Keine Überraschungen. Was bei der sächsischen NPD anders ist als vor 5 Jahren
27. September 2009 - 01:39 Uhr
NPD im Sächsischen Landtag
Entgegen vieler Prognosen ist die sächsische NPD zum zweiten Mal in den Landtag eingezogen. Der alte und neue Fraktionsvorsitzende Holger Apfel geht gestärkt aus der Wahl hervor. Und so präsentiert er sich am Wahlabend in Fernsehstudios und im Landtag. Wirklich überraschend kommt das alles jedoch nicht; in den letzten fünf Jahren hat sich nur wenig geändert.
Holger Apfel hat gelernt, dass ein Politiker seriös sein muss. 30 Sekunden am Stück kann er mittlerweile im Fernsehen sprechen, ohne sich zu blamieren. Nein, als Niederlage sieht er das Wahlergebnis in Sachsen nicht, sagt er dem mdr-Magazin „Sachsenspiegel“ sinngemäß. Das wichtigste Ziel sei erreicht: Die NPD bleibt für weitere fünf Jahre im sächsischen Landtag. Dann poltert er wieder in gewohnter Manier über die „beispiellose Hetzkampagne“, die seine Fraktion in der ersten Legislaturperiode zerstört habe und – am gleichen Tag im ARD – über die „antideutschen Volksbetrüger“.
5,6 Prozent
Am Wahlabend platzt der Sächsische Landtag aufgrund Hunderter Journalist_innen aus allen Nähten. Dazischen alte und neue Landtagsabgeordnete und -mitarbeiter_innen. Allein die NPD hält sich im Hintergrund. Nur noch 5,6% der Listenstimmen konnte Holger Apfels Partei gewinnen. 2004 waren es noch 9,2% gewesen. Dennoch, die Stimmung bei der NPD ist an diesem Wahlabend ungetrübt, es wird geklatscht und gelacht. Auch sie kannten die Prognosen zur Landtagswahl, auch sie haben damit gerechnet, den Wiedereinzug in den Landtag zu verfehlen. Beinahe wäre Holger Apfel zu spät zum Fernsehinterview gekommen. Zur gleichen Zeit war seine Ansprache im Landtag angesetzt, die er kurzfristig versäumte. Hatte er eigentlich damit gerechnet, im Fernsehen zusammen mit den anderen Spitzenkandidat_innen interviewt zu werden?
Nach der skandalgeprägten ersten Wahlperiode der NPD im Sächsischen Landtag wurde die Kandidat_innenliste zur Landtagswahl 2009 konfliktvermeidender zusammengestellt: Die alten Hasen der ehemaligen Fraktionsspitze sollten in erster Linie von bisherigen Mitarbeiter_innen, in zweiter Line von langjährigen loyalen Parteimitgliedern und kommunalpolitischen Funkitonsträger_innen unterstützt werden. Sechs NPD-Abgeordnete behalten so ihre Mandate. Holger Apfel bleibt Fraktionschef, Johannes Müller der parlamentarische Geschäftsführer. Die Vorsitzende des Ringes nationaler Frauen, Gitta Schüßler, der Chefstratege Jürgen Gansel, der realpolitisch orientierte Alexander Delle sowie der Apfel-Vorgänger als sächsischer NPD-Vorsitzender, Winfried Petzold, werden ebenfalls eine weitere Legislaturperiode im Landtag sitzen. Auf den Listenplätzen sieben und acht zogen die bisherigen Fraktionsmitarbeiter und langjährigen Parteikader Andreas Storr und Arne Schimmer in den Landtag ein. Nicht mehr mit von der Partie sind die Hinterbänkler Rene Despang und Peter Klose. Der Personalwechsel ist geringfügig, doch er hat wahrscheinlich für Aufatmen in der Fraktionsführung gesorgt, waren die Hinterbänkler doch stets eher eine Last für die Fraktion als ein angesehener Teil der parlamentarischen Vertretung. Besonders Peter Klose und vor ihm der aus der Fraktion ausgeschlossene Klaus-Jürgen Menzel ist wieder und wieder durch Peinlichkeiten aufgefallen; anders als alle anderen Abgeordneten hatte er nie die Gelegenheit, im Landtag zu sprechen, das Risiko der Blamage wäre wohl zu hoch gewesen.
Neonazistische Professionalisierung?
Vollmundig erklärte Holger Apfel dem mdr: „Ich denke, die NPD hat eine professionelle Mannschaft aufgestellt für die Landtagswahl 2009 und das werden wir in den nächsten Jahren unter Beweis stellen.“ Die wiederholt benannte ‚Professionalisierung’ scheint eine konkrete Zielsetzung der Fraktion zu sein. Der bisherige Erfolg dabei freilich ist begrenzt.
Sicherlich, der sächsischen NPD-Landtagsfraktion gelang es in den letzten fünf Jahren, eine größere Anzahl NPD-naher, neonazistischer Autor_innen und Strateg_innen nach Dresden zu holen und in verschiedenen Positionen in Lohn und Brot zu bringen. Geblieben sind jedoch die wenigsten: Karl Richter vertritt die NPD im Münchner Stadtrat, Andreas Molau wurde aus der Partei ausgeschlossen und kehrte nach Niedersachsen zurück, von Angelika Willig und vielen anderen ist mittlerweile schon länger keine Rede mehr. Geblieben sind Parteibürokrat_innen, langjährige NPD-Aktivist_innen, Menschen, die in der Partei sozialisiert sind und außerhalb der NPD keine Zukunft haben. Der ‚Reisekader’ Andreas Storr, der während seiner Tätigkeit für die Dresdner Landtagsfraktion seine Liebe zur Fotografie entdeckte, hat nun ein Landtagsmandat errungen. Ebenfalls in den Abgeordnetenstatus aufgestiegen ist der langjährige Fraktionsmitarbeiter Arne Schimmer. Er war 2005 als wirtschaftspolitischer Berater gestartet und ersetzte später Holger Szymanski als Pressesprecher der Fraktion. Die von ihm verfasste Broschüre zu Wirtschaftspolitik, im Grunde eine Aufwärmung seines Wirtschaftsstudiums mit Rekurs auf die Raumwirtschaftstheorien völkisch-nationalistischer Prägung, stellt nach wie vor den inhaltlich tiefgründigsten Beitrag der Öffentlichkeitsarbeit der NPD-Fraktion dar.
Die von Holger Apfel gepriesene ‚Professionalisierung’ bleibt jedoch auf die Neubesetzung der beiden Hinterbänkler_innensitze und eine gewisse Routine in den parlamentarischen Prozessen durch fünfjährige Erfahrung begrenzt. 2004/2005 waren die ehemals zwölf Abgeordneten der ersten Legislaturperiode im Landtag mit provozierender, oft vulgärer Rhetorik in die parlamentarische Betätigung gestartet. Besonders Jürgen Gansel und der Fraktionsvorsitzende Holger Apfel entwickelten diesen Stil zu persönlichen Markenzeichen. Die Fraktion löste damit bereits in den ersten zwei Jahren mehrere größere Skandale aus. 2007, ein halbes Jahr nach Uwe Leichsenrings Tod, wurde es ruhiger um die auf acht Mitglieder geschrumpfte Fraktion. Nennenswerte konstruktive Beiträge haben die neonazistischen Abgeordneten bis heute nicht vorzuweisen. Holger Apfel schiebt das gern auf die von ihm halluzinierten Hetzkampagnen. Glaubhaft ist es nicht. Eine weitergehende ‚Professionalisierung’ der sächsischen NPD wird wohl auf sich warten lassen, da es der NPD weder gelang die von ihr zeitweise angestellten ‚Rechtsintellektuellen’ kontinuierlich zu binden, noch eine über NPD- und JN-Kreis- und Landesverbände hinausgehende politische Struktur aufzubauen.
Gescheiterte Verbürgerlichung
Auch ohne ‚intellektuelle’ Unterfütterung der parlamentarischen Arbeit, Provokationen im Plenum und umfassende Parteistrukturen konnte sich die NPD etablieren. Der Fraktionsvorsitzende erwähnt nicht ohne Stolz, dass der wiederholte Einzug der NPD in den sächsischen Landtag für eine gefestigte Basis der Partei in Sachsen spreche. Apfel spricht hier von genau der Bevölkerungsschicht mit gefestigter rassistischer, fremdenfeindlicher und tiefgehend antisemitischer Ideologie, auf die Analytiker_innen seit fast zwei Jahrzehnten hinweisen, deren Existenz aber vom früheren Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, von Politikwissenschaftler_innen wie Werner Patzelt und von vielen anderen lange Jahre vehement und öffentlichkeitswirksam bestritten wurde. Nicht ohne Stolz fügt Holger Apfel hinzu, der erste Wiedereinzug in ein Länderparlament sei ein besonderer Tag für seine Partei. Es geht ihm dabei nicht nur um die Einzigartigkeit des Ereignisses, sondern auch um die Konflikte auf der Bundesebene der NPD. Im Machtkampf mit dem Voigt-Flügel propagierte Apfel im April 2009 den ‚Sächsischen Weg’, d.h. bürgerliche WählerInnen anzusprechen, sich vom neonazistischen Spektrum – zumindest im Bundesvorstand – zu distanzieren und „für einen gegenwartsbezogenen und volksnahen Nationalismus, der die soziale Frage in der Mittelpunkt“ stellt, einzutreten. Ein Wiedereinzug sei dann Ausdruck eines erfolgreicheren Politikstils und der „fortschreitende[n] Verankerung [der NPD] in der Mitte des Volkes“. Fortschritte erzielte die sächsische NPD jedoch hinsichtlich der Wähler_innenzustimmung nicht.
Neonazistische Bildung?
Einen Erfolg kann die Fraktion trotz des Einbruchs der Wahlergebnisses um 3,6% in Bezug auf die finanziellen Zuwendungen verbuchen. Sie hat nun einen Anspruch auf Förderung einer parteinahen Stiftung aus öffentlichen Geldern. Jürgen Gansel hatte zu diesem Zweck bereits 2006 das „Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V.“ gegründet, das seitdem bis auf Textfragmente des früheren Fraktionsmitarbeiters Karl Richter und von Jürgen Gansel inhaltsleer blieb. Es ist nicht der erste Versuch, eine neonazistische Stiftung zu gründen. Schlechte Erfahrungen hat die DVU, die ebenfalls bereits zwei Legislaturperioden im Brandenburger Landtag sitzt, mit ihrer Stiftung „Brandenburg gestalten e.V.“ 2005; staatliche Förderung hat sie bis heute nicht erhalten. Zuvor hatten bereits in den 1990er Jahren die Republikaner in Berlin einen ähnlichen Versuch mit dem „Hoffmann von Fallersleben Bildungswerk e.V.“ gewagt, der schnell zu einem Sammelbecken radikaler Neonazis aller Couleur verkam und 2006 schließlich aufgelöst wurde. Die staatliche Förderung, in Sachsen immerhin stattliche 100.000 Euro, ist an Anforderungen wie beispielsweise Verfassungskonformität gebunden. Ob eine Stiftung unter der Leitung von Jürgen Gansel diese zu erfüllen vermag, bleibt abzuwarten.
Quelle: NiP Sachsen (13.09.09)
Veröffentlicht am 27. September 2009 um 01:39 Uhr von Redaktion in Nazis, News