Anwohner:innen kritisieren Polizeieinsatz: Schikane statt illegaler Corona-Party?
12. Januar 2021 - 19:13 Uhr - Eine Ergänzung
Wie der regionalen Presse zu entnehmen ist, soll es am 8. Januar 2021 zu einer „illegalen Corona-Party“ in einer Wohnung auf der Rudolfstraße im Scheunenhofviertel gekommen sein. Nach Hinweisen von Nachbar:innen habe die Polizei diese Party aufgelöst, die Personalien von sechs Personen in einer Wohnung aufgenommen und Anzeigen wegen des Verstoßes gegen die geltende Corona-Schutzverordnung eingeleitet, berichtet ein Polizeisprecher gegenüber zahlreichen Medien. Auch am Tag danach sorgt der Einsatz für Gesprächsstoff und Unverständnis im Viertel. Anwohner:innen widersprechen den Pressemeldungen und kritisieren die Polizei scharf. Wir haben mit zwei Menschen gesprochen, die im Viertel wohnen und den Polizeieinsatz beobachtet haben. [1]
Hallo, wollt ihr kurz erzählen, wie ihr den Einsatz wahrgenommen habt?
A: Hi, ja sehr gern. Als erstes möchte ich klarstellen, dass kein Einsatz in einer Wohnung in der Rudolfstraße wahrnehmbar war. Das Ganze spielte sich auf dem Bürgersteig der Rudolfstraße ab. Und zwar zwischen der Lößnitzstraße und der Fritz-Hoffmann-Straße. Ich selbst stand als Kundin in der Warteschlange des dortigen Spätis, als plötzlich jemand rief: „Achtung, Cops!““ Daraufhin sahen wir mehrere Polizist:innen unvermittelt um die Ecke Rudolfstraße/Lößnitzstraße auf uns zu rennen.
B: Ich kam erst später dazu, als bereits Leute von der Polizei umstellt waren.
Wie stellte sich die Situation auf der Straße dar, als die Polizei kam?
A: Vor dem Laden standen ein paar Menschen in der Warteschlange. Im Kreuzungsbereich an der Fritz-Hoffmann-Straße standen weitere. Einige quatschten miteinander, andere waren scheinbar allein dort. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass jemand gegen irgendwelche Auflagen verstoßen hat. Die Grüppchen waren nicht größer als drei, vier Menschen. Alle auf Abstand, die meisten mit Mund-Nasen-Schutz. Auch in der Warteschlange haben wir Abstand gehalten und eine Maske getragen.
Laut Zeitungsartikel soll die Polizei zu einer Wohnungsparty gerufen worden sein. Habt ihr gesehen, ob die Polizei einen Einsatz in einem Wohnhaus in der Rudolfstraße durchführte?
A: Nein, gar nicht. Die Polizei hat um die Ecke herum auf der Lößnitzstraße geparkt, das steht ja auch so in der Presse. Die Autos habe ich also nicht sehen können, genauso wenig sah ich, ob irgendetwas in der Lößnitzstraße passierte. Was ich aber sehen konnte, war, dass die Polizei aus Richtung Lößnitzstraße sehr schnell und sehr laut, mit einem aggressivem Ton in unsere Richtung rannte.
Die Polizei drang also in kein Haus, in keine Wohnung ein?
A: Definitiv, das war nicht der Fall! Die ganze Situation spielte sich auf der Straße ab. Auch später waren keine weiteren Beamt:innen zu sehen, die zu Hauseingängen gegangen sind oder aus Häusern herauskamen. Keine Ahnung, wieso gegenüber der Presse etwas anderes behauptet wird.
Wie ging es weiter?
A: Ich bin sofort zügig weggelaufen, über die Straße, in Richtung Fritz-Hoffmann-Straße. Aber ich bin nicht gerannt und das war vielleicht mein Glück. Dort stand ich dann noch längere Zeit und beobachtete das Geschehen. Aus sicherer Distanz aber, weil ich keinen Stress mit der Polizei wollte.
Manche Menschen blieben stehen, andere wiederum rannten weg, die Rudolfstraße hinunter. Die Polizei versuchte, ihnen hinterherzukommen. Dass sie weggerannt sind, das kann ich auch nachvollziehen, denn wenn die Polizei auf mich zugerannt kommt und brüllt, dann fühlt sich das nicht gut an und man möchte aus der Situation verschwinden. Das habe ich ja auch getan. Man weiß ja nie, was passieren wird.
Es wäre nicht das erste Mal, dass so etwas mit Polizeigewalt und was weiß ich nicht endet. Jetzt ärgere ich mich ein wenig, dass ich nicht einfach stehenblieb und mich verbal gegen dieses unnötige Auftreten wehrte. Denn eigentlich habe ich ja nichts gemacht, außer einkaufen zu gehen.
B: Hier kann ich mich auch zu Wort melden. Ich saß im Wohnzimmer und habe das laute Getöse auf der Rudolfstraße sofort mitbekommen. Ich schaute aus dem Fenster, checkte die Lage und bin kurz darauf hinaus, um die Maßnahme direkt zu beobachten.
B, wie hast Du den Polizeieinsatz erlebt?
B: Wie gesagt, ich kam erst dazu, als die Maßnahme bereits in vollem Gang war und die Bullen Leute vor dem Laden umstellt haben.
Also kannst Du nicht sagen woher die Polizei kam?
B: Nein, das nicht. Erfahrungsgemäß kann ich As Aussagen aber unterstützen. Hier im Viertel treffen sich Menschen auf der Straße, aber so weit ich das beobachten kann, und ich bin oft draußen, wird auf einen solidarischen Umgang in der Pandemie geachtet. Die Leute halten die Schutzmaßnahmen weitgehend ein.
Ok. Wie lief die Polizeimaßnahme ab, die Du beobachten konntest?
B: Ich habe ein halbes Dutzend Cops vor dem Späti gezählt. Diese haben von drei, vier Menschen die Personalien aufnehmen wollen. Ob weitere Cops noch durchs Viertel irrten, das weiß ich nicht. Anfangs war die Stimmung recht aufgeheizt. Die Cops haben einfach die Späti-Kundschaft umstellt. Was natürlich richtig stark ist. Auf ihr Vorgehen angesprochen, wurden die meisten Beamt:innen recht kleinlaut.
Das heißt?
B: Die haben sich doch tatsächlich gewundert, warum denn alle wegrennen, wenn sie angerannt kommen. Als wir sie darauf hingewiesen haben, dass das möglicherweise mit ihrem martialischen Auftritt zusammenhängen könnte, kam ein sehr vorsichtiges: „Aber was hätten wir denn anders machen können?“.
Gab es eine Antwort darauf?
B: Klar! Sie waren ja nicht das erste Mal im Kiez. Irgendwer sagte ihnen direkt, dass sie ja sonst immer vernünftig mit den Menschen im Viertel reden konnten. Vor allem, weil die Mehrheit hier auf die Schutzmaßnahmen achtet und die Pandemie ernst nimmt – ich denke da an die schnell und gut organisierte Nachbarschaftshilfe im Frühjahr.
Wenn Menschen aber dann doch mal zu dicht beieinander stehen oder jemand die Maske nicht auf hat, dann kann mit einer einfachen Ansage manchmal mehr erreicht werden, als direkt mit solch einer Kavallerie einzureiten und Leute abzufetten, die lediglich etwas einkaufen wollten oder mit ausreichend Abstand im Freien herumstanden.
Wie lange dauerte der Einsatz?
A: Ich kam kurz vor 21 Uhr an, stand nicht lange in der Schlange und schon ging es los. Gegen 22 Uhr bin ich dann nach Hause. Da war die Polizei noch vor Ort.
B: Circa eine Stunde. Eher etwas länger. Bezeichnend ist doch, dass es die letzte Stunde vor der Ausgangssperre war. Ist doch klar, dass an einem Freitagabend um die Zeit viele Leute sich noch ein paar Bier holen wollen, bevor die Ausgangssperre eintritt. Folglich standen auch einige Leute vor dem Späti Schlange, da dieser wegen der Zutrittsbegrenzung immer nur eine Person rein lässt. Und dass die Leute nicht wie aufgefädelt dastehen, sondern die Chance nutzen, sich zu unterhalten, finde ich nur nachvollziehbar.
Die meisten Leute, die in Richtung der Maßnahme kamen, drehten direkt wieder um. Für den kleinen lokalen Einzelhandel war das sicherlich nicht so prall.
Fassen wir das alles einmal zusammen: Entgegen anders lautender Pressemeldungen gab es keinen Einsatz in einem Wohnhaus, respektive einer Wohnung in der Rudolfstraße. Die Polizei löste keine sogenannte „Corona-Party“ auf. Stattdessen führte sie eine Maßnahme unmittelbar vor einem Spätverkauf durch. Dort schrieb sie Anzeigen gegenüber Menschen, die einkaufen wollten oder sich im näheren Umkreis befanden.
A und B: Korrekt!
Tatsächlich berichtete selbst die Polizei zunächst nur von einem Polizeieinsatz und keiner Party. Da bleibt die Frage wie ist es zu dieser Falschdarstellung in der regionalen Presse gekommen?
A: Ich kann mir vorstellen, dass sie tatsächlich gerufen wurden und so ein völlig falsches Bild der Situation hatten. Und im Nachgang muss man so einen Einsatz ja irgendwie rechtfertigen. Da die Coronamaßnahmen ja zum Glück bei den meisten gut ankommen, kommen Verstöße dagegen natürlich nicht so gut weg. Somit ist das Verständnis für Einsätze natürlich größer, wenn es heißt, dass gegen die Coronaschutzmaßnahmen verstoßen wurde und eine illegale Corona-Party aufgelöst werden konnte.
Ich meine: Die Polizei wird wegen angeblichen 15 Personen in einer Wohnung gerufen. Dort trifft sie schließlich sechs Personen an, die auch eine Anzeige erhalten haben sollen. Und jetzt gleiche ich das mit dem ab, was ich erlebt habe: Etwas mehr als ein dutzend Personen, die im Umkreis von vielleicht 20-30 Metern verteilt um mich herum standen, einige davon in der Warteschlange vor mir – draußen, auf dem Bürgersteig. Manche sind weggerannt, als die Polizei in unsere Richtung sprintete. Andere blieben stehen. Die sechs geschriebenen Anzeigen decken sich mit der Anzahl an Menschen, die vor Ort gestellt wurden.
Das wird in der Presse völlig ausgespart. Hätte es diese Corona-Party gegeben und wären dort sechs Anzeigen entstanden, dann müsste von insgesamt zwölf Anzeigen die Rede sein. Entweder hat die Polizei vergessen, dass sie auf der Straße aktiv war oder es gab die besagte Corona-Party schlicht und ergreifend nicht! Und was schreibt man dann in seinem Einsatzbericht? Sicher nicht, dass man Leute in einer Warteschlange und weitere Menschen, die sich an die Corona-Maßnahmen gehalten haben, kontrolliert und angezeigt hat.
B: Ich finde, hier haben die Cops mal wieder ganz schön über das Ziel hinausgeschossen. Klar müssen wir alles tun, um die Pandemie einzudämmen. Aber auch hier muss die Verhältnismäßigkeit gesehen werden, schließlich muss ich auch, wie so viele Andere, immer noch zur Arbeit gehen und da mit der Straßenbahn hinfahren.
Der Lockdown trifft größtenteils Bereiche, die Spaß machen. Kunst, Kultur und auch Soziales leiden, während in den Großraumbüros und auf Baustellen die Menschen sich einem immensen Ansteckungsrisiko aussetzen müssen.
Und dass die Pressemitteilung der Cops dann in den Medien eins zu eins kopiert wird, ist einfach schwach. Hier war niemand im Viertel, um mal nachzufragen, was wirklich los war. Da wünsche ich mir in Zukunft eine bessere Recherche, als dass die Leute jetzt hier als Coronaleugner:innen oder sowas schlimmes dastehen.
Vielen Dank für das Interview und bleibt gesund!
[1] Die Personen haben sich gewünscht, anonym zu bleiben, da sie nicht in mögliche weitere Ermittlungen der Polizei einbezogen werden möchten. Sie sind der Redaktion bekannt.
Veröffentlicht am 12. Januar 2021 um 19:13 Uhr von Redaktion in Soziales
Danke ADDN, dass wenigstens ihr mal nachfragt bei Leuten die vor Ort waren. Das wünsche ich mir auch von den größeren Zeitungen.