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Neonazistische Rekrutierungsarbeit in Döbeln

10. November 2008 - 00:00 Uhr

Im mittelsächsischen Döbeln nahmen am 1. November 2008 rund 250 Neonazis an einem Aufmarsch unter dem Slogan »Härtere Strafen für Kinderschänder« teil. Bereits seit Wochen bestimmt dieses Themenfeld die Agenda sächsischer Neonazis aus dem Spektrum der sogenannten »Freien Kräfte« und den selbsternannten »Autonomen Nationalisten«. Deren derzeitiger Zusammenschluss »Freies Netz« versucht seit der Ermordung der 8jährigen Michelle in Leipzig, die Tat für die eigenen propagandistischen Zwecke auszunutzen.

Der Hintergrund der derzeit regelmäßig stattfindenden Aufmärsche in der Region ist vor allem die politische Rekrutierungsarbeit von Neonazis zurückzuführen. Ziel ist es hierbei, die eigenen Strukturen auszubauen und gleichzeitig Aufbauarbeit für weitere neonazistische Gruppierungen zu leisten. Als legalistische Plattform ihrer Aktivitäten fällt dabei insbesondere den Strukturen der sächsischen »Jungen Nationaldemokraten« (JN) eine herausgehobene Stellung zu. Die vermehrten Aktivitäten gehen einher mit einer, zuletzt massiven Unterwanderung der JN-Parteistrukturen durch Mitglieder der sogenannten »Freien Kameradschaften«. Ein Vorgehen das auf Seiten der sächsischen JN-Führung derzeit auf positive Resonanz stößt.

»Der Aufbau der JN – Strukturen in Sachsen geht weiter voran«, so urteilten zumindest die Verantwortlichen auf der Internetseite der »Jungen Nationaldemokraten« im Freistaat. Durch den Zustrom neuer Mitglieder gründeten sich nach Eigenangaben zuletzt im Oktober in den sächsischen Städten Chemnitz und Riesa zwei weitere »JN Stützpunkte«. Mit Gruppen in Dresden, Leipzig, Aue-Schwarzenberg, Freiberg, Hoyerswerda und der Sächsischen Schweiz verfügt die Jugendorganisation der neonazistischen NPD nach Eigenangaben nun mittlerweile über insgesamt acht Ortsgruppen in dem Bundesland.

Die Strategie ist nicht neu. Im Jahr 2006 konnten ähnliche Vorgänge bereits in Sachsen-Anhalt beobachtet werden. Neonazis aus den Strukturen der »Freien Kameradschaften« unterstützten damals tatkräftig die Strukturen der JN-Sachsen-Anhalt und unterwanderten diese gezielt. Führende Aktivisten der militanten Kameradschaftsszene aus Sachsen-Anhalt engagierten sich nunmehr verstärkt innerhalb der JN und nutzten diese als legalen Rahmen für eigene politische Aktionsformen. Durch die Unterstützung der »parteiunabhängigen« Neonazis verdoppelte sich die Anzahl der »JN Stützpunkte« in Sachsen-Anhalt in nur wenigen Monaten.

Das Vorgehen militanter Neonazis aus den Strukturen der »Freien Kameradschaften«, möglichst breit gefächert Strukturen der NPD/JN aufzubauen und diese somit als legalen Rahmen der eigenen Aktivitäten zu nutzen, stößt auch innerhalb der NPD-Bundesebene auf weitgehend positive Resonanz. Den unerwarteten Zustrom neuer Mitglieder in den Reihen der neonazistischen Partei quittierten die Führungsstrukturen von NPD und JN nicht nur mit internen Belobigungen. Michael Schäfer, einer der führenden Initiatoren der sachsen-anhaltinischen »JN-Offensive«, wurde im Oktober 2007 zum neuen Bundesvorsitzenden der »Jungen Nationaldemokraten« gewählt. Der frisch Beförderte stellte in einem Interview mit der NPD Publikation »Deutsche Stimme« vom Dezember 2007 unmissverständlich klar, dass er die Strukturen der »Freien Kameradschaften« als wichtiges Standbein der JN betrachte. Die NPD Jugendorganisation habe seinen Ausführungen folgend vor allem die Aufgabe, als »Bindeglied zwischen der Mutterpartei und radikaleren Kräften« zu agieren.

Ein Konzept, welches nun auch verstärkt von Neonazis im Freistaat Sachsen angewandt wird. Das politische Werben von Neonazis in Sachsen nimmt, wie auch das propagandistische Vorgehen im Bezug auf das ermordete Mädchen zeigt, allerdings zum Teil makabere Züge an. Dass es den Akteuren von JN und »Freien Kameradschaften« weniger um die Hintergründe der Tat, sondern vielmehr um eine Instrumentalisierung des Vorfalles geht, zeigt auch die Gleichsetzung der ausgewählten Themenfelder. Die Forderung »Härtere Strafen für Kinderschänder« wird dabei gleichsam mit einem geforderten »Nationalen Sozialismus« propagiert.

Wie eng dabei parteifreie Neonazis mit den Strukturen der sächsischen JN verwoben sind, wird u.a. daran deutlich, dass gleich mehrere Kader der sogenannten »Freien Kräfte« Führungsämter innerhalb der sächsischen »Jungen Nationaldemokraten« ausüben. So ist der ursprünglich aus dem ostsächsischen Hoyerswerda stammende Sebastian Richter einer der führenden Aktivisten der »Freien Kräfte« gleichzeitig Mitglied im JN-Bundesvorstand. Auch Mitglieder der im Jahre 2001 durch das sächsische Innenministerium verbotenen Kameradschaft »Skinheads Sächsische Schweiz« (SSS) sind auf Landes- und Kreisebene in den Strukturen der »JN-Sachsen« tätig. Beinahe zeitgleich zum Neonaziaufmarsch in Döbeln fand zudem am Samstag in Dresden der JN-Landeskongress statt, auf dem auch ein neuer Landesvorstand gewählt werden sollte. Auch hier waren Vertreter der »Freien Kräfte« zugegen.

Der Aufmarsch in Döbeln am 01.11.2008 ist nur der jüngste Versuch sächsischer Neonazis öffentlichkeitswirksam in Erscheinung zu treten. Unter dem Motto: » Unser Volk stirbt – Volkstod aufhalten« beteiligten sich bereits am letzten Wochenende, dem 25.10.2008, rund 260 Neonazis an einem Aufmarsch des örtlichen »JN-Stützpunktes« im Leipziger Stadtteil Schönfeld. Dabei dürfte wieder weniger die Sorge um rückläufige Geburtenzahlen, dafür um so mehr das populistische Werben neuer Mitglieder im Fokus des Interesses gestanden haben.

Als Anmelder des Aufmarsches in Schönfeld, traten dabei Mitglieder des »JN-Stützpunktes Leipzig« in Erscheinung. Wenngleich die Veranstaltung von der Nachwuchsorganisation der NPD organisiert wurde, bestimmten Neonazis aus dem Spektrum der »Freien Kräfte« und der sogenannten »Autonomen Nationalisten« das äußerliche Erscheinungsbild der Veranstaltung. Der »JN-Stützpunkt Leipzig« wurde im April 2008, unter anderem von Mitgliedern der »Freien Kräfte Leipzig« gegründet. Diese werden dem organisatorischem Zusammenschluss des »Freien Netzes« in Sachsen zugerechnet.

Unter dem Label »Freies Netz« schlossen sich in den letzten Jahren mehrere westsächsische, süd-sachsen-anhaltinische und ostthüringische Neonazigruppen, bestehend aus vorwiegend jungen Vereinigungen parteifreier Neonazis, zu einem gleichnamigen Online-Portal zusammen. Maßgeblich verantwortlich für das Projekt ist Thomas Gerlach aus dem thüringischen Meuselwitz, wenige Kilometer von Altenburg gelegen. Gerlach ist Aktivist der neonazistischen «Hammerskins« und seit nunmehr zwei Jahren maßgeblich in die Strukturen des »Freundeskreis Halbe« (FK- Halbe) involviert.

Im Zusammenhang mit den zuletzt regelmäßig stattfindenden Aufmärschen in der Region kam es auch zu mehreren, teils gewaltsamen Übergriffen von Neonazis auf politische Gegner_innen. So griffen am Morgen vor der Demonstration etwa ein Dutzend Neonazis, bewaffnet mit Ketten und Stangen mehrere Jugendliche in Döbeln an, die gerade Plakate gegen die Neonazi-Demonstration in der Kreiststadt verteilten. Nach Berichten von Augenzeugen stammten die Angreifer_innen dabei aus dem Kreis der »Initiative für Döbeln«. Hierbei handelt es sich um einem Zusammenschluss lokaler Neofaschist_innen, welche sich an der Vorbereitung und Ausrichtung des nun stattgefundenden Aufmarsches beteiligten.

Am Abend nach dem Neonaziaufmarsch in der sächsischen Kreisstadt überfielen zum Teil bewaffnete Neonazis eine Wohngemeinschaft in Döbeln. Wenige Stunden später griffen dann wiederum mehrere Neonazis vor einer Diskothek im benachbarten Waldheim alternative Jugendliche an. Nachdem sie die Jugendlichen mit Faustschlägen im Gesicht verletzten, zerrten sie ihre Opfer auf eine Brücke und versuchten sie herunter zu stoßen. Erst als Polizeibeamte sich mit ihrem Fahrzeug dem Übergriff näherten, ließen die Angreifer von ihren Opfern ab. Ihre Gewalttat rechtfertigen die Neonazis als »Racheakte« auf Angriffe, welche es nach ihren Angaben in den letzten Wochen gegeben haben soll.

Quelle: Recherche Nord (01.11.08)


Veröffentlicht am 10. November 2008 um 00:00 Uhr von Redaktion in Nazis, News

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