge eine Gruppe um Christian Leister und Oliver Schütz festsetzte, provozierten auf dem Dresdner Zwinger mehrere Jugendliche den Zug mit dem Hitlergruß. Obwohl sich die Polizei an diesem Tag mit Aggressionen zurückhielt, zeigten sie sich den Protesten gegenüber gleich zu Beginn sehr unnachgiebig, Fahnenstangen mussten gekürzt, Transparente als zu lang wieder eingerollt werden. Der Höhepunkt der von den Beteiligten als Schikane aufgefassten Behandlung durch die Polizei war die Personalienfeststellung eines Jugendlichen, dem die Beamten vorwarfen, einen Aufkleber an eine Straßenbahn geklebt zu haben. Dennoch wurde an diesem Tag mit dem hoffnungsvollen Bild einer durch hunderte Asylsuchende angeführte Demonstration ein kleiner Eindruck von der bunten und vielfältigen Unterstützung für die nach Deutschland geflüchteten Menschen auch in Dresden sichtbar.
In etlichen mehrsprachigen Redebeiträgen berichteten sowohl Betroffene als auch Initiativen über die schwierige derzeitige Lage und riefen zu einer stärkeren Unterstützung für geflüchtete Menschen auf. Sie berichteten von ihren Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassismus und der schwierigen Situation in den Massenunterkünften. „Wir würden gern in normalen Wohnungen leben und uns frei bewegen können. Die Situation in den Lagern und Heimen ist katastrophal und für viele ein Schock, da Menschen aus unterschiedlichsten Ländern auf engstem Raum zusammen leben und Konflikte aus den Heimatländern in den Lagern aufeinanderprallen“. Das Bündnis „Dresden für Alle“ appellierte in einem Redebeitrag an die Bevölkerung, „in gegenseitiger Solidarität und gegenseitiger Anerkennung“ gemeinsam mit allen Menschen, „egal welcher Herkunft oder welcher Hautfarbe oder welchen Geschlechtes einen Ort zum Leben“ zu gestalten. „Denn Ausschlussmechanismen und Grenzen gibt es nicht nur innerhalb unserer Gesellschaft. In den Asyllagern spiegelt sich letztlich die globale Ordnung wieder. Wir sind eine Insel des Wohlstands und des Friedens, die sich von der übrigen Welt immer mehr abschottet. Aber für unseren Wohlstand zahlen häufig andere die Zeche: Näher*innen in Bangladesch, die für Hungerlöhne T-Shirts produzieren, die wir hier billig kaufen. Minenarbeiter*innen, die für Centbeträge die seltenen Erden für unsere Hightech-Smartphones schürfen. […] Von den Menschen, die als Geflüchtete zu uns kommen, können wir deshalb auch viel lernen. Über die Auswirkungen eines globalen Kapitalismus, aber auch über alternative Ansätze.“
Nach dem Ende der Demonstration auf dem Theaterplatz errichteten dort Asylsuchende gemeinsam mit Unterstützerinnen und Unterstützern ein provisorisches Camp, um damit auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen (Fotos). Am Tag darauf kam es dann zu ersten verbalen Anfeindungen und Drohungen durch Bürgerinnen und Bürger aus dem Umfeld der PEGIDA-Proteste. Immer wieder wurden ohne Zustimmung Fotos von den Zelten gemacht und in einem Fall kam es zu einem Handgemenge mit zwei Nazis, die Porträtaufnahmen der anwesenden Personen gemacht hatten. Für große Empörung sorgte dabei vor allem das Verhalten der Veranwortlichen der Semperoper, die dem Camp Strom zur Verfügung gestellt hatten und erst heute nach dem Druck der Stadt wieder abstellten. Zugleich zeigten vorbeigebrachte Dinge wie Bekleidung, Decken und Nahrungsmittel, dass es auch Spendenbereitschaft und Solidarität in Teilen der Bevölkerung gibt. Das anfangs von der Polizei und den Versammlungsbehörden geduldete Protestcamp soll nach den Vorstellungen der Initiatoren noch für mindestens einen Monat weiterbestehen. Unter welchen Auflagen das geschehen darf, legte heute das Dresdner Ordnungsamt fest. So wurde die angemeldete Versammlung vor der Semperoper bis 25. März unter der Maßgabe genehmigt, alle Zelte, Sitzmöglichkeiten und sanitären Einrichtungen bis heute 20 Uhr zu entfernen, andernfalls droht ein Strafgeld in Höhe von 4.000 Euro. Gegen den heute Mittag ergangenen Auflagenbescheid hat das Camp Widerspruch eingelegt.
Der Refugee-Protest richtet sich vor allem gegen die Asylpolitiik der Sächsischen Landesregierung, welche in der jüngeren Vergangenheit vor allem durch ihre Dialogbereitschaft mit denjenigen aufgefallen war, die seit Monaten auf Dresdens Straßen mit rechtspopulistischen Parolen gegen den Islam und Zuwanderung Stimmung machen. Der offenbar vollkommen überforderte Sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) scheint weder in der Lage zu sein, mit einer transparenten Informationspolitik auf die steigenden Zahlen von Asylberwerbern und die Bedürfnisse der Bevölkerung zu reagieren, noch die oft durch Krieg und Flucht traumatisierten Menschen vor zunehmenden rassistischen Übergriffen zu schützen. Angesichts der teilweise chaotischen Zustände bei der Unterbringung hatten in der letzten Zeit Kommunalpolitiker den Rücktritt des seit längerer Zeit schon umstrittenen CDU-Innenpolitikers gefordert. Ulbig hatte in den letzten Monaten vor allem mit populistischen Forderungen wie der Schaffung einer Sondereinheit für straffällig gewordene Asylsuchende für Aufmerksamkeit gesorgt, was im Hinblick auf seine Bewerbung als Oberbürgermeister der Stadt als Buhlen um Wählerstimmen unter PEGIDA-Anhängern gedeutet wurde.
@JKasek @VZschocke Meinen Auftrag definieren nicht Sie. Auch bei #feb28 braucht es mehr als Betroffenheitstourismus.
— Geert Mackenroth (@geertmackenroth) 1. März 2015
Die Geflüchteten hatten sich als von politischer Beteiligung nahezu ausgeschlossenen Menschen dazu entschlossen, ihre Forderungen nach gleichen Rechten wie alle hier im Land lebenden Menschen im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Zu ihren heute vorgestellten Forderungen gehört das Recht einer Beschäftigung nachzugehen ebenso, wie die freie Wahl des Wohnortes, ausreichend Sprach- und Bildungsangeboten und eine wie in einigen wenigen Bundesländern bereits praktizierte unkomplizierte Behandlung im Krankheitsfall. Bei einem Besuch des Ausländerbeauftragten und Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) am Montagvormittag signalisierten beide Gesprächsbereitschaft und sicherten eine Verbesserung der aktuell Situation zu, zugleich warnten sie vor möglichen Konflikten mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern von PEGIDA am heutigen Abend. Zuvor hatte Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth (CDU) auf die Aufforderung, sich zum Gespräch zum Camp zu begeben, mit der Aussage reagiert, dies sei „Betroffenheitstourismus“.
#Räumen. Noch haben wir #Recht und #Ordnung! Erwarte klare #Aussagen zur #Debatte im #saxlt dazu! #Mißbrauch #Asyl http://t.co/Dwl7yMCb4c
— Sebastian Fischer (@Heimat_Zukunft) 1. März 2015
Wie es um die Dialogbereitschaft mit geflüchteten Menschen in Sachsen bestellt ist, zeigen nicht nur rassistische Kommentare durch die PEGIDA-Anhängerschaft in den sozialen Netzwerken, sondern auch Verlautbarungen aus den Reihen sächsischer Unionspolitiker. So rief der CDU-Landtagsabgeordnete Sebastian Fischer (CDU) zur sofortigen Räumung der Versammlung auf und auch der Görlitzer CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer äußerte sein Unverständnis darüber, in welcher Form sich geflüchtete Menschen für ihre Rechte einsetzen. Unterstützung gab es aus den Reihen der Linken. Die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel begrüßte den Protest „ausdrücklich“. „Flüchtlinge sind keine Menschen zweiter Klasse, sondern Menschen, denen die gleichen demokratischen und sozialen Rechte zustehen. Diesem Anspruch muss durch die Politik der sächsischen Staatsregierung endlich Rechnung getragen werden.“ Nagels Parteikollegin und Abgeordnete des Europaparlaments, Cornelia Ernst, erinnerte daran, dass „Migration ein Normalzustand auf der Welt“ bleiben wird und forderte mehr Möglichkeiten für eine dezentrale Unterbringung und Deutschkurse für Asylsuchende. Grünen-Politiker Volker Zschocke rief dazu auf, „die Forderungen der Flüchtlinge nicht einfach vom Tisch zu wischen. Der Umgang mit den Flüchtlingen in Deutschland muss menschlicher werden.“
Webseite des Protestcamps: refugeestruggledresden.wordpress.com Twittermeldungen: twitter.com/asylummovement
Veröffentlicht am 2. März 2015 um 18:03 Uhr von Redaktion in Soziales