Rechte Schläger im Kapuzenpulli
28. April 2009 - 10:43 Uhr
Von Olaf Sundermeyer, Dortmund
Palästinensertuch, Sonnenbrille, schwarzer Kapuzenpulli: Die militanten Rechten von den „Autonomen Nationalisten“ kopieren den Stil der Linksautonomen – und schlagen gern zu. Am 1. Mai werden sie wieder als schwarzer Block auftreten. Die Polizei rechnet mit Krawall.
In ein paar Tagen werden aus dem östlichen Ruhrgebiet wieder die Busse losfahren. Vollgepackt mit Neonazis im neuen Gewand, das sie am 1. Mai zeigen werden. Im schwarzen Block, den sie eigentlich in Hannover stellen wollen. Dafür mobilisieren sie seit Monaten. Aber der Polizeipräsident und ein Gericht haben etwas dagegen, weil sie mit gewaltsamen Ausschreitungen aus eben dieser Szene rechnen.
Es geht um die Autonomen Nationalisten (AN), eine wachsende gewaltbereite Gruppe, die straff organisiert ist und plötzlich losschlagen kann. Wie beim 1. Mai 2008 in Hamburg, als sie an den gewalttätigsten Krawallen beteiligt waren, die die Stadt seit langem gesehen hatte. Eine ihrer Hochburgen ist Dortmund.
Die AN kopieren den linken Style, mit Kapuzenpullovern, schwarzen Baseball-Kappen, vermummt mit PLO-Tuch oder Sonnenbrille. Damit üben sie auf Jugendliche eine stärkere Anziehungskraft aus, als es die konventionelle rechte Szene bislang vermochte, hieß es dazu vor einigen Tagen im Bundesinnenministerium, als Minister Wolfgang Schäuble (CDU) ein Rekordhoch bei der politisch motivierten Kriminalität verkündete.
Verursacht vor allem durch die Aktivitäten der AN, die für Tausende von Sachbeschädigungen und Propagandadelikten verantwortlich sind. Und dann ist da noch die steigende Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen mit linken Jugendlichen. Auch im Verfassungsschutzbericht von Nordrhein-Westfalen nehmen die AN von Jahr zu Jahr mehr Platz ein. Im Düsseldorfer Innenministerium ist von einer „zunehmenden Energie“ die Rede, von der niemand genau weiß, wann und wo sie sich entlädt.
„Nationaler Sozialismus“, „Frei, sozial und national“ oder „Autonom, militant, Nationaler Widerstand“, so lauten ihre Schlachtrufe bei Aufmärschen. Inzwischen versuchen Neonazis auch den traditionellen Erinnerungstag der Linken, den Tag der Arbeit, mit ihrer Forderung nach einem nationalen Sozialismus zu besetzen.
„Falls Hannover verboten bleibt – wohin fahrt ihr dann?“, fragt deshalb einer im Internet-Forum der sehr aktiven AN-Gruppe „Nationaler Widerstand Dortmund“. – „Informationen über Ersatzaktivitäten werden kurzfristig intern verbreitet. Wende dich diesbezüglich bitte an die üblichen Verdächtigen“, antwortet Dennis Giemsch, Kopf der lokalen Szene. Vor einigen Tagen hatte er bereits ein Konzert veranstaltet, um Geld für die Busfahrt am 1. Mai zu sammeln. Vielleicht geht der Ersatzausflug ja nach Tschechien. Dort radikalisiert sich die Szene massiv. Man unterstützt sich gegenseitig, die AN ist längst eine europäische Bewegung.
Auch im tschechischen Brno wollen die Neonazis des „Narodni odpor“ (Nationaler Widerstand) aufmarschieren. Ihre Internet-Seite wird aus Dortmund betreut. Im September waren die Tschechen dort zu Besuch, beim „Antikriegstag“, aus dem Giemschs Gruppe ein Fanal machte. Die Erinnerung an den Kriegsbeginn, den Angriff Hitler-Deutschlands auf Polen im Jahr 1939, missbrauchen sie schon seit einigen Jahren, um Deutsche als Kriegsopfer zu stilisieren. Mehr als 1100 Neonazis brachten sie im vergangenen Jahr auf die Straße. Die Demonstration ist auf Jahre hinaus angemeldet. Die Auseinandersetzung mit den Neonazis ist längst ein Politikum in der Stadt, in der sich die rechte Szene schleichend weiter ausbreitet.
2. Teil: Die AN stehen auch auf Schulhöfen – weil viele selbst noch Schüler sind
Auch für den Verfassungsschutz sind die AN eine echte Herausforderung. Aus einem einfachen Grund: „Viele von uns machen hier mit, weil wir als Nationalisten anonym bleiben wollen. Deshalb werden wir auch immer mehr“, sagt einer, der in Dortmund dabei war, um Gleichgesinnte zu treffen. Niemand weiß genau, wie groß die Gruppe der AN inzwischen ist. Offizielle Schätzungen variieren deutschlandweit um ein paar Hundert. Um ein Vielfaches höher ist die Sympathisantenszene.
Noch ist es vor allem ein Großstadtphänomen. Die Dortmunder Wortführer leben in einer Wohngemeinschaft im westlichen Stadtteil Dorstfeld, nicht weit von der Universität. Von hier aus versuchen sie die dortige Jugendkultur zu dominieren. Mit ihren „Spuckis“- den handlichen Klebezetteln mit der Forderung nach einer „Todesstrafe für Kinderschänder, 0 Prozent Rückfallquote“ – sind Laternenpfähle, Mülleimer und der S-Bahnhof übersät.
Einzelne Schulen werden regelmäßig mit Flugblattaktionen heimgesucht. Anders als beispielsweise die rechtsextreme NPD, die ihre Funktionäre vor die Schulen schickt, stehen die AN auch auf den Schulhöfen, weil viele selbst noch Schüler sind.
In der Stadt agitieren sie auf dem Hauptbahnhof, in der Fußgängerzone, auf der Südtribüne des BVB-Stadions, und in Kneipen, wo sie niemand als Neonazis ausmacht. Die AN sind so etwas wie eine Stadtguerilla, eine Art außerparlamentarische Opposition von rechts. Manche sind ausschließlich erlebnisorientiert, andere stark politisiert. Rassistisch, antisemitisch, nationalistisch, globalisierungsfeindlich und antiamerikanisch.
Und alle sind sie sehr jung.
Der 23-jährige Giemsch gehört bereits zu den Veteranen der AN, die 2003 erstmals in NRW auffiel. Der Trend kam aus Berlin. Giemsch gibt sich als junger Mann mit bürgerlichen Umgangsformen, der in Jeans, Ringelsweatshirt und schwarzen ledernen Adidas-Schuhen steckt. Unter seiner Kappe schauen zwei braune Augen aus einem freundlichen Bubigesicht. Wie Giemsch sehen die Neonaziführer der Generation Internet aus, und sie bespielen ihre Gruppe professioneller als die gesamte NPD, die kaum Einfluss auf die AN hat.
Was ist eigentlich mit der NPD, Herr Giemsch?
„Ich wünsche ihr viel Glück auf ihrem Weg über die Parlamente, aber wir glauben nicht an die Demokratie“, sagt er und wirkt dabei echt gleichgültig. Wenn es so etwas gibt, sind Giemsch und seine Autonomen die ehrlicheren Neonazis. In diesem Jahr sind hier Kommunalwahlen. „Dabei werde ich jedenfalls nicht für die NPD kandidieren.“
„Abwarten“, sagt der Hamburger Neonazi Thomas Wulff, ein Parteirebell, der als Bindeglied zur Szene den freien Neonazikameradschaften im Bundesvorstand der NPD sitzt. „Leider lassen sich die jungen Leute immer wieder korrumpieren, die Verlockung ist einfach zu groß.“
In NRW sind die AN längst kein Flügel mehr, sondern eine wachsende Mehrheit innerhalb der Bewegung. Deshalb kämpft der NPD-Landesvorsitzende Claus Cremer auch um ihre Gunst: „Warum sollte nicht ein charakterstarker und disziplinierter Kamerad, der bei den autonomen Nationalisten aktiv ist und schon Jahre im nationalen Widerstand verbracht hat, auch auf einer NPD-Liste auftauchen?“
Aus: Christoph Ruf/Olaf Sundermeyer: „In der NPD – Reisen in die National Befreite Zone“; Beck’sche Reihe, 2009; 229 Seiten; 12,95 Euro
Quelle: Spiegel Online (27.04.09)
Veröffentlicht am 28. April 2009 um 10:43 Uhr von Redaktion in Nazis, News