BettelLobby hält Mahnwache für Verstorbenen und fordert Wohnungen für Obdachlose
12. Februar 2021 - 18:31 Uhr
Die BettelLobby Dresden hat heute eine Mahnwache am Rathaus abgehalten, um einem wohnungslosen Mann zu gedenken, der wenige Tage zuvor in Pieschen im Keller eines leerstehenden Hauses erfroren war. Der Verstorbene wurde bereits am 4. Februar von Passanten gefunden; die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass es keine Fremdeinwirkung gab, sondern der Mann an Unterkühlung und akuter Herzinsuffizienz gestorben ist. Die BettelLobby zeigte sich angesichts des tragischen Todesfalls traurig und zugleich wütend: „Eine solidarische Gesellschaft würde alles Erdenkliche gegen Obdachlosigkeit unternehmen. Aber diese Gesellschaft unterlässt selbst noch das Mindeste: Öffnet sofort die Hotels! Wir fordern ein sicheres Zuhause für alle!“
Zur Kundgebung an der Goldenen Pforte kamen mehr als 20 Personen. Sie legten Blumen nieder und stellten Kerzen auf. Auf Plakaten waren die Forderungen der BettelLobby nach Wohnungen und einer Öffnung von Hotels zu lesen. In ihrem Redebeitrag gedachte die BettelLobby dem kürzlich verstorbenen älteren Mann sowie zweier weiterer Obdachloser, die im vergangenen Jahr in Dresden gestorben waren. Milan und Elemir seien beide in und an Wohnungslosigkeit, Stress und Ausgeliefertsein auf der Straße sowie mangelnder Gesundheitsversorgung gestorben, sagten Renata und Kathrin von der BettelLobby. „Wir wissen, dass der Kältetot ein schrecklicher Tod ist. Es ist ein Mensch in dieser Stadt erfroren. Da helfen keine warmen Worte, kein Augen auf, keine Verantwortungsverteilung“, sagten die beiden Vertreterinnen der BettelLobby. Sie forderten stattdessen die Politik zum Handeln auf. Das Bündnis „Mietenwahnsinn stoppen!“ unterstützte die Kundgebung und rief dazu auf, Zwangsräumungen zu verhindern und sich gegen Verdrängung zu wehren.
Wohnungen und warme Räume gefordert
Die BettelLobby hatte erst kurz zuvor Forderungen veröffentlicht, damit Obdachlose sich vor den Folgen der Winterkälte und Coronapandemie schützen können. Grundsätzlich setzt sich das Netzwerk für Wohnungen statt einer Unterbringung in Sammelunterkünften ein. Angesichts der kalten Temperaturen und der Pandemiesituation fordert es nicht nur Aufwärmräume, sondern generell eine Notunterbringung in den seit Monaten leerstehenden und ungenutzten Hotels der Stadt. „Ein Alltag im Freien ist konstanter Stress. Ein permanentes Ausgeliefertsein. Daher braucht es offene und niederschwellige Angebote. Es braucht Duschmöglichkeiten und Orte der Ruhe. Schwimmbäder und Duschen müssen zugänglich sein für die, die keine haben. Außerdem braucht es kostenlose FFP2-Masken und Desinfektionsmittel“, heißt es in der Pressemitteilung. Auch das Bündnis „Nicht auf unseren Schultern“ (NAUS) rief dazu auf, sich für die Nutzbarmachung von Leerstand als Wohnraum einzusetzen.
Außerdem fordert die BettelLobby, die Kriminalisierung von Wohnungs- und Obdachlosen auf Grund der Pandemiemaßnahmen zu beenden. Vor diesem Hintergrund hatte die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen bereits im vergangenen Jahr öffentlich die Frage gestellt, „wo Wohnungslose sich vor dem Virus und vor der winterlichen Kälte schützen und Alkohol trinken dürften“. Ebenso seien Zwangsräumungen umgehend zu beenden. Trotz Pandemie waren im vergangenen Jahr in Dresden mehr als 350 Wohnungen zwangsgeräumt worden. „Zwangsräumungen führen selbstredend oft zu Obdachlosigkeit. Wir fordern daher, sie zu unterlassen. Gegen Obdachlosigkeit helfen keine warmen Worte, sondern Wohnungen“, so Maja Schneider von der BettelLobby zu addn.me.
Stadtverwaltung in der Kritik
Auf der Kundgebung am Freitag äußerte die BettelLobby zudem Kritik an der Stadt Dresden, welche einen ursprünglich geplanten Duschbus für Obdachlose verschleppt habe. Anstatt für eine direkte Umsetzung des Stadtratsbeschlusses zu sorgen, hatte das Sozialamt zunächst eine Bedarfsstudie in Auftrag gegeben, berichtete die Sächsische Zeitung. Nun seien die Gelder verfallen. Die BettelLobby fordert, diese Gelder endlich für Obdachlose einzusetzen. „Wir lassen uns nicht abspeisen.“
Dresdens Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Die Linke) sprach bisher nicht von neuen sozialen Hilfsmaßnahmen, sondern appellierte stattdessen an die Eigenverantwortung der Bevölkerung: „Es ist unser aller Aufgabe, noch deutlicher als sonst, die Augen offen zu halten. Jeder kann hilflose Menschen unterstützen!“ „Ein Skandal“, findet Schneider, „sie als politische Verantwortliche kann und muss Strukturen sozialer Sicherheit schaffen und nicht neoliberal Eigenverantwortung einfordern.“ Die Zugänge zu den Unterkünften müssten niedrigschwellig sein. „Statt Leerstand hinzunehmen und Zwangsräumungen durchzuführen, muss die Stadt für mehr Wohnraum sorgen. Alles andere ist verantwortungslos und unsozial“, sagte Schneider.
In Dresden leben derzeit mehr als 1.000 Menschen ohne Wohnung. Freie Träger, wie Diakonie und Treberhilfe, schätzen diese Zahl anhand der Menschen, die ihre Angebote nutzen. Es ist jedoch von einer höheren Dunkelziffer auszugehen. Aufgrund der Corona-Krise, der aktuellen Sozialpolitik und der Politik der Wohnungskonzerne könnte sich diese Zahl in den kommenden Monaten noch weiter erhöhen. Die Stadt selbst verfügt derzeit in acht Übergangswohnheimen und Wohnungen über knapp 400 Schlafplätze. Die Plätze seien jedoch teuer, der Zugang bürokratisch und kompliziert. Zudem sei die Situation von Frauen und Queers in den Unterkünften von Diskriminierung und Gewalt geprägt, kritisiert die BettelLobby. Wohnungsarmut, also keine Wohnung oder nicht ausreichend Platz zu haben, hat sich in den letzten Jahren zu einem flächendeckenden Problem in ganz Deutschland entwickelt. In diesem Winter sind laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe in Deutschland bereits mindestens 20 Wohnungslose an Kälte gestorben.
Die BettelLobby Dresden ist ein Netzwerk aus verschiedenen Initiativen und Einzelpersonen u.a. der Gruppe gegen Antiromaismus, Romano Sumnal – Roma-Verein-Sachsen, dem Café für Obdachlose >>Alltagsgespräche<<, der gruppe polar, dem Gesundheitskollektiv Dresden sowie der go plastic company/Asphaltwelten. Das Netzwerk hatte sich 2017 gegründet, um einerseits die Rechte von Bettler:innen in Dresden zu stärken und andererseits ein drohendes Bettelverbot zu verhindern. Trotz einer Petition und vielfachem Protest war das Bettelverbot für Kinder 2018 vom Dresdner Stadtrat beschlossen worden. Die BettelLobby hatte damals argumentiert, ein Bettelverbot schütze Kinder nicht vor Armut, sondern würde sie und ihre Eltern kriminalisieren und aus der Sichtbarkeit verdrängen.
Bild: https://twitter.com/gruppe_polar/status/1360174580447510531
Veröffentlicht am 12. Februar 2021 um 18:31 Uhr von Redaktion in Soziales