Der Dresden-Balkan-Konvoi im Interview – Teil 1
24. April 2016 - 23:47 Uhr - 3 Ergänzungen
Bereits seit letztem Herbst sind Menschen aus Dresden in Südeuropa unterwegs, um den nach Europa geflüchteten und inzwischen in verschiedenen Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehaltenen Menschen direkt vor Ort zu helfen. Was als Idee begann, ist inzwischen zu einem auch über die sächsischen Landesgrenzen hinaus bekannten Projekt gewachsen. Wie ihre ehrenamtliche Arbeit genau aussieht und vor welchen Problemen die Freiwilligen bei ihrer Arbeit stehen, erfahrt ihr in unserem zweiteiligen Interview mit einem der Initiatoren des Projektes.
Hallo Axel, du bist Teil des Projektes Balkan-Konvoi aus Dresden und ihr helft Geflüchteten in den Balkanländern und in Griechenland. Wann habt ihr damit angefangen und was genau macht ihr?
Angefangen haben wir im November 2015, zu diesem Zeitpunkt haben wir den ersten Balkan-Konvoi gestartet. Auch, weil der Winter bevorstand und lange Fußmärsche und Übernachten im Freien einfach lebensbedrohlich für die Menschen auf der Route wurden. Viele von uns waren auch bewegt von der Berichterstattung aus Preševo (Südserbien) und deswegen gewillt, selbst etwas zu machen. Aktuell versorgen wir in Idomeni (Griechenland) und in Calais (Frankreich) geflüchtete Menschen mit Tee und Essen.
Welche Dinge wurden vor Ort am dringendsten benötigt? Wo wart ihr dafür überall unterwegs?
Im Mai letzten Jahres ging es los, dass viele Leute in Serbien die Geflüchteten unterstützt haben. Dort ist damals eine riesige Solidarität entstanden, weil allen Leuten klar war: hier kommen Menschen, die noch weniger haben, als wir. Das haben wir uns auch ein bisschen zum Vorbild genommen. Ich habe dann auf Facebook einen Aufruf, mit der konkreten Idee dort vor Ort tätig zu werden, gestartet. Dazu haben wir uns dann mit Leuten aus Serbien verständigt, um dort auszuhelfen, wo die Not am größten war.
Einerseits Verpflegung, aber auch Mützen und Handschuhe wurden gebraucht, um sich gegen die Kälte zu wappnen sowie heiße Getränke. Mit den Schlafsäcken haben wir erst angefangen, als im Spätherbst die Grenze partiell für Menschen aus bestimmten Ländern geschlossen wurde und nur noch diejenigen Menschen die aus Syrien, Afghanistan und dem Irak kamen durchgelassen wurden.
In Erinnerung ist mir dabei ein Vorfall, als mit der Registrierung der Geflüchteten an der Grenze begonnen wurde. Da gab es eine Gruppe von 80 Personen, die bereits in Serbien war und diese Registrierung nicht hatte, die aber wiederum für die Weiterreise erforderlich war. Da haben wir kurzerhand mit unserer Ausrüstung ein kleines Camp aufgebaut und auch Schlafsäcke ausgeteilt. Das hat dann auch gleich am nächsten Tag die lokalen Behörden wachgerüttelt, die kein Camp vor ihrer Nase haben wollten und umgehend die Registrierungen vorgenommen haben. Leider sind dennoch sechs der Leute interniert wurden und durften nicht weiterreisen.
Kurz darauf haben die Länder von Norden her nach Süden ihre Grenzen dicht gemacht. Wie ging es danach weiter?
Ja, das war so um den 19. November herum und vermutlich haben sich die Staaten diesbezüglich auch abgesprochen. Als Grund wurde dann Slowenien vorgeschoben, welches als kleines Land am stärksten von dem „Zustrom belastet“ wäre. Wir waren zu der Zeit bereits eine größere Gruppe und hatten auch schon mehrere Konvois organisiert gehabt. Nach den Grenzschließungen sind wir dann auch in anderen Gebieten tätig geworden. Der zweite Konvoi ging dann auch schon nach Griechenland und ist im Dezember nach Idomeni gefahren. Dann kam es zu der Räumung dort, wobei ein Teil unseres Equipments und ein geborgtes Zelt von der Polizei mit einem Bagger zerstört wurde. In Idomeni wurde unsere Küche dann nicht mehr gebraucht und wir sind recht schnell nach Chios gegangen, um dort bei der Versorgung der Menschen zu beginnen. Die Struktur für die Versorgung gab es auf Chios zu diesem Zeitpunkt praktisch noch nicht.
Wie läuft das mit der Kommunikation, in welchen Sprachen verständigt ihr euch? Wie kommt die Auswahl der Orte zustande?
Also die Verständigung läuft meist auf Englisch. Der Ort entscheidet sich entweder danach, wo wir konkret gebraucht werden. Oft gehen wir allerdings einfach dorthin, wo es noch keine Infratruktur gibt, wie wir das auf Chios und in Idomeni zum Beispiel gemacht haben. Ok, in Idomeni gab es vor uns schon eine Gulaschkanone, aber die haben beispielsweise auch Personen gebraucht, die das ganze betreiben. Darum war das schon eher so etwas wie eine Kooperation mit den Leuten aus Stuttgart. Mit denen zusammen sind wir dann anschließend auch nach Chios gegangen. Nachdem Chios dann groß in den Medien war, ist auch dort die Zahl der Helferinnen und Helfer sprunghaft angestiegen. Zwischenzeitlich sind wir auch kurz auf Lesbos gewesen, aber dort wurden wir nicht so dringend gebraucht.
Bevor wir irgendwohin fahren, studieren wir die Lage vor Ort sehr genau. Soweit uns das eben möglich ist. Zu Beginn haben wir das auch ad hoc gemacht, also zwei Tage vorher den Zielort festgelegt. Momentan planen wir so einen Konvoi eher langfristig. Das liegt vor allem daran, dass sich unser Fokus auch ein bisschen dahingehend verschoben hat, dass zum Beispiel eine durchgehende Versorgung an einem festen Ort von uns als wichtig erachtet wird. Auch wenn wir uns sehr wohl bewusst sind, damit Aufgaben zu übernehmen, die normalerweise einzelne Staaten abdecken sollten.
Auf Chios hatte sich die Situation ja dann später zugespitzt, kannst du darüber etwas berichten?
Das hing in erster Linie mit der Einführung der Detention Center (spezielle Gefängnisse für Geflüchtete, Anm. d. Red.) zusammen. Dort wurden die Menschen, die eigentlich weiterreisen wollten, hinter Mauern und Stacheldraht gefangengehalten. (Chios liegt nur etwa 10 km vom türkischen Festland entfernt, Anm. d. Red.) Wir sind dort vor allem hingefahren, um die Menschen, die nass und unterkühlt aus den Booten stiegen, mit trockener Kleidung zu versorgen. Gerade im Winter können sich sonst schnell lebensbedrohliche Erkrankungen entwickeln. Wir wissen von zwei Menschen, die während der Überfahrt nach Chios ums Leben gekommen sind. Dazu kommt aber noch eine ganze Reihe vermisster Personen. Die Erklärung dafür ist, dass es offenbar Leute gibt, die aufs Meer hinaus fahren, um von den Geflüchteten die Schlauchboote aufzustechen oder ihnen den Motor abzunehmen. Es sind mehrfach derart beschädigte und abgetriebene Boote bemerkt worden und es gibt Augenzeugenberichte dazu.
Wir haben auch mehrere geflüchtete Personen bei uns in der Gruppe, die ebenso alle Aufgaben übernehmen und vor allem als Übersetzerinnen und Übersetzer unentbehrlich geworden sind. Unser Engagement geht auch oft über die „Erstversorgung“ hinaus. Wir haben zum Beispiel ein schwerkrankes Kind mit Behinderung samt seiner Familie in ein Krankenhaus nach Athen ausfliegen lassen und konnten durch Spendengelder für die Kosten des Fluges sowie für eine Wohnung aufkommen. Allein dafür sind in drei Tagen 6000€ an Spendengelder zusammengekommen. Später konnten wir ihnen auch noch einen Anwalt vermitteln. Leider sitzt diese Familie derzeit in Sachsen-Anhalt in einer großen Unterkunft unter miesen Bedingungen fest. Das Kind hat die Flucht trotz unseres Einsatzes und dem vieler anderer Helferinnen und Helfer nicht überlebt. Ich habe die Familie zweimal in ihrer derzeitigen Unterkunft besucht. Selbst mit einer Anmeldung muss man ewig vor dem Heim warten und sich rassistische Bemerkungen von den Wachleuten anhören. Sie möchten gerne woanders sein.
Habt ihr mit der Seenotrettung vor den Inseln auch etwas zu tun?
Nein, daran haben wir uns bisher noch nicht beteiligt. Wir haben uns vor allem auf die Versorgung konzentriert bis hin zum sogenannten „Shoring“, also dem Sichten der Boote einschließlich des Empfangens. Über den Punkt des zukünftigen Engagements führen wir derzeit noch Diskussionen innerhalb der Gruppe. Wir hatten auch vor, ein Boot zu mieten, aber dafür gibt es relativ große Hürden. Dafür bräuchte es neben einer gewissen Vorlaufzeit auch die nötigen finanziellen Mittel.
Veröffentlicht am 24. April 2016 um 23:47 Uhr von Redaktion in Soziales