Sächsische Polizei ermittelt gegen Letzte Generation – Großer Lauschangriff auf den Dresdner Stadtrat?
19. September 2023 - 15:13 Uhr
Die Dissidenten-Fraktion des Dresdner Stadtrat veröffentlichte auf ihrer Website ein Schreiben der Polizei Sachsen vom 31. August 2023, in dem sie aufgefordert werden, eine Zeug:innenaussage zu machen. Es handelt sich um ein Verfahren gegen Mitglieder der Letzten Generation, wegen Nötigung. Die Ermittlungen stehen in Zusammenhang mit einem bei der Generalstaatsanwaltschaft München anhängigen Verfahren. Diese wirft der Letzen Generation die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ vor, strafbar als § 129 StGB. Laut Dissidenten liegt der Verdacht nahe, dass der Oberbürgermeister (OB) und der Stadtrat von Überwachungsmaßnahmen der Polizei betroffen gewesen sein könnten.
Das Schreiben der Sächsischen Polizei bezieht sich auf eine E-Mail, die von der Letzten Generation an den Stadtrat und den OB gesendet worden ist. In ihr fordert die Gruppe die verantwortlichen Politiker:innen zu mehr Klimaschutz auf. Sie kündigt außerdem an ihre Aktionen im Dresdner Stadtgebiet zu intensivieren, sollte die Stadt den Forderungen nicht nachkommen. Konkret ging es darum, einen Gesellschaftsrat auf Bundesebene zu Klimaschutzmaßnahmen einzuberufen. Dafür wünschte sich die Letzte Generation die Unterstützung des Stadtrates und des OBs. Die Polizei scheint hier einen Akt der Nötigung zu sehen, strafbar als § 240 StGB.
Im selben Verfahren ist laut den Dissidenten auch ein Dresdner Journalist von einer Überwachungsmaßnahme der Staatsanwaltschaft München betroffen gewesen. Dieser habe beruflich Kontakt mit einem Mitglied der Letzten Generation gehabt und sei dabei überwacht worden. Die Polizei habe ihn im Nachhinein davon in Kenntnis gesetzt. Zwar ist bisher nicht bekannt wen die Polizei bei ihren Ermittlungen im Visier hat, doch es gibt mindestens einen Dresdner, der Beschuldigter in einem Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft München ist. Es handelt es sich um Christian Bläul. Dieser war wiederholt von Ermittlungsmaßnahmen betroffen und ist damit auch an die Öffentlichkeit gegangen. Auf Twitter berichtete er im Juli 2023, Abhörmaßnahmen seines Telefons seien in München angeordnet worden, nach § 100g StPO.
Bayrische Behörden jagen kriminelle Vereinigung
Das Bayrische Landeskriminalamt steht schon länger in der Kritik wegen der umfangreichen Ermittlungen nach § 129 StGB gegen die Letzte Generation. Maßnahmen, die sowohl im Zuge der Ermittlungen als auch zur Verhinderung von Blockaden durchgeführt wurden, wurden von Jurist:innen und Menschenrechtsinitiativen sogar als verfassungs- und menschenrechtswidrig bewertet. Unter anderem war auch ein Pressetelefon der Gruppierung abgehört worden, welches ganz offensichtlich einzig dem Zweck diente, Pressearbeit zu koordinieren und mit Journalist:innen in Kontakt zu treten. Im Juli 2023 kündigten zwei betroffene Pressevertreter:innen an, die Maßnahme vor Gericht prüfen zu lassen. Der Vorsitzende des Bayrischen Journalisten Verbandes Harald Stocker unterstützt diesen Schritt: „Wir erwarten, dass die Justiz dieses Vorgehen klar als unrechtmäßigen Eingriff in die Pressefreiheit wertet, damit es sich nicht wiederholt.“
Der Vorwurf „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ eröffnet zahlreiche Möglichkeiten der Ausspähung und Überwachung, wie sie zuletzt auch im sogenannten Antifa Ost Prozess öffentlich geworden waren. Vor allem Telefone sind bei Ermittler:innen begehrte Quellen, da sie immer mehr Informationen über den Alltag und auch über die politische Arbeit von Aktivist:innen enthalten. Überwachungen des Inhalts von Telefonaten sind dabei noch die seltenere Maßnahme. Noch viel häufiger werden sogenannte Metadaten abgegriffen, die Auskunft über den Standort und Bewegungen des Zielgerätes geben. Der Paragraf ist bekannt dafür, in erster Linie eingesetzt zu werden, um politische Gruppen und Vereine zu überwachen und zu stigmatisieren. Wer mit Beschuldigten Kontakt pflegt oder die selben Orte besucht, gerät schnell selbst in das Raster der Ermittlungen. Der Berliner Rechtsanwalt Peer Stolle spricht von einer „Uferlosigkeit der Verfahren“. Selten landen Verfahren nach Abschluss tatsächlich vor Gericht. Wesentlich häufiger werden sie nach vielen Jahren der laufenden Überwachung heimlich, still und leise eingestellt.
In der letzten Stadtratssitzung antwortete der OB verhalten auf die Frage, ob er Kenntnisse von Überwachungsmaßnahmen gegen Stadtratsmitglieder habe. Die Dissidenten forderten ihn schriftlich auf, bei der Staatsanwaltschaft nachzufragen. Sicher ist, dass auch viele Privatpersonen von Maßnahmen betroffen gewesen sein können, ohne jemals davon zu erfahren. Es liegt im Interpretationsspielraum der Staatsanwaltschaft Betroffene in Kenntnis über die Maßnahmen zu setzen. Und überwacht werden die Mitglieder der Letzten Generation ganz offensichtlich nicht nur in Dresden oder Bayern, sondern bundesweit. Wie auf solche Einschüchterungsversuche am Besten reagiert werden kann, hat im März diesen Jahres die Dissidenten-Fraktion vorgemacht. Als bundesweit über die Letzte Generation diskutiert wurde, trafen sich mit den Aktivist:innen der Letzten Generation zum Plausch: zusammenrücken statt spalten.
Veröffentlicht am 19. September 2023 um 15:13 Uhr von Redaktion in News, Ökologie