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Status Quo: „Nicht viel zu gewinnen, doch viel zu verlieren.“

16. November 2023 - 13:00 Uhr

Ein Debattenbeitrag der Undogmatischen Radikalen Antifa Dresden

Status Quo ist eine Debatten-Reihe über den Rechtsruck in Dresden, geschrieben von linken, emanzipatorischen sowie progressiven Gruppen.

Alarmismus ist allgegenwärtig, denn die AfD ist im Umfragenhöhenflug und die bürgerliche „Brandmauer“ bröckelt. Dabei konnte, ja musste, man es wissen und auch aktiv etwas dagegen tun, gegen den Rechtssog hier im Land. Doch jetzt holt die Realität Deutschland ein und die Ratlosigkeit ist groß. Eine Realität, auf die immer und immer wieder hingewiesen wurde. Als Teil der antifaschistischen Sachsenvernetzung Wasteland hat die Kampagne Veto! gegen jeden Rassismus schon 2014 auf die völkisch-rassistischen, antifeministischen und antisemitischen Inhalte der AfD aufmerksam gemacht.1 Antifaschist*innen skandalisieren ständig und bundesweit die menschenverachtenden Ideen und Äußerungen der AfD sowie deren Kontakte und Überschneidungen zur extremen Rechten. Aber wer hört schon auf die Nestbeschmutzer der Antifa? Äquidistanz wird schließlich groß geschrieben, während sich „die Mitte“ einen braunen Hals dabei holt dem autoritären Charakter in den Arsch zu kriechen. Weil man immer noch dem Irrglauben aufsitzt, Wähler*innen (zurück-)gewinnen zu können, wenn man rechte Narrative bedient.

Aber wir wollen uns nicht an der AfD abarbeiten. Sie demaskiert sich jeden Tag selbst aufs Neue. Die Fakten liegen auf dem Tisch und skandalisieren lässt sich auch eh nichts mehr. Wie auch? So zeigt der Fall Aiwanger, dass die Wähler*innen sich nicht von menschenverachtenden Inhalten und Populismus abschrecken lassen, im Gegenteil. Sie wählen rechts nicht trotz, sondern wegen deren Positionen. War es ehemals noch verpönt die NPD zu wählen, obwohl man deren Ideologie – den Antisemitismus, Rassismus, … – teilt(e), ist es heute überhaupt nicht mehr anrüchig den Faschist*innen der AfD die Stimme zu geben. Is’ halt normal.

Bitte versteht uns nicht falsch! Die AfD ist mehr als gefährlich und gehört bekämpft – immer und überall und auf allen Ebenen. Denn sie wirkt. Unseres Erachtens aber, ist die eigentliche Gefahr, im Wortsinne, die bürgerlich-konservative Traditionslinie und ihr Wirken. So wurde die Weimarer Demokratie nicht zwischen „Links“ und „Rechts“ zerrieben, sondern die bürgerlich-konservativen Kräfte brachten die Nazis an die Macht. Und warum? Richtig! In der Hoffnung darauf ihren Besitzstand und ihre Macht bewahren zu können. Man könnte meinen, dass das schief ging. Aber während die Opfer der deutschen Barbarei teils bis heute auf Restitutionen warten, ging es für die herrschende Klasse nach 1945 fast bruchlos weiter. Der „große Frieden mit den Tätern“, zum Wohle der Normalisierung und schlussendlich eines Schlussstriches, war wichtiger als eine wirkliche Aufarbeitung. Von da an gibt es eine Kontinuität des Revisionismus und der Normalisierung. Persilscheine, Schlussstrichdebatten, Historikerstreit, nationaler Taumel Anfang der 1990‘er und überhaupt: „Du bist Deutschland!“

Aber was hat das jetzt mit der Wahl im kommenden Jahr zu tun?

Die oben beschriebene Traditionslinie, die Normalisierung des vermeintlich Überwundenen, führte dazu, dass die AfD wirken konnte und wirkt. Konkret bedeutet es, dass es einer deutlicheren und vehementeren Kritik an CDU, FDP und Co. bedarf. Wir müssen aufzeigen, dass menschenverachtende Ideen und Politik keine Phänomene des rechten Randes sind! Auch wenn die parlamentarische Einflussnahme der AfD nicht so gravierend ausfiel wie auch wir befürchtet hatten, hat sich der Diskurs weiter verschoben. Er verroht zusehends und immer weiter. So ist es nun nicht mehr nur normal den Hass und die Hetze vom Stammtisch auf die Straße zu tragen, nein. Im Sinne falsch verstandener demokratischer Grundrechte ist es nun seit Jahren Usus, dass man mit Rechten redet, anstatt die Grenzen der Toleranz zu verteidigen und menschenverachtende Inhalte und Ideen vehement zu bekämpfen. Hier ein Interview, da eine Talkshow und dort eine Homestory. Und wenn rechte Narrative dann erst Mainstream sind, verwundert es nicht, wenn in den Medien und im Bierzelt auch Vertreter*innen der Parteien mit vorgeblich christlichem Menschenbild Geflüchtete wieder und weiter entmenschlichen. Und auch SPD und Grüne stehen Gewehr bei Fuße, wenn es darum geht den Volkszorn zu besänftigen, indem auch das letzte bisschen Asylrecht abgeschafft werden soll. Dann spielen auch Sozial- und Klimapolitik keine Rolle mehr.

Der Erfolg der AfD und menschenverachtender Einstellung resultiert aber nicht nur aus besagten Kontinuitäten und der Normalisierung Deutschlands. Es geht auch um „Wir“ gegen „Die“ und um den Standort und seine Rolle im globalen, neoliberalen Wettbewerb.

„Der neoliberale Wettbewerbswahn fördert die politische Rechtsentwicklung in vielen Gesellschaftsbereichen und führt zur Ab- bzw. Ausgrenzung von Schwächeren, Minderheiten, und sogenannten Randgruppen. […] Neoliberalismus ist mehr als Marktradikalismus. Durch seine Fixierung auf den Leistungswettbewerb mit anderen Wirtschaftsstandorten schafft er auch einen idealen Nährboden für Standortnationalismus, Sozialdarwinismus und Wohlstandchauvinismus.“2

Für den Standort Deutschland konstatiert Oliver Decker zudem: 

„In Deutschland ist es aber nicht die befürchtete eigene Deprivation, die zum Fremdeln mit der Demokratie führt, sondern die nationale.“ Wenn die Befürchtung verbreitet ist, dass es „uns“ als Nation ökonomisch schlechter geht, dann steigt die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen. Es ist nicht die eigene Lage, sondern die Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung des ganzen Landes, die ausschlaggebend ist.“3 Kurz: Die Gesundheit des Volkskörpers über alles!

Geht noch was im „Wasteland“?

Die Schlussfolgerungen daraus sind keine neuen und müssen hier wohl nicht weiter Ausdruck finden. Zudem bedarf es einer sozialen Opposition. Auch in den Parlamenten. In den letzten Jahren wurden vor allem die Grünen als eben diese gesehen. Die Grünen versprachen eine sozial-ökologische Politik und nun? Der Asylkompromiss und andere „Kompromisse, aber mit Bauchschmerzen“ lassen uns nicht nur das sozial in Frage stellen, sondern auch das ökologisch. Sie sind also keine Alternative, auch nicht aus „taktischen“ Gründen. Aber was können wir im Speziellen tun? Aufrufe zur Wahl? Klar ist, dass wenn Die Linke weiter in der Bedeutungslosigkeit verschwindet, für viele Menschen und Projekte strukturelle und finanzielle Hilfen wegfallen würden. AfD-Verbot unterstützen? Oder weiter im Klein-Klein daran scheitern, aus der eigenen Bedeutungslosigkeit herauszukommen?

Wir haben immer noch keinen Masterplan oder DIE Idee, wie wir unter den momentanen Zuständen die befreite Gesellschaft erreichen, oder wenigstens etwas an den herrschenden Zuständen ändern könnten. Was wir aber können, ist dazu zu animieren, dass wir untereinander solidarisch sind. Ja, unbedingt auch kritisch. Wir müssen weiterhin gemeinsam versuchen Ideen zu spinnen, um den Status Quo ein wenig zu nerven. Erfolge auch mal „feiern“! Eine Pride in Bautzen, die AfD in Löbtau stören, den Antifaschistischen Jugendkongress in Karl-Marx-Stadt oder, dass es die Forderung „Gedenken abschaffen!“ wieder in den öffentlichen Diskurs geschafft hat. Wir müssendas, was wir uns über die Jahrzehnte geschaffen haben verteidigen und aufeinander aufpassen! Wir bleiben hier und machen weiter. Wir werden weiter versuchen Kämpfe zu verbinden und auch Feuerwehr zu spielen, wenn es notwendig ist. Denn: Auch wenn es gerade nicht viel zu gewinnen gibt, so haben wir doch sehr viel zu verlieren.

Bisher in der Reihe erschienene Debattenbeiträge:


  1. https://wasteland.noblogs.org/page/3/ ↩︎
  2. Butterwegge (2011): Rechtsextremismus, Marktradikalismus und Standortnationalismus; In: Lösch/Thimmel (2011): Kritische politische Bildung. Ein Handbuch. 2. Auflage. ↩︎
  3. https://taz.de/Rechtsextremismusexperte-ueber-Rechtsruck/!5958358/ ↩︎

Veröffentlicht am 16. November 2023 um 13:00 Uhr von Redaktion in News

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