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Reaktionen auf das totale Demonstrationsverbot in Dresden

21. Januar 2015 - 02:16 Uhr

Nach den gespenstischen Szenen am Montag in Dresden, bei der mehr als 1.600 Beamtinnen und Beamten ein von der Polizeidirektion Dresden am Sonntag erlassenes Versammlungsverbot durchsetzten (Fotos), herrscht am Tag darauf Katerstimmung. Trotz der Allgemeinverfügung hatten sich vor der Semperoper knapp 200 Anhängerinnen und Anhänger der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ eingefunden und auch an zahlreichen anderen Orten war es wie in Dresden zu Solidaritätsbekundungen mit PEGIDA gekommen. Zwar beließ es die martialisch an neuralgischen Punkten in der Stadt eingesetzte Polizei am Montag dabei, die Personalien von einigen wenigen Menschen aufzunehmen die sich dem Verbot widersetzten, dennoch wirft die schwere des Eingriffs in demokratische Grundrechte nicht zuletzt angesichts der für heute in Leipzig angekündigten Proteste tausender Menschen einige Fragen auf.

So äußerten sich am Dienstag etliche, auch staatliche, Stellen verwundert über die Entscheidung. Das Verbot sei allein auf Bestreben der Dresdner Polizei zurückzuführen gewesen. Die Verantwortlichen im Freistaat Sachsen, so ein ein hochrangiger Sicherheitsbeamter gegenüber der Süddeutschen Zeitung, „hat das ein bisschen hochgejazzt“ und weiter „auf dieser Grundlage sagt man keine Demonstration ab“. In Bedrohungslagen wie der vom Montag entscheidet das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) über operative Maßnahmen bei einer Gefährdungslage durch islamistischen Terrorismus. Die aus vierzig Sicherheitsbehörden zusammengesetzte Koordinierungsstelle wurde 2004 mit dem Ziel gegründet, die operative Arbeit zur internationalen Terrorismusbekämpfung zu verbessern. In Hinblick auf Dresden sollen sowohl das GTAZ, als auch das Bundeskriminalamt weder die Empfehlung ausgesprochen haben, die Veranstaltung von PEGIDA abzusagen, noch sie stattfinden zu lassen.

Auf die vom niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) gestellte Frage, warum parallel dazu auch die Gegenproteste verboten worden seien, soll der über Telefon zugeschaltete sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) geantwortet haben, dass potenzielle Attentäterinnen und Attentäter den Unterschied womöglich nicht hätten erkennen können. Wer Dresden und das Demonstrationsgeschehen kennt, könne „in der Tat zum großen Teil nicht unterscheiden, wer da demonstriert. Die Parolen, auch die Anzugsordnung, das war zum Teil sehr ähnlich“, bestätigte Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer in einem Interview mit dem Deutschlandfunk Ulbigs Behauptung. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) warnte im MDR 1 Radio Sachsen davor, das Verbot zur Dauerlösung werden zu lassen, dies sei nicht verfassungskompatibel. Ihr BDK-Bundesvorsitzender André Schulz bezeichnete das Vebot vom Montag als „fast einmalig in der deutschen Geschichte“. Um das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sicherzustellen, hätte die Polizei im Zweifelsfall zusätzliche Kräfte aus anderen Bundesländern anfordern müssen. Einen hundertprozentigen Schutz vor Anschlägen bei Großveranstaltungen, sei jedoch auch dann nicht gewährleistet. Nach Auffassung des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier hingegen seien Sicherheitsbehörden „nicht dazu da, Versammlungen zu verbieten oder sie aufzulösen, sondern vielmehr, sie zu schützen.“ Ein wie am Montag ausgesprochenes Versammlungsverbot, so Papier gegenüber der Rheinischen Presse, ist nur in Ausnahmefällen zulässig.

Diente dieser Nachrichten-Tweet als Grundlage für ein totales Demonstrationsverbot?

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Das für den Protest gegen PEGIDA mitverantwortliche Bündnis „Dresden Nazifrei“ reagierte schon am Sonntag auf das angekündigte Versammlungsverbot. Für sie entstünde zunehmend der Eindruck, als ob die Dresdner Polizei ein „existierendes logistisches Problem namens „Pegida“ mit dem Mittel des Verbots zu lösen“ sei und lehnten nicht nur diese gegen einen politischen Streit gerichtete Form der staatlichen Repression, sondern grundsätzlich auch Mord- und Terrordrohungen als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab. „Wer solche Mittel wählt, wird immer ein Stück Menschlichkeit in der Gesellschaft für seine politischen Zwecke opfern“. In Anbetracht der durch Anhängerinnen und Anhänger von PEGIDA im Internet seit Monaten immer wieder geäußerten massiven Gewaltdrohungen -und phantasien zeigte sich das Bündnis verwundert, wie wenig Bedeutung solchen Drohungen in der Vergangenheit als Grund für Grundrechtseinschränkungen an anderer Stelle eingeräumt wurde. Erst kürzlich war ein junger Student der größten Dresdner Universität für seinen Aufruf zu Protesten gegen PEGIDA mit mehr als einhundert Emails und etlichen an ihn persönlich gerichteten Kurznachrichten bedroht worden. Etwa zur gleichen Zeit waren ebenfalls zuvor im Internet verbreitete Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen die ehemalige Piraten-Politikerin Anne Helm von der Dresdner Staatsanwaltschaft Dresden als Satire eingeordnet worden.

Während der jahrelange CDU-Politiker und jetzige Brandenburger Landtagsabgeordneter der Alternative für Deutschland (AfD), Alexander Gauland, erst am Sonntag in der ARD-Talkrunde bei Günther Jauch von einem „Beginn der Islamisierung“ und „besorgniserregenden politischen Veränderungen im Land“ sprach, warnte die sächsische AfD-Fraktion gar vor einem „Handgranatenanschlag durch IS-Terroristen“. Die sächsische AfD-Vorsitzende Frauke Petry warf den etablierten Parteien vor, mit ihrer „konstanten Verunglimpfung“ der PEGIDA-Proteste, „die Situation nicht entspannt, sondern nur weiter verschärft“ zu haben. Sachsens CDU-Innenexperte Christian Hartmann äußerte sich nach der kurzfristig anberaumten Sitzung des Innenausschusses zurückhaltender. Obwohl Landespolizeipräsident Jürgen Georgie mitgeteilt habe, „dass für die Bürgerinnen und Bürger in der Landeshauptstadt Dresden kein erhöhtes Sicherheitsrisiko besteht“, sei das durch die Polizei erlassene generelle Verbot aller Versammlungen „folgerichtig“ gewesen. Auch Vertreter der sächsische SPD verteidigten das Totalverbot „angesichts der möglichen Gefahren für viele Menschen“ als gerechtfertigt. „Aus unserer Sicht hat die Polizei richtig entschieden“, so der Landtagsabgeordnete Albrecht Pallas am Montag. Sein Parteikollege Mario Pecher kündigte für die kommende Woche eine Regierungserklärung an, Sachsens Bürgerinnen und Bürger hätten „das Recht zu erfahren, warum eines ihrer wichtigsten Grundrechte beschnitten werden musste“. Zuvor hatte sich Dresdens Polizeipräsident Dieter Kroll in einer Stellungnahme erleichtert darüber geäußert, „dass das befürchtete Schreckensszenario nicht eingetreten ist“. Das von Kroll als „Einschränkung der Versammlungsfreiheit für 24 Stunden“ bezeichnete Verbot aller Versammlungen in der Stadt sei seiner Meinung nach „nicht das Ziel, sondern eine zwangsläufige und unausweichliche Wirkung“ gewesen.

Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Sächsischen Landtag, Rico Gebhardt, bezeichnete nach dieser ersten Sitzung im Innenausschuss das Verbot als „Armutszeugnis für die sächsische Demokratie“ und lehnte ein pauschales Versammlungsverbot ab. Alle Veranstaltungen zu verbieten, während gleichzeitig die „am meisten gefährdete Person bei der heutigen öffentlichen Pressekonferenz kaum geschützt wurde“, sei in seinen Augen „paradox“. „Die Allgemeinverfügung der Polizeidirektion Dresden und die dazu von der Staatsregierung abgegebenen Erklärungen führen in eine Sackgasse – auf dem Weg in eine Demokratie auf Abruf, die durch äußere Terror- und innere Eskalationsszenarien jederzeit außer Kraft gesetzt werden kann.“ Seine Fraktionskollegin Kerstin Köditz kündigte als Reaktion auf die Ereignisse eine Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission an. Der „Alleingang sächsischer Behörden“ habe sie „fatal an den früheren jahrelangen restriktiven Umgang mit Protesten gegen die Naziaufmärsche zum 13. Februar in Dresden erinnert“. Für Valentin Lippmann von den sächsischen Grünen blieben auch nach der Sitzung des Innenausschusses entscheidende Fragen offen. „Es ist unbefriedigend, dass bei einem solch schweren Eingriff in die Versammlungsfreiheit nicht alle Informationen offengelegt werden können“. Sachsens Innenminister forderte er dazu auf, sich zu den in der Süddeutschen Zeitung erhobenen Vorwürfen öffentlich zu äußern.

Chronik der taz: Die Polizei in Sachsens Hauptstadt – Alles verhältnismäßig?


Veröffentlicht am 21. Januar 2015 um 02:16 Uhr von Redaktion in News

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