Bettelverbot in Dresden: Sollen sie doch Kuchen essen!
3. Februar 2018 - 21:55 Uhr - 8 Ergänzungen
Kommentar zu dem durch den Dresdner Stadtrat beschlossenen Bettelverbot
Im Zweifel Law&Order. In der vergangenen Stadtratssitzung hat die SPD-Fraktion einem Bettelverbot für Kinder zugestimmt und damit einer Mehrheit (33 zu 27 Stimmen) aus CDU, AfD, FDP, Freien Bürgern und NPD zum Erfolg verholfen. Bei der Abstimmung zur neuen Polizeiverordnung stimmten mit Vincent Drews und Wilm Heinrich lediglich zwei Sozialdemokraten gegen das Kinder-Bettelverbot. Dass die Entscheidung der SPD-Fraktion so leicht fiel, ist allerdings weniger überraschend. Spätestens mit der Einführung der Hartz-IV-Gesetze Anfang der 2000er hat sich der Kurs der Partei systematisch verschoben: Weg von umverteilender Sozialpolitik, hin zu einer repressiven und neoliberalen Sicherheits- und Ordnungspolitik. Eine Änderung ist bis heute nicht in Sicht, das zeigt auch die Entscheidung im Dresdner Stadtrat.
Den Weg dafür geebnet hatte zunächst der SPD-Bürgermeister Peter Lames. Als Leiter des Rechtsamts entschied er, dass der eigentlich beratend tätig werdende Jugendhilfeausschuss übergangen wird. Dass der Ausschuss in Fragen des Kindeswohls kompetenter entscheiden dürfte, als der Ordnungsausschuss, war egal. Nur so kam die Entscheidung am Ende Januar überhaupt erst zustande. Als Grund verwies die Stadtverwaltung auf nicht eingehaltene Fristen, die Lokalzeitung DNN polemisierte sogleich gegen den vermeintlichen „Bummelausschuss“. Dabei war der Jugendhilfeausschuss nicht untätig und hatte eine alternative Formulierung vorgeschlagen, die dann aber vom Rechtsamt abgelehnt wurde. Im Normalfall wäre es üblich gewesen, dem Jugendhilfeausschuss nochmals Zeit einzuräumen, allerdings fehlte dazu eine Mehrheit im Ordnungsausschuss. Christian Avenarius, SPD-Fraktionschef und dort ebenfalls Mitglied, sah jedoch keinen Grund auf den Jugendhilfeausschuss zu warten und erzwang somit die Entscheidung im Stadtrat.
Im Vorfeld publizierte die SPD-Stadtratsfraktion ein Statement zum Bettelverbot, dass es in sich hat. Darin heißt es, das Kindeswohl müsse Vorrang haben, deswegen sei das Betteln zu verbieten. SPD-Stadtrat Christian Bösl erkennt in seinem Statement zwar, dass die Menschen mit dem Betteln „ihren Lebensunterhalt bestreiten“. Er schlussfolgert aber: „Hier hilft kein gutes Zureden, sondern nur ein klares Verbot.“ Das Einkommensproblem der Betroffenen interessiert den promovierten Rechtswissenschaftler herzlich wenig. Die Situation der Bettelnden, auch der Kinder, wird mit einem Verbot nicht verbessert, sondern verschlechtert, schließlich wird ihnen eine Möglichkeit genommen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Forderung Brösl ist daher zumindest unlogisch – oder eben zynisch. Brösl macht deutlich, dass ihm die Situation der Bettelnden, ja die Bettelnden selbst, völlig egal sind: Wenn mit ihnen nicht einmal „zugeredet“ werden könne, wie der SPD-Stadtrat behauptet, ist ein Gespräch auf Augenhöhe von vornherein nicht vorgesehen. Der Eindruck wird bestärkt, wenn er zugleich das ressentimentgeladene Bild der „osteuropäischen Großfamilie“ ins Spiel bringt.
Ebenfalls zu Wort kommt Fraktionschef Avenarius: Kinder betteln zu schicken, sagt er, sei „eine Art von Missbrauch“. Der Oberstaatsanwalt (verbeamtet auf Lebenszeit, Besoldungsgruppe R2: d.h. mind. 4.000 Euro netto Einstiegsgehalt monatlich) macht, Unschuldsvermutungen scheinen hier nicht zu gelten, allein die Eltern verantwortlich und verbindet das mit einem unverschämten Vorwurf des Kindesmissbrauchs. Die Optionen der Eltern nimmt Avenarius gar nicht erst zur Kenntnis. Sie können wählen zwischen „Kinder hungern lassen“, „Kinder während des Bettelns unbeaufsichtigt lassen“ oder eben „Betteln mit Kindern“. Dass die letzte Option hier noch die beste unter allen schlechten Varianten ist, egal. Stattdessen wird nun dank der SPD-Stimmen auch diese Option unter Strafe gestellt: Sollen sie doch Kuchen essen!
Auch der Hinweis auf die EU-Grundrechtecharta und das dort verankerte Verbot von Kinderarbeit ist wohlfeil, so lange nicht gleichzeitig ein vernünftiges Auskommen für Kinder und deren Eltern garantiert ist. Außerdem gilt auch hier das Argument der Bettellobby, dass Betteln zunächst ein Grundrecht ist, um auf eine Notsituation aufmerksam zu machen. Ein Recht, das zweifellos auch Kindern zusteht. Selbstverständlich soll niemand betteln müssen, aber um dieses Ziel zu erreichen, muss Armut bekämpft werden und nicht die Armen. Dafür muss zur Kenntnis genommen werden, dass das „Such dir einen Job“ für immer mehr Menschen nicht aufgeht. Ein Anfang wäre gemacht, wenn anerkannt wird, dass die Jobs, die ein vernünftiges Einkommen einbringen, immer weniger werden, selbst beim Krisenprofiteur Deutschland, erst recht in Europa bzw. dem Rest der Welt.
Mit der Entscheidung im Stadtrat hat die SPD-Fraktion Gleichgültigkeit gegenüber den Schwächsten dieser Gesellschaft bewiesen. Daran ändert auch ein Ergänzungsantrag nichts, in dem der Oberbürgermeister gebeten wird Hilfsangebote „zu prüfen“. „Die Bettelnden erst zu kriminalisieren und zu verdrängen und dann soziale Angebote machen zu wollen – das ist Unsinn“, erklärte Sara Mellin von der Bettellobby zu dem durchsichtigen Manöver.
Dass die SPD für ihre fragwürdige Machtprobe sogar das Bündnis mit den Faschisten von AfD und NPD akzeptiert, ist bezeichnend und sollte nicht einfach so akzeptiert werden. Verwiesen sei an dieser Stelle auf ein bisher eher kaum beachtetes Item aus dem jüngsten Sachsen-Monitor: „Um Recht und Ordnung zu bewahren, sollte man härter gegen Außenseiter und Unruhestifter vorgehen“, heißt es dort in einer Frage. 79% aller Befragten stimmten „voll“ bzw. „eher“ zu. Die gesellschaftliche Verhärtung zeigt sich in einem um sich greifenden Strafbedürfnis, vor dem offenbar ein immer breiteres politisches Spektrum erfasst wird. Um dieser Falle des „Alle gegen alle“ etwas entgegenzusetzen, hilft politische Organisierung auch und gerade außerhalb des Stadtparlaments. Das hat die Arbeit der Bettellobby deutlich gemacht, ohne die diese Debatte kaum den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hätte. Sie hat auch gezeigt, dass Stadtpolitik nicht den gewählten Vertreterinnen und Vertretern überlassen werden sollte, selbst wenn es eine nominelle „linke Mehrheit“ gibt. Auch dann braucht es Druck und aktives Eingreifen der Leute, die für eine soziale, emanzipatorische Gesellschaft streiten.
Veröffentlicht am 3. Februar 2018 um 21:55 Uhr von Redaktion in Soziales
Es ist unwürdig, Kinder betteln zu lassen. Wie kann man es dem Zufall überlassen, ob der angesprochene etwas gibt oder nicht. Natürlich sollten Eltern bestraft werden, die ihre Kinder zum betteln Anstiften und d hoffen, dadurch ihren Lebensunterhalt zu sichern. Es sollten geeignete Einrichtungen genutzt werden, in denen Kinder versorgt werden. Den Eltern ist es lieber, wenn die Kinder geld bekommen, das die Eltern für sich ausgeben können. Jutta krause
@Jutta Krause: Es ist auch unwürdig Kinder hungern zu lassen. Die BettelLobby hat immer wieder darauf hingewiesen – und der Kommentar tut dies auch – dass die bettelnden Eltern, die sich in einer Notlage befinden – oftmals auch keine Meldeadresse haben und ohne Meldeadresse ist es schlicht nicht möglich Kinder in Kita oder Schule anzumelden. Die Eltern haben also ihre Kinder dabei, weil sie sie nirgendwo lassen können. Ihr Kommentar und Ihre Forderung nach Strafe ist übrigens ein schöner Beweis für die im Kommentar aufgestellte These dass eine gesellschaftliche Verhärtung um sich greift. Schade dass Sie offenbar auch zu den 79% aller Befragten gehören die „Um Recht und Ordnung zu bewahren, sollte man härter gegen Außenseiter und Unruhestifter vorgehen“ wollen. Sollten Sie stattdessen Interesse an der Situation der bettelnden Menschen haben nehmen Sie sich die Zeit und lesen Sie die Texte der BettelLobby, z.B. diesen hier: http://gruppe-polar.org/2017/08/29/wir-fordern-das-betteln-zu-tolerieren/
Ich kapiere es einfach nicht…
was an bettelnden Kindern, bzw. der Erlaubnis für Kinder betteln zu gehen, Fortschrittlich, Emanzipatorisch und/oder gar links sein soll. Es erschliesst sich mir, selbst Angehöriger der linken Szene in DD, absolut nicht, weshalb Linke Gruppen sich an diesem Thema so festbeissen. Hier ist weder Fortschritt für die Betroffenen Kinder zu erwarten, noch ein Fortschritt in bzw. für die gesellschaftliche Relevanz einer Linken Szene. Dieses Thema mag in Ansätzen geeignet sein, Ungerechtigkeiten im System offenzulegen, bzw. darzustellen und abzubilden, aber diese waren/sind auch jedem so bekannt. Stichwort Kapitalismus und die Schere zwischen Arm&Reich etc. Andererseits manöverieren sie die linke Szene in den Augen der Öffentlichkeit in eine Ecke, die sie nicht verdient hat. Die Ecke der Kleingeistigen, die Energie darin stecken, es ausländischen Kindern auf Dresdens Strassens zu ermöglichen im Winter mit dem Pappbecher vorm Supermarkt zu sitzen, anstatt Energie darein zu stecken, diesen Kinder und ihren Eltern grundlegend zu Helfen, bzw. das System an sich zu verändern. Was hier betrieben wird, mit Bettellobby etc., schreckt jeden Bürger ab, der Kinder lieber in der Schule sieht, als auf der Strasse beim betteln, und ist ausserdem noch Symptombekämpfung bzw. Symptompolitik auf unterstem Level…
@jutta krause: ja, es ist unwürdig wenn kinder betteln müssen. es ist aber genauso unwürdig, die eltern (und damit eben auch die kinder) zu bestrafen. sie werden durch die strafe nicht mehr einkommen haben, um kinder und sich selbst versorgen zu können, sondern weniger. statt strafe wäre die lösung dafür zu sorgen, dass alle menschen ein vernünftiges einkommen bekommen, um ihren lebensunterhalt zu sichern. aber das steht auch im text, den du offenbar nicht gelesen hast…
@Sozialarbeiter Ende 30: Haben Sie den obigen Artiekl gelesen? Viele Ihrer Fragen werden dort zu beantworten versucht.
Was glauben Sie, was das Verbot bewirkt? Wer wird sich dann um diese Kinder kümmern, wenn Sie sich statt zu betteln, alleine in den Unerkünften ausharren oder die Familien aufgrund des nicht zahlbaren Bußgeldes in Ihr Herkunftsland abgeschoben werden?
Es geht, so meine ich, nicht um nur darum, das Verbot abzuwehren, sondern erst damit Möglichkeiten der Unterstützung angehen zu können. Denn im Falle des Verbots wird gelten: Aus den Augen, aus dem Sinn. Das käme dann Ihrer beschriebenen Symptombekämpfung gleich.
@Sozialarbeiter Ende 30: Selbstzugeschriebene politische Verortungen finde ich schwierig. Ihre Aussagen stimmen in den Kanon von CDU, AfD, FDP, Freien Bürgern und NPD. Was ist Ihrer Meinung nach an einem Verbot „Fortschrittlich, Emanzipatorisch“?
Eine Verbotsablehnung ist hier nicht Selbstzweck oder einziges Ziel und Anliegen. Aus dem Verbot folgt vermutlich Verdrängung der Familien. Kinder bleiben möglicherweise alleine in den provisorischen Unterkünften oder werden samt Familie im Falle nicht begleichbarer Bußgeldschulden des Landes verwiesen. Dadurch wird der Kontakt zu den Familien, Eltern und Kindern erschwert oder verunmöglicht und ihnen damit auch wie Sie sich es wünschen „grundlegend zu Helfen“ – aus den Augen, aus dem Sinn.
Auch sehe ich es umgekehrt wie Sie, dass gerade eine Lawe&Order-Politik eine „Symptombekämpfung“ darstellt und damit nicht nach Ursachen und sozialen Lösungen sucht.
Auch ist es falsch, dass es bisher keine Bemühungen gibt, abseits von Verboten soziale Lösungen zu finden, wie ihre Aussage suggeriert („anstatt Energie darein zu stecken, diesen Kinder und ihren Eltern grundlegend zu Helfen“).
„was an bettelnden Kindern, bzw. der Erlaubnis für Kinder betteln zu gehen, Fortschrittlich, Emanzipatorisch und/oder gar links sein soll.“
Sagt das denn irgendwer? Nein, es ist nur rückschrittlich, die dahinter stehenden Problem mittels Verbot der Symptome bekämpfen zu wollen. Darum geht es offenbar: Verantwortung abgeben an Polizei/Ordnungsamt, medial lässt es sich auch gut präsentieren, aber geschafft wird damit gar nichts.
@paulina und zuri:
nein, eure annahme zu meiner meinung beruht auf einer falschen grundlage. ich würde zusätzlich zu „law and order“ sicherlich fast dieselben sozialen massnahmen, programme etc. laufen lassen, wie ihr ohne diese, am ende mit dem ziel ebendiese zu verhindern. dies ist eure falsche grundannahme.
der unterschied unserer meinungen liesse sich wohl so besser benennen. ich denke kurz gesagt; wenn betteln erlaubt ist, wird es aus gründen immer eine menge von bettelnden kindern geben. ist es verboten kaum.