Soziales

„Abschiebehaft ist Freiheitsentziehung. Da ist jeder eingesperrte Tag zu viel“ Interview mit der Abschiebehaftkontaktgruppe

22. Dezember 2019 - 15:58 Uhr

Die Dresdner Abschiebehaftkontaktgruppe ist ein Zusammenschluss aus verschiedenen Initiativen und Einzelpersonen, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, die menschenunwürdigen Zustände im Dresdner Abschiebeknast an die Öffentlichkeit zur bringen. Die Gruppe möchte Sprachrohr für die Interessen, Bedürfnisse und Sorgen der inhaftierten Menschen werden und diesen Rechtsansprüche ermöglichen sowie Beistand, Beratung und Unterstützung anbieten. Sie lehnen Abschiebungen als auch die daraus resultierende Abschiebehaft als unmenschlich ab. addn.me sprach mit der Gruppe über aktuelle Entwicklungen und Zustände im Abschiebeknast und die Erwartungen an die neue Kenia-Koalition.

Wenn ihr Beistand und Unterstützung in Abschiebehaft anbietet, wie können wir uns eure Arbeit praktisch vorstellen? 

Uns erreichen wöchentlich Anfragen von Betroffenen aus der Haft. Dabei geht es vorwiegend um rechtliche Beratung. Hin und wieder kontaktiert uns auch der Unterstützer*innenkreis oder Verwandte oder Bekannte und benachrichtigen uns darüber, dass jemand in Haft ist. Wir informieren Betroffene über die Möglichkeit eines Rechtsbehelfs, also die Haftbeschwerde, und begleiten sie, parallel zu Anwält*innen, in dem Haftverfahren.

Ein anderer Teil unserer Arbeit ist die emotionale Unterstützung. In Haft zu sein, ist für viele Menschen erst einmal ein Schock. Der Kontakt zu vertrauten Menschen fehlt, der Haft“alltag“ ist stark reglementiert und der weitere Verlauf des Verfahrens ist ungewiss.  

Welche Hürden und Probleme treten bei eurer Arbeit immer wieder auf? Wo werden sowohl euch, als auch den inhaftierten Menschen Rechtsansprüche verwehrt?

Wir benötigen einen leichteren Zugang zu den Betroffenen. Wir sind mit wenigen Ausnahmen an die vorgegebenen Besuchszeiten gebunden. Es ist für uns als ehrenamtlich tätige Gruppe schwer, eine regelmäßige Beratung zu gewährleisten, wenn die Besuchszeit in unsere Arbeits- oder Vorlesungszeit fällt. Auch die inhaftierten Menschen sollten zu jeder Zeit die Möglichkeit einer unabhängig rechtlichen Beratung haben. 

Aber nicht nur auf bürokratischer Ebene gibt es Hürden, auch auf der rechtsstaatlichen Ebene gibt es schwerwiegende Defizite. Der Anwalt Peter Fahlbusch führt Statistiken über seine Abschiebehaftfälle. Er hat dokumentiert, dass zwischen 2001 und 2017 mehr als 50 Prozent seiner Fälle unrechtmäßig inhaftiert waren. Die Unrechtmäßigkeit wurde durch Gerichte rechtskräftig so entschieden, da die Formalien bei den Verfahren sehr oft nicht eingehalten wurden. 

Abschiebehaft ist Freiheitsentziehung. Da ist jeder eingesperrte Tag zu viel. Solche Fehler dürfen nicht passieren.  

Wieviel Menschen sind gerade in Abschiebehaft und könnt ihr etwas über deren Alltag im Knast sagen?

Die Belegungszahlen erfahren wir leider nicht. Das ändert sich auch ständig. Menschen verbleiben dort zwischen ein paar Tagen und mehreren Monaten. Wir wissen, dass vom 3. Dezember 2018, also von der Eröffnung der Einrichtung, bis zum 1. Juni 2019 insgesamt 93 Personen inhaftiert waren. Das heißt, alle zwei Tage wird ein Mensch dort eingesperrt. 

Abschiebehaft ist eine Haft ohne Straftat. Betroffene, mit denen wir sprechen, fühlen sich kriminalisiert. Sie tragen das erste Mal Handschellen und Fußfesseln, befinden sich überhaupt das erste Mal in einem Knast. Das ist eine psychische Belastung. Häufig berichten uns Personen von Schlafstörungen, Schmerzen, Herzrasen und anderen physischen Beschwerden, die mit dem Stress zusammenhängen. 

Der Haftalltag lässt sich so beschreiben: Es gibt mindestens eine Stunde Hofgang und maximal eine Stunde Internet pro Tag, einen Gemeinschaftsfernseher und Sportraum, Telefone mit Kamerafunktion sind nicht erlaubt, deshalb werden die Telefone der Betroffenen abgeschlossen und sie bekommen Leihgeräte ohne Kamera ausgehändigt. Kochmöglichkeiten gibt es nicht. Das Essen wird von einem externen Lieferdienst bereitgestellt. Manche Personen haben aufgrund von sprachlichen Barrieren nicht viel Kontakt zu anderen Menschen in der Haft. Dieser reglementierte Tagesablauf ist eine zusätzliche Belastung. 

Über Erfolge zu sprechen, fällt gerade in einem solchen Kontext schwer, aber dennoch, wo seht ihr Erfolge in eurer Arbeit?

Die Erfolgsquoten von Peter Fahlbusch motivieren uns für unsere Arbeit, auch wenn wir diese noch nicht verzeichnen. Wir freuen uns über kleine Erfolge. In einigen Fällen können wir noch einen großen Stein ins Rollen bringen. Kürzlich haben wir einen Familienvater betreut, der kurz vor dem Wochenende inhaftiert wurde und Dienstagmorgen schon abgeschoben werden sollte. Uns blieb kaum Zeit zum Handeln. Mit Hilfe der Familie und einer Rechtsanwältin konnten wir noch viel bewegen. Aus uns bisher unbekannten Gründen wurde der Vater am Dienstag jedoch nicht abgeschoben, sondern noch am gleichen Tag aus der Haft entlassen. 

Gibt es gerade Sachen, welche ihr besonders thematisieren möchtet und wie können Menschen euch dabei unterstützen?

Wir möchten die Menschen aus der Haft sprechen lassen. Deshalb ist ein wichtiger Teil unserer Öffentlichkeitsarbeit, Einzelfälle zu thematisieren. Wir möchten der Öffentlichkeit zeigen, was in der Abschiebepraxis passiert, wie Grundrechte verletzt und Familien getrennt werden. 

Wir freuen uns über Unterstützung und Zuwachs in der Gruppe. Das muss nicht unbedingt für die rechtliche Beratung sein. Es ist einfach schöner, eine Knastbegleitung dabei zu haben. 

Mit den Grünen ist jetzt eine Partei an der sächsischen Regierung beteiligt, welche zumindest in der letzten Legislaturperiode die Abschiebepraxis in Sachsen kritisiert hat. Welche Hoffnung habt ihr in die Kenia-Koalition? Wo gibt es vielleicht im Koalitionsvertrag erste Änderungen?

Es ist nicht vielversprechend. Im Koalitionsvertrag wird eher der Status Quo zitiert. Dass zunächst mildere Mittel zur Abschiebehaft geprüft werden sollen, ist schon im Aufenthaltsgesetz geregelt. Ebenso wird eine unabhängige Rechtsberatung erwähnt. Diese wird bereits von uns gewährleistet. Nur ein Sprechzeitenmodell steht nach wie vor im Raum. Wir als Abschiebehaftkontaktgruppe erhoffen uns im Sinne der Inhaftierten eine deutliche Unterstützung durch progressive Kräften aus der Koalition.

Jenseits von Regierungspraxis und Parlamentarismus, welche Wünsche und Hoffnung habt ihr an eine kritische Öffentlichkeit sowie Menschenrechtsaktivistinnen und Menschenrechtsaktivisten in Sachsen?

Wir haben den Wunsch, dass die kritische Öffentlichkeit und Aktivist*innen in Kontakt und Austausch mit uns treten und wir gemeinsame Formate finden, um Abschiebehaft weiter zu thematisieren. Kontakt mit uns könnt ihr übrigens über folgende Seite aufnehmen: https://www.abschiebehaftkontaktgruppe.de/

Danke, für das Gespräch und viel Kraft für die weitere Arbeit!

Danke auch an euch! 


Veröffentlicht am 22. Dezember 2019 um 15:58 Uhr von Redaktion in Soziales

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