Soziales

„Flink feuert schneller als du fahren kannst“

27. November 2022 - 10:32 Uhr - Eine Ergänzung

Am 18. November fand in der Prager Straße unweit des Warenlagers von Flink eine Kundgebung der Freien Arbeiter:innen Union (FAU) Dresden statt. Die lokale Basisgewerkschaft informierte über eine fristlose Kündigung eines ihrer Mitglieder durch den Lieferservice Flink, gegen die sie Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht eingereicht hat. Der betroffene Rider sei im September ohne Angabe von Gründen gekündigt worden. Dagegen geht die Gewerkschaft vor und fordert die Aushändigung aller Lohnabrechnungen, die Begleichung offener Urlaubsansprüche und eventuell offener Lohnzahlungen, sowie ein ordentliches Arbeitszeugnis. Die Kundgebung wurde auch von einem Rider der „Lieferando Workers Collective“ aus Berlin unterstützt. Auch Dresdner Rider:innen, die für Lieferando arbeiten, stießen zur Kundgebung dazu. Die FAU Hannover übermittelte ein digitales Grußwort. Die eine Woche später stattfindende Güteverhandlung endete mit einem Erfolg für die Basisgewerkschaft.

Flink ist ein 2020 gegründeter Lieferservice, der Artikel des täglichen Gebrauchs direkt an Verbraucher:innen liefert. Flink beliefert an über 140 Standorten in mehr als 60 Städten Europas bis zu 10 Millionen Kund:innen. Auch in Dresden gibt es drei Warenlager („Hubs“), von Flink, neben dem in der Prager Straße befindet sich ein weiteres in der Bautzner Straße in der Dresdner Neustadt gegenüber von REWE. Mit „Ein ganzer Supermarkt in nur einer App“ und „In Sekunden bestellt. In Minuten geliefert.“ bewirbt Flink seine Lieferdienste, für die das Unternehmen eine Liefergebühr von 1,80 € pro Bestellung erhebt. Ob die Lebensmittel-Lieferdienste überhaupt ein gewinnbringendes Geschäftsmodell sein können, stellte der Experte für Lebensmittelmarketing Otto Strecker kürzlich in der taz in Frage. Die Kosten für Lager, Kuriere und Waren seien höher als das, was sich durch die Lieferung erwirtschaften lässt. Gorillas, ein weiterer Lieferdienst, der im letzten Jahr durch wilde Streiks der Rider:innen in die Schlagzeilen geraten war, hat in diesem Jahr immer mehr Marktanteile verloren und Entlassungen vorgenommen, gegen die Betroffene ebenfalls gerichtlich vorgehen. Von den Problemen bei Gorillas profitieren vor allem Flink und Getir. Eventuell steht sogar eine Übernahme Gorillas durch seinen türkischen Konkurrenten Getir bevor.

Ob Gorillas, Lieferando oder Flink: die Arbeitsbedingungen sind offenbar bei allen Lieferdiensten schlecht. Auf der Kundgebung berichtet der gekündigte Rider, dass sein Arbeitsverhältnis bei Flink von Beginn an durch Unregelmäßigkeiten und Unrechtmäßigkeiten geprägt gewesen sei. Lohnzahlungen seien nicht vollständig gezahlt worden und mussten nachgefordert werden. Die für die Überprüfung erforderlichen Lohnabrechnungen seien ihm aber erst auf Nachfrage zugänglich gemacht worden. In 2021 habe der Rider keinen Urlaub erhalten. Dazu kämen regelmäßig Probleme mit den digitalen Arbeitszeiterfassungsdiensten. Wenn diese blockiert sind, ist es auch nicht möglich die zugeteilten Schichten einzusehen. Ein wiederkehrendes Problem seien außerdem Menge und Gewicht der zu liefernden Lebensmittel.

„Der Warentransport zum Kunden gestaltete sich ziemlich chaotisch: Wir fingen an, die viel zu schweren Taschen zusätzlich zu den Rucksäcken an unseren Fahrrädern zu befestigen und mussten so bei starkem Sturm und Regen fahren.“ (Prince, ohne Angabe von Gründen fristlos gekündigt)

Der unbefristet angestellte Rider habe zuerst auch nur vermutet, dass er gekündigt worden sei, da er sich nicht mehr in die Zeiterfassungs-App einloggen konnte. Ein Kündigungsschreiben habe er erst auf Nachfrage erhalten.

Ein weiteres Problem stellt dar, dass Flink versuche, das Geschäftsrisiko zu geringer Bestellungen auf die Arbeitnehmer:innen auszulagern. Die Rider:innen werden dann in zu wenige Schichten eingeteilt, so dass sie nicht auf die vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden kommen. Diese Vorgehensweise verstößt gegen § 615 BGB, wonach das Unternehmen das wirtschaftliche Risiko trägt und dafür verantwortlich ist, Arbeiter:innen Arbeit anzubieten. Entstehende Minusstunden dürfen nicht den Arbeiter:innen angerechnet werden. Flink beschäftigt viele Migrant:innen und ausländische Student:innen und nutzt offenbar aus, dass sie sich nicht so gut mit dem deutschen Arbeitsrecht auskennen oder ihre Anstellung nicht riskieren, um den Aufenthaltsstatus nicht zu gefährden. Ein ehemals bei Flink Beschäftigter berichtete gegenüber addn, dass daher in einem anonymen Whatsapp-Channel Informationen darüber geteilt wurden, dass alle Rider unabhängig von den gearbeiteten Stunden das Recht auf einen vollen Lohn haben. Gegen die unrechtmäßige Kündigung vorzugehen sei ein weiterer Schritt im Versuch sich gegen Flinks Gesetzesverstöße zur Wehr zu setzen.

Am 25.11. fand die Güteverhandlung mit Flink vor dem Arbeitsgericht statt. Gegenüber des Gerichtsgebäudes in der Hans-Oster-Straße hatte die Freie Arbeiter:innen Union zu einem Protestpicknick mit Tee und Kuchen eingeladen. Die FAU vertrat auch den Kläger. In der Güteverhandlung, die öffentlich stattfand und an der auch addn teilnahm, versuchte die Vertreterin von Flink zunächst die fristlose Kündigung mit nicht belegten Abwesenheitszeiten des Riders zu rechtfertigen. Der Richter zweifelte allerdings an, dass Flink auf die vermeintlichen Fehlzeiten mit einer Abmahnung reagiert hat. Insofern war die Kündigung offenbar tatsächlich unrechtmäßig. In der Verhandlung ging es im weiteren darum, aus der fristlosen unbegründeten Kündigung eine fristgerechte ordentliche Kündigung zu machen. Für die verstrichenen Monate zahlt Flink den entgangenen Arbeitslohn sowie eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, d.h. insgesamt einen mittleren vierstelligen Betrag. Die FAU musste als Teil der Abmachung mit dem Unternehmen zusichern Stillschweigen über die Einigung zu bewahren. 


Veröffentlicht am 27. November 2022 um 10:32 Uhr von Redaktion in Soziales

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