Landtagsdebatte und erneuter Haftbefehl durch die Bundesanwaltschaft nach dem Mord an Thomas L.
13. November 2020 - 11:32 Uhr
Am 10. November hat der Generalbundesanwalt (GBA) vor dem Ermittlungsrichter in Karlsruhe einen erneuten Haftbefehl wegen „des dringenden Tatverdachts des Mordes, versuchten Mordes sowie gefährlicher Körperverletzung gegen Abdullah H .“ erwirkt. Abdullah H. wird vorgeworfen, am 4. Oktober zwei Menschen in der Dresdner Innenstadt aus mutmaßlich homophoben Motiven heraus mit einem Messer angegriffen zu haben. Dabei starb der 55jährige Thomas L. an den Folgen seiner Verletzungen. Abdullah H. war zuvor als sogenannter Islamistischer Gefährder eingestuft worden, weswegen die Tat bundesweit für Aufsehen sorgte und auch im Freistaat Gegenstand heftiger parlamentarischer Debatten ist. Neben der Kritik von Lesben- und Schwulenverbänden an dem „Totschweigen“ des homophoben Tatmotives, sorgt aktuell die Diskussion um eine geplante Aufhebung des Abschiebestopps für Gefährder:innen für Zündstoff.
Nachdem Abdullah H. am 20. Oktober in der Dresdner Innenstadt festgenommen worden war, übernahm bereits am Tag darauf der Generalbundesanwalt die Ermittlungen, da sich ein islamistischer Hintergrund des mutmaßlichen Täters erhärtete. Der erneut erlassene Haftbefehl ersetzte den zuvor durch das Amtsgericht Dresden am 21. Oktober 2020 erlassenen Haftbefehl. Kritik an der Begründung des Haftbefehls des Generalbundesanwalt kommt vom Magazin queer.de. Erneut habe die Ermittlungsbehörde das mögliche homophobe Motiv nicht angesprochen, kommentierte das Magazin. In der Begründung der GBA heißt es lediglich: „Der Beschuldigte handelte dabei aus einer radikal-islamistischen Gesinnung heraus. Er wollte die beiden Tatopfer als Repräsentanten einer von ihm als ’ungläubig’ abgelehnten freiheitlichen Gesellschaft auslöschen.“ Schwulen- und Lesbenverbände kritisieren schon seit geraumer Zeit, dass ein mögliches homophobes Motiv nicht benannt würde.
Für Diskussionen sorgt der Fall auch auf Landtagsebene. Nachdem den politischen Repräsentant:innen der Stadt Dresden und des Freistaates immer wieder vorgeworfen wurde, sich nicht zu der Tat zu äußern, folgte am 4. November eine Landtagsdebatte zum Thema. Anlass war ein durch die AfD eingebrachter Antrag in der Offenen Stunde. Schon an der gewohnt populistischen Überschrift: „Messermord in Dresden – Gefährder unter uns – worauf wartet Wöller?“ ließ sich erkennen, dass es der Partei weniger um eine Auseinandersetzung mit den Opfern, Homophobie und den Gründen für islamistische Gewalt ging, als vielmehr darum, eine rassistische Debatte zu schüren. Dies wurde auch vom Grünenpolitiker Valentin Lippman klargestellt: „Diese aktuelle Debatte ist Ausdruck einer Scheindebatte, in der unter billiger Instrumentalisierung schrecklicher Verbrechen mal wieder ein ganzer Laster von Gift, Hass und Hetze ausgekippt wird.“ Der AfD gehe es nicht darum Lösungen zu finden, so Lippman weiter, sondern um die Gleichsetzung von Muslim:innen und Islamist:innen. „Islamfeindlichkeit und Abschiebedebatten, das ist der durchschaubare Krawall der hier wieder anzettelt wird, der leider nicht nur bei der AfD verfängt“, erklärte der Grünen-Abgeordnete mit Blick auf die CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag.
Trotz des Einwurfes des Grünenpolitikers, drehte sich die Debatte im Anschluss vor allem um die Abschiebung von Gefährder:innen. Abdullah H. wurde aufgrund seiner Straftaten der Flüchtlingsstaus durch die Ausländerbehörde entzogen und seit Herbst 2019 lag eine Ausweisungsbescheid vor. Die Ausweisung scheiterte jedoch aufgrund des seit 2012 bestehenden Abschiebestopps nach Syrien. Bereits 2018, so der CDU-Abgeordnete Rico Anton in der Debatte, habe sich der Freistaat Sachsen bei der Innenministerkonferenz (IMK) für die Aussetzung des Abschiebestopps für Straftäter und Gefährder ausgesprochen. Diese Haltung bekräftigte Innenminister Wöller in der parlamentarischen Auseinandersetzung. „Wer in unserem Land schwere Straftaten begeht – bis hin zu Mord – kann nicht erwarten, dass er bei uns Schutz findet. Wenn Schutzbedürftige zu Gefährdern werden, haben sie ihr Gastrecht vollständig verwirkt“, erklärte Wöller vor dem Parlament. Aus diesem Grund, so der Innenminister weiter, wolle man auch bei der kommenden Innenministerkonferenz erneut gegen den Abschiebestopp nach Syrien Stimmen. Nach dem Syrien bis Ende des Jahres als „nicht-sicheres Land“ gilt, wird dies auf der Konferenz im Dezember diesen Jahres erneut entschieden. Nach einem im Juni bekannt gewordenen Bericht des Auswärtigen Amt (AA) geht die Behörde nach wie vor davon aus, dass die Lage in Syrien eine erhebliche Gefährdung für Rückkehrer:innen darstellt.
Kritik an den Äußerungen von Innenminister Wöller übte der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR) bereits Ende Oktober. Nur zwei Tage nach der Festnahme des mutmaßlichen Täters von Dresden fand Wöller weniger Worte des Mitleids für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags, sondern sah in der Tat vielmehr die Möglichkeit, einen noch restriktiveren Kurs in der Asylpolitik voranzutreiben. Gegenüber addn.me erklärte der SFR: „Offenbar will Wöller mit seinen bayerischen Freunden die Republik noch weiter ins Autoritäre treiben. Abschiebungen in einen Folterstaat – Wöller instrumentalisiert und zündelt.“ Das Beileid des SFR gelte in erster Linie den Angehörigen der Opfer, verbunden mit der Hoffnung, auf einer schnellen Genesung des bei der Tat schwer verletzten Mannes. Statt eines „politischen Missbrauchs der Opfer durch einige Innenminister, [sei] ein rechtsstaatlicher Prozess notwendig“, ordnete der Verein die Äußerungen im Anschluss der Tat durch Politiker:innen ein.
Ungeachtet der politischen Diskussionen war Thomas L. am 6. November in Krefeld im Kreise seiner Angehörigen beerdigt worden. Zur Beisetzung hatte der CSD-Dresden zusammen mit der Magnus Hirschfeld Stiftung eine gemeinsame Traueranzeige mit der Aufschrift „Dein Tod war nicht umsonst. Er hat uns alle aufgeweckt“ geschaltet. Für heute ist eine öffentliche Trauerveranstaltung in der Heimatstadt des ermordeten Thomas L. geplant. Der Termin war nach Angaben von queer.de bewusst gewählt worden, um der Familie und den Freunden des Ermordeten den gebotenen Abstand zur Beisetzung in der Woche zuvor zu geben.
Veröffentlicht am 13. November 2020 um 11:32 Uhr von Redaktion in News