Kritik vor dem NSU-Untersuchungsausschuss am politischen Versagen der Landesregierung
8. November 2012 - 18:36 Uhr - Eine Ergänzung
Am Jahrestag der Entdeckung einer rechten Terrorzelle in der Bundesrepublik, die von Sachsen aus mehrere Jahre mordend durch die Bundesrepublik gezogen war, protestierten in Erinnerung an die Opfer des NSU vor dem Sächsischen Landtag etwa 20 Menschen im Vorfeld einer öffentlichen Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses zu neonazistischen Terrornetzwerken im Freistaat. Anlass der Sitzung des 19köpfigen Ausschusses war die Befragung des ehemaligen Leiters der Soko Rex und amtierenden Polizeipräsidenten von Leipzig, Bernd Merbitz. Dieser hatte die Sonderkommission des Landeskriminalamtes in Sachsen zu Beginn der 90er Jahre gemeinsam mit Peter Raisch aufgebaut und war nach internen Querelen am 31. August 1998 zum Präsidenten der Polizeidirektion in Grimma und sechs Jahre darauf zum Polizeipräsidenten der Polizeidirektion in Westsachsen ernannt worden. Nur wenige Wochen nach seinem Abschied war die Abteilung 5 des Polizeilichen Staatsschutzes nach einem vom damaligen Innenminister Klaus Hardrath (CDU) veranlassten Personalabbau beinahe handlungsunfähig geworden und das obwohl zumindest die Zahlen von Straftaten mit einem rechten Motiv keineswegs gesunken waren. Erst als Merbitz Jahre später als Landespolizeipräsident wieder eine Führungsposition im Freistaat übernommen hatte, wurde unter Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) erneut damit begonnen die Soko auf 30 Beamtinnen und Beamte zu erweitern, um erfolgreicher gegen rechte Strukturen vorzugehen, die sich nach dem Wahlerfolg der NPD bei den Landtagswahlen 2004 vor allem in der sächsischen Provinz längst wieder etabliert hatten und im Begriff waren, in sächsischen Großstädten neue Strukturen aufzubauen.
In seinem Eingangsstatement entschuldigte sich Merbitz noch einmal bei den Angehörigen der Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ und äußerte sein Bedauern darüber, dass die Polizei Taten nicht haben verhindert werden können. Danach beginnt er mit einer Einschätzung der Situation zu Beginn der 90er Jahre, als in Sachsen das staatliche Gewaltmonopol defacto nicht existent gewesen ist und rechte Übergriffe und Brandanschläge nicht nur im als „Hauptstadt der Bewegung“ bezeichneten Dresden an der Tagesordnung waren. Die Welle rechter Gewalt erreichte 1991 mit dem Mord an Jorge Gomondai in Dresden und den mehrtägigen rassistischen Ausschreitungen vor einem von Flüchtlingen und ehemaligen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern bewohnten Gebäude in Hoyerswerda im September 1991 ihren vorläufigen Höhepunkt.
Im Anschluss daran berichtete Merbitz von den Vorgängen am 4. November vergangenen Jahres, als von Beamten nach einem geglückten Bankraub die Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in einem Wohnmobil in Eisenach aufgefunden worden. Nur wenige Stunden später brannte eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau-Weißenborn, nachdem es dort zuvor eine Explosion gegeben hatte. Im Zuge der anschließenden Fahndung nach der Wohnungsinhaberin Beate Zschäpe stellte sich diese am 8. November der Polizei in Jena. Wenige Tage später erließ der inzwischen für die Ermittlungen zuständige Generalbundesanwalt Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie der besonders schweren Brandstiftung. Nach dem Fund Česká CZ 83 in den Trümmern der ausgebrannten Wohnung in Zwickau und der zweifelsfreien Identifizierung der Pistole als Tatwaffe bei der Mordserie an insgesamt neun Kleinunternehmern mit Migrationshintergrund zwischen 2000 und 2006, übernahm am 11. November das Bundeskriminalamt die Ermittlungen. Erst am 10. November habe Merbitz zum ersten Mal von der Existenz einer rechten Terrorgruppe mit dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ erfahren.
Nach seinem Eingangsstatement begann der Ausschussvorsitzende Patrick Schreiber (CDU) den Zeugen erneut zu den Anfängen der Soko Rex zu befragen. Da die Polizei damals noch nicht über ein eigenes nachrichtendienstliches Meldesystem verfügt habe, musste sie sich zu Beginn über die Presse mit Informationen versorgen. Das ursprüngliche Ziel der am 1. Juli 1991 aus einem Kern von zehn jungen Polizeikräften gegründeten und mit zeitweise 50 Beamtinnen und Beamten besetzten Sonderkommission, in einem Zeitraum von zwei Jahren, durch die Ermittlung von Rädelsführern und ihres Unterstützerumfeldes den Verfolgungsdruck auf gewaltbereite rechte Strukturen im Freistaat zu erhöhen, um dadurch die Szene nachhaltig zu schwächen. Dass sich dieses Vorhaben als illusorisch erwies, belegte der 56jährige mit Statistiken zur Entwicklung rechtsorientierter Straftaten von 1991 bis heute. Nach einer in den späten 90er Jahren erfolgten Dezentralisierung und Aufgabenerweiterung der zuvor gebildeten Mobilen Fahndungs- und Einsatzgruppen (MEFG), die anfangs die Ermittlung und Verfolgung rechter Straftaten zur Aufgabe hatten, war nach seiner Einschätzung keine effektive Bekämpfung rechter Straftaten mehr möglich. Gleichzeitig verwies er jedoch auch auf die Bilanz der Sonderkommission, die bis heute rund 2.200 Fallkomplexe bearbeitet hat, zu denen 6.400 Tatverdächtige ermittelt werden konnten und bei denen es zu insgesamt 2.000 Durchsuchungen und 480 Verhaftungen geführt habe. Das erfolgreiche Modell mit seiner von Merbitz als „präventiven Säule“ aus „Bericht und Ansprache“ beschriebenen Struktur, wurde später zum Vorbild für andere Bundesländer, die wie etwa in Brandenburg 1998 mit dem Aufbau einer eigenen Sonderabteilung bei der Polizei auf den starken Anstieg rechter Gewalt reagiert hatten.
Angesprochen auf die Serie von unaufgeklärten Banküberfällen im Chemnitzer bzw. Zwickauer Raum, verwies er auf seinen Posten als Leiter der Polizeidirektion in Grimma. Da es in seinem Bereich zu keinen ähnlich gelagerten Überfällen gekommen war, habe der Informationsaustausch zwischen den einzelnen Polizeidirektionen nur auf „Arbeitsebene“ stattgefunden. Ähnlich äußerte er sich zu den von Thüringen aus angeforderten Observations- und Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der Fahndung nach den drei untergetauchten Nazis von Mai bis Oktober 2000 in Chemnitz und betonte in seiner Befragung, bis zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung im November 2011 noch nie etwas von einer der drei gesuchten Personen gehört zu haben. Dennoch hätten die Erkenntnisse über die drei vermutlich in Sachsen untergetauchten Jenaer Bombenleger aus dem Umfeld der in Sachsen ebenfalls sehr aktiven internationalen Nazibewegung von „Blood & Honour“ seiner Ansicht nach auch dem Innenministerium bekannt sein müssen, da es schon zu seiner Zeit als Leiter der Soko Rex regelmäßig Besprechungen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz gegeben hatte. In diesen Gesprächen sei es um die Erstellung von polizeilichen Lagebildern durch das Landeskriminalamt gegangen, in denen Erkenntnisse über Strukturen, Täter und Straftaten erfasst worden sind. Zwischen seinen Ausführungen wird immer wieder deutlich, dass es scheinbar intern zu Problemen zwischen ihm und Teilen der Polizeiführung gekommen war. Als Reaktion auf ein Interview mit der Süddeutschen Zeitung, in dem es unter anderem um die nicht zu unterschätzende Gefahr durch die NPD ging, unterrichtete ihn der damalige Inspekteur der sächsischen Polizei, Helmut Spang, über die Weigerung der Staatsregierung, ihm eine Genehmigung für einen Vortrag im Innenausschuss des Bundestages zu erteilen.
In der abschließenden Fragerunde aller Vertreter wies Bernd Merbitz noch einmal den Vorwurf als „Kalauer“ zurück, dass in Sachsen niemand etwas gegen Rechtsextremismus getan habe und erläuterte sein Vorhaben, gemeinsam mit Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) ein neues „Konzept gegen Rechtsextremismus“ zu entwickeln. Danach wurde ein Ermittlungsersuchen des Bundeskriminalamtes vorgelesen, wonach die Behörde nach Personen gefragt hat, welche von einem Rechner der sächsischen Staatskanzlei auf die offiziellen Fahndungsseiten des BKA zugegriffen haben sollen. Die Polizei sei, so Merbitz, jedoch nicht der Urheber gewesen. Die mysteriösen Telefonanrufe nach dem Brand in der Zwickauer Frühlingsstraße erklärte er damit, dass Polizisten versucht hatten, die Wohnungsinhaberin auf einer Handynummer zu erreichen, die die Beamten zuvor von der Nachbarin bekommen hatten. Über Vernehmungen des Sprengstofflieferanten und V-Mannes Thomas Starke durch das LKA hatte er ebenso wenig Kenntnisse, wie darüber, dass nach dem Verbot von „Blood & Honour“ im September 2000, Teile der rechten Szene in die NPD-nahe Kameradschafts- oder Rockerszene übergelaufen sind.
In seiner Pressemitteilung fragt der Grüne Landtagsabgeordnete Miro Jennerjahn, warum die regelmäßigen Besprechungen zwischen Polizei und Verfassungsschutz „nicht zu einem Informationsaustausch über das NSU-Trio und seinen Aufenthaltsort“ geführt haben und bezeichnete die Reduzierung der Soko Rex auf nur noch 15 Beamtinnen und Beamte, während etwa zur gleichen Zeit das Terrortrio in Sachsen untertauchen konnte, als „klare Fehleinschätzung“ der zuständigen Behörden. Auch Kerstin Köditz, die Obfrau der Linken in dem Gremium, kritisierte nach der Befragung von Bernd Merbitz, „dass die Sächsische Staatsregierung den Rechtsextremismus offenbar dauerhaft unterschätzt“ habe und kündigte an, den „im fraglichen Zeitraum zuständigen Innenminister ebenfalls als Zeugen vorzuladen“.
Für kommenden Samstag haben anlässlich des ersten Jahrestages der Entdeckung des NSU zwei antifaschistische Gruppen aus dem Vogtland und dem oberfränkischen Hof zu einer Demonstration unter dem Motto: „Ihr Geist spukt weiter“ in Zwickau aufgerufen. Darin wollen sie sich „für eine offensive Auseinandersetzung mit dem rassistischen Terror des NSU“ und „für grenzenlose Solidarität mit allen Betroffenen rassistischer Gewalt und staatlicher Willkür“ einsetzen. Treffpunkt ist um 13 Uhr am Mahnmal für die Opfer des Faschismus.
Weitere Infos:
Blog zum 3. NSU Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtags
Interaktive Zeitleiste des apabiz e.V.
Veröffentlicht am 8. November 2012 um 18:36 Uhr von Redaktion in News