Von falschen Entscheidungen und fehlendem Willen
18. Februar 2010 - 18:43 Uhr - 4 Ergänzungen
Nur wenige Tage nach der erfolgreichen Verhinderung von Europas größtem Naziaufmarsch soll dieser Artikel die Defizite der zuständigen staatlichen Behörden an diesem Tag aufzeigen. Mit der Verlegung des Nazitreffpunkts auf die Neustädter Elbseite entledigte sich die Stadt zwei in ihren Augen großen Probleme. Zum einen den imageschädigenden Bildern tausender Nazis vor historischer Altstadtkulisse und zum anderen der Kritik am eigentlichen Gedenken an diesem Tag.
Mehr als zehntausend Menschen bildeten im Zentrum Dresdens eine 1.5 Kilometer lange Menschenkette, um die Stadt symbolisch vor den Nazis aber auch die Vereinnahmung des Gedenkens zu schützen. Nur wenige Kilometer entfernt sorgten ebenfalls tausende Menschen mit friedlichen Sitzblockaden dafür, dass der Naziaufmarsch zum ersten Mal nach mehr als zehn Jahren verhindert werden konnte. Der zivile Ungehorsam tausender Bürgerinnen und Bürger fand in der abschließenden Beurteilung des Tages durch Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz keine Erwähnung und ist bezeichnend für das Zusammenspiel von Staatsanwaltschaft, Ordnungsamt und der Polizei in den Tagen vor und nach dem Aufmarsch.
Am 13. Februar versuchten mehrere tausend Nazis aus ganze Europa ihre seit mehr als zehn Jahren als Trauermarsch angemeldete Demonstration durchzuführen. Im Vorfeld der Demonstration hatte die Dresdner Staatsanwaltschaft über mehrere Wochen versucht, ein breites Bündnis aus zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Gruppen zu kriminalisieren, um damit einen sichtbaren Protest gegen den größten Naziaufmarsch zu verhindern. Noch in den Tagen vor den letztendlich erfolgreichen Massenblockaden am Samstag, hatten in einigen Fällen staatliche Sicherheitsorgane versucht, Druck auf Busunternehmen auszuüben, um Fahrten nach Dresden im letzten Moment zu verhindern.
Das Dresdner Ordnungsamt verfolgte eine andere Strategie. Während die Nazis in den vergangenen Jahren immer wieder durch Teile der restaurierten Altstadt marschieren durften, verlegten die Stadt den Beginn des Aufmarsches in diesem Jahr demonstrativ auf die gegenüberliegende Elbseite zum Neustädter Bahnhof. Der Bahnhof war im Nationalsozialismus nicht nur ein militärischer Knotenpunkt für den deutschen Vernichtungskrieg im Osten, sondern auch Ausgangspunkt für zwei Deportationszüge mit Dresdner Jüdinnen und Juden in das Ghetto nach Riga und das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Daran erinnert heute am Bahnhofseingang eine Gedenktafel.
Obwohl nach § 15 des bundesdeutschen Versammlungsgesetzes Versammlungen an Orten nationalsozialistischer Gewalt- und Willkürherrschaft verboten werden können, orientierte sich das zuständige Dresdner Ordnungsamt an den Maßgaben des vor wenigen Wochen ungeachtet juristischer Bedenken verabschiedeten neuen sächsischen Versammlungsgesetzes. In der sächsischen Variante des Verammlungsgesetzes wurde der entscheidende Paragraph 15 um zwei Opfergruppen ergänzt. Verbote können demnach auch für Orte erteilt werden, die im Zusammenhang mit sogenannter kommunistischer Gewaltherrschaft oder allgemein „Opfern von Kriegen“ stehen. Aus diesem Grund wurden in Sachsen die erst 2005 wieder eröffnete Frauenkirche in Dresden und das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig zu Orten von historischer Bedeutung und damit zu Verbotszonen. Diese offensichtliche Gleichsetzung von Opfern nationalsozialistischer Greuel mit denen der DDR-Diktatur und deutschen Bombenopfern im Zweiten Weltkrieg wird spätestens dann zu einem Problem, wenn wie im Fall des 13. Februars der Würde der deutschen Opfer alliierter Bombardierungen ein höherer Schutz eingeräumt wird, als den eigentlichen Opfern im Nationalsozialismus.
Ein weiterer Akteur am 13. Februar war die an einigen Stellen sichtlich überforderte Polizei. Am frühen Nachmittag zog eine große Gruppe mit mehreren tausend Nazis ohne nennenswerte Polizeibegleitung in einer Spontandemonstration zum eigentlichen Kundgebungsort am Schlesischen Platz (Video | Fotos 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8). Dabei griffen Nazis im alternativ geprägten Dresdner Hechtviertel immer wieder Stadtteilbewohnerinnen und Stadtteilbewohner an (Video | Fotoserie 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6).
Es sei „nicht sein Problem“, wie die Nazis anreisten.
Polizei-Einsatzleiter Ludwig Gerhardt Danzl
Nicht den mehr als 7.300 Uniformierten, sondern dem entschlossenen aktiven Widerstand hunderter Antifaschistinnen und Antifaschisten ist es letztendlich zu verdanken, dass es nur zu wenigen Verletzten auf Seiten der Nazigegnerinnen- und gegner kam. Nur wenige Minuten nach den Angriffsversuchen auf der Fichtenstraße, versuchte eine größere Gruppe gewalttätiger Nazis das alternative Zentrum Conni auf der Rudolph-Leonhard-Straße zu attackieren, auch dabei kam es zu Stein- und Flaschenwürfen. Der an diesem Tag eingesetzte Twitter der Gegenseite hatte in einer mittlerweile gelöschten Meldung die Nazis auf das linke Kulturzentrum als potentielles Angriffsziel aufmerksam gemacht. Es wird ein Rätsel der Einsatzleitung an diesem Tag bleiben, wieso die Polizei mehr als 3.000 Nazis den Umweg über das Hechtviertel laufen ließ, anstatt sie auf direktem Weg von der Autobahnabfahrt Wilder-Mann zur Kundgebung zu eskortieren.
Höhepunkt des Versagens der Ordnungskräfte an diesem Tag waren drei fehlgeleitete Nazibusse aus Schmalkalden und Brandis am Bischofsweg in Höhe der Schauburg (Fotos 1 | 2 | 3 | 4), die direkt zu einer der zahlreichen Blockaden rund um den Neustädter Bahnhof geschickt wurden. Um die Situation weiter zu eskalieren, setzte die Polizei bei Minusgraden einen Wasserwerfer gegen eine friedliche Sitzblockade ein und verletzte mehrere Menschen durch den Einsatz von Pfefferspray.
In den Medien musste am Abend der Eindruck entstehen, als ob die weit vom eigentlichen Ort des Geschehens entfernte Menschenkette in der Innenstadt, den Naziaufmarsch verhindert hätte und nicht tausende extra angereiste Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten. Das eigentliche politische Ziel der Entscheidung den Naziaufmarsch an den Neustädter Bahnhof zu verlegen war es, die Neustädter Elbseite zum Schauplatz für Auseinandersetzungen zu machen, um damit Bilder von Demonstrationen in der Altstadt zu verhindern. Gleichzeitig sollte damit einer inhaltlich Auseinandersetzung mit dem fragwürdigen Gedenken in der Altstadt entgegengewirkt werden. Zur offiziellen Gedenkveranstaltung am Abend des 13. Februars hatten sich an der Frauenkirche im Unterschied zu den vergangenen Jahren nur wenige hundert Menschen eingefunden.
Blockaden sind „nicht unbedingt […] das geeignete Mittel“, weil sie „zu Aggression und Gewalt“ führten.
Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU)
Nicht einmal zwei Stunden nachdem die Polizei die stationäre Kundgebung nach Angriffsversuchen und Gewaltdrohungen der Nazis (Video) für beendet erklärt hatte, randalierten hunderte Nazis ohne Polizei in Pirna und zerstörten die Scheiben eines Büros der SPD.
In der abschließenden Bilanz der Dresdner Polizei am Abend des 13. Februars wird dann bei einem Blick auf die Zahlen deutlich, wo auch in diesem Jahr der Schwerpunkt der eingesetzten Beamtinnen und Beamten gelegen hat. Gerade einmal acht der ingesamt 29 in Gewahrsam genommenen Personen gehörten zum Lager der Rechten. Unterdessen prüft die Dresdner Staatsanwaltschaft nach den überwiegend friedlichen Blockaden tausender Menschen ein Verfahren gegen die Anmelder der Versammlungen. Der Vorwurf ist ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.
Die Verhinderung des Dresdner Neonazi-Aufmarsches ist „eine Niederlage für den Rechtsstaat“, denn damit hätten sich die Neonazi-Gegner „über Recht und Gesetz hinweg gesetzt“.
Chemnitzer Politologe Eckhard Jesse
Von Anzeigen oder Verfahren gegen Nazis wegen Volksverhetzung wurde indes nichts bekannt. Wie in den vergangenen Jahren, hatten sie auch in diesem Jahr die Luftangriffe der westlichen Alliierten auf Plakaten als Bombenholocaust bezeichnet und damit wiederholt die Würde der jüdischen Opfer des Zweiten Weltkriegs mit den Füßen getreten (Fotos 1 | 2).
Veröffentlicht am 18. Februar 2010 um 18:43 Uhr von Redaktion in Freiräume, Nazis, News
Guten Tag, werte Damen und Herren,
da ich selbst Bewohner des Hechtviertels bin muss ich mich doch nun einmal äußern. Besonders die Fotos + Video der angreifenden Nazi´s sind meiner Meinung nach vollkommen aus dem Kontext gerissen und spiegeln keines Falls den wirklichen Ablauf wieder. Bitte versteht mich nicht falsch ich möchte auch keine Nazis, weder hier noch anderswo. Ich bin der Meinung, und die bilde ich mir aus dem was ich wahrgenommen habe, das die Nazis erst angegriffen haben als sie aus einer Menge von Menschen herraus mit Steinen und sonstigem Wurfgeschossen angegriffen wurden. Nun gut Gewalt erzeugt Gegengewalt mag nun der ein oder andere sagen nur dennen scheint die Tragweite des ganzen nicht bewusst zu sein. Für mich bedeutet antifaschistischer Widerstand das man für die Wahrheit kämpft und diese auch mit allen Mittel (Vorsicht! Keine Gewalt den die ist scheisse egal von wem) verteidigt. Deshalb sollte man das nicht wie Bild, Spiegel und Co handhaben und nur das wiedergeben was einem schmeckt. Selbes Kommentar habe ich schon bei Indy gepostet nur das es dort gelöscht wurde.