Eine bessere Veröffentlichung wäre möglich gewesen
20. Januar 2021 - 14:10 Uhr - 3 Ergänzungen
Liebe Leser:innen,
am 8. Januar 2021 veröffentlichten wir ein „cross-posting“ von Indymedia, welches eine öffentliche Debatte zum Umgang mit Sexismus anhand eines konkreten Falles forderte. Wir finden die Auseinandersetzung mit Sexismus richtig und notwendig. Jedoch denken wir, dass die Form der Debatte auf addn.me nicht angemessen war. Im Nachgang müssen wir eingestehen, dass die Art und Weise der Veröffentlichung ein Fehler war und wollen dies selbstkritisch beleuchten. Wir wollen uns darüber hinaus bei allen Beteiligten entschuldigen – insbesondere bei den im Text genannten Gruppen und Einzelpersonen.
Wie kam es zur Veröffentlichung?
Wir wurden von den Verfasser:innen der beiden Texte von Indymedia angefragt, ob wir diese nicht auch auf addn.me veröffentlichen könnten. Dies haben wir in der Folge auch zeitnah getan. Wir haben jedoch bei der Veröffentlichung nicht nur journalistische, sondern auch unsere eigenen Standards verletzt. Wir haben uns als Redaktion nicht die Zeit genommen, zu hinterfragen, andere Meinungen einzuholen und die Texte einzuordnen. Auch haben wir die im Text genannten Gruppen nicht von der Veröffentlichung in Kenntnis gesetzt, um ihnen die Chance zu geben, sich zeitnah zu äußern. Letztendlich haben wir so einer einseitigen Sicht auf die Geschehnisse Raum geboten, die einem komplexen Sachverhalt nicht gerecht wird.
Wir wollen mit unserer Plattform Nachrichten verbreiten und Debatten zu gesellschaftsrelevanten Themen anstoßen, die woanders keinen Raum finden. Wir wollen zuerst Nachrichten aus und mit Bezug zu Dresden verbreiten. Wir veröffentlichen gelegentlich auch Kommentare sowohl aus dem Redaktionsteam als auch von politischen Gruppen oder Autor:innen. Diese müssen aber als Autor:innen nachvollziehbar sein (z.B. politische Gruppe mit öffentlichen Kontaktmöglichkeiten). Kommentare dürfen selbstredend Meinungen enthalten, müssen aber trotzdem die Sachverhalte verständlich und umfassend darstellen. Bei dem von uns veröffentlichten Beitrag war dies nicht der Fall. Für Personen, die nicht an den Konflikt beteiligt waren, war der Beitrag kaum nachvollziehbar – was uns auch von unterschiedlichen Seiten gespiegelt wurde.
Die Kommentarspalte: Teilweise niveaulos
Bei dem aktuellen Fall handelt es sich zudem um eine Debatte über konkrete Vorfälle, Personen und Gruppen im Zusammenhang mit Sexismus bzw. um die Frage, wie sexistisches Verhalten und sexistische Übergriffe zu verhandeln seien. Dieses Themen zu diskutieren verlangt nach einem besonderen Maß an Achtsamkeit, das wir als Redaktionsgruppe einer öffentlichen Nachrichtenplattform überhaupt nicht garantieren können. Addn.me ist ein geeigneter Ort um über Sexismus, sexistische Gewalt und den Umgang damit zu berichten und zu diskutieren. Es ist jedoch nicht der richtige Ort, um konkrete Einzelfälle im Detail zu erörtern. Die Auseinandersetzung um einen konkreten Sachverhalt/Vorfall sollte nicht öffentlich ausdiskutiert werden, sondern in einem internen Prozess bearbeitet werden.
Besonders deutlich wurde dies auch in der Kommentarspalte. Die Auseinandersetzung, die teilweise auf einer beleidigenden und persönlichen Ebene geführt wurde, hat uns schockiert. Da es zu persönlichen Beleidigungen kam und Menschen mit Klarnamen geoutet wurden, haben wir uns letztendlich dazu entschieden, die Kommentarfunktion zu deaktivieren. Umso mehr hat es uns verdeutlicht, das wir nicht das Medium sein können, auf dem eine Auseinandersetzung um einen so konkreten Sachverhalt geführt werden kann. Auch hat uns die Überarbeitung der Kommentare vor Kapazitätsprobleme gestellt, sodass es u.a. auch zur unüberlegten Freischaltung der Stellungnahme der Person kam, die ursprünglich des Sexismus beschuldigt worden ist. Wir wollen uns dafür entschuldigen und sehen, dass es gegenüber Betroffenen von sexualisierter Gewalt unsensibel war.
Kriterien für Veröffentlichungen
Das Betreiben eines Blogs wie addn.me kostet Zeit und Ressourcen. Wir arbeiten ehrenamtlich und haben alle neben anderen Projekten noch Arbeit und ein Sozialleben. So wird es immer wieder vorkommen, dass Fehler passieren, zu den wir stehen wollen. Es ist für uns als Redaktion jedoch auch Anlass noch einmal über unsere Veröffentlichungspraxis und Arbeitsweise zu diskutieren. Wir haben Kriterien entwickelt, die für zukünftige Veröffentlichungen gelten sollen:
- Wir veröffentlichen hauptsächlich Texte aus dem Redaktionskollektiv, bleiben aber auch bei der bisherigen Praxis, Texte von externen Personen oder politischen Gruppen zu veröffentlichen.
- Wir veröffentlichen grundsätzlich keine anonymen (Meinungs-)Beiträge. Debatten brauchen ein gewisses Maß an Transparenz. Mindestens eine Mailadresse als Ansprechbarkeit muss gegeben sein.
- Wir sind eine Nachrichten-Plattform. Die Texte müssen einen Nachrichtenwert haben und nachvollziehbar sein – auch für Menschen, die nicht in konkrete Sachverhalte involviert sind. Bei Nachrichten und Debattenbeiträgen müssen entsprechende Quellennachweise mitgeliefert werden.
- Wir wollen in der Regel der Ort der Erstveröffentlichung sein. Auf Texte von anderen Medien verweisen wir gerne in unserer Rubrik „Lesenswert“.
- Wer bei uns veröffentlichen will, schreibt eine Mail an mail@addn.me. Wir empfehlen die Nutzung von PGP-Verschlüsselung.
- Wir entscheiden gemeinsam ohne Zeitdruck über zu veröffentlichende Texte.
An diesen Kriterien wird sich unsere Veröffentlichungspraxis in Zukunft messen lassen. Statements, die diese Kriterien nicht erfüllen, werden wir nicht mehr veröffentlichen. Allen Beteiligten in dem konkreten Konflikt wünschen wir, dass es zu einer internen Klärung kommt.
Solidarische Berichterstattung bleibt in einer Stadt wie Dresden nötig. Deswegen werden wir auch weiterhin solidarisch über emanzipatorische Bewegungen und Praxen berichten. Wir würden uns freuen, wenn ihr weiterhin reinschaut, Texte lest und schreibt – und Kritik nicht scheut.
Solidarische Grüße,
Redaktion addn.me
PS: Einen weiteren Text, der als Reaktion auf unsere Veröffentlichung geschrieben wurde, findet ihr hier: Feminismus feiern und heimlich fürchten
Veröffentlicht am 20. Januar 2021 um 14:10 Uhr von Redaktion in News
Danke für euer Statement. Mich würden trotzdem die Antworten auf die vom malobeo veröffentlichten Fragen interessieren und vielleicht Gedanken dazu, wie eure Verantwortungsübernahme im Bezug auf die veröffentlichten Fälle sowie generell zum Thema sexualisierte Gewalt aussieht, wenn ihr das schon so aufgegriffen habt.
Für mich spiegelt das hier veröffentliche Statement klar und deutlich wieder, dass es redaktionsinterne Diskussionen gab und die Veröffentlichung an sich kommt doch der „Verantwortungsübernahme“ gleich. Was fehlt denn noch bzw. Wie genau soll und kann die „Verantwortungsübernahme“ einer Nachrichtenplattform aussehen?
Die von malobeo im Text vom 17.01. gestellten Fragen („Warum wird ausgerechnet dieser Beitrag zum Anstoß einer Debatte genommen? Warum denkt ADDN, die Debatte gäbe es nicht und muss angestoßen werden? Warum fand ADDN, dass folgenden Geschehnisse, denen gemein ist, Sexismus in der Dresdner linken Szene zu thematisieren, KEIN Anstoß einer Debatte waren: […]“) werden doch bereits beantwortet – nämlich im Abschnitt „Wie kam es zur Veröffentlichung?“ Nun verstehe ich tatsächlich nicht, warum das nicht ausreicht oder worauf du mit deinen Nachfragen hinaus willst.
Mich wundert es, dass ihr euch in der Stellungnahme kein einziges mal auf das Betroffenenstatement bezieht/verlinkt, dass ihr davor gepostet hat. Ihr erwähnt die Gruppe ‚Women Defend Rojava‘ ja nicht einmal. Ich fände es angebracht, nochmal mehr mit deren Inhalten zu arbeiten, Forderungen oder Klarstellungen aufzugreifen, sich zu positionieren, als nur über sie zu schreiben.
„bzw. um die Frage, wie sexistisches Verhalten und sexistische Übergriffe zu verhandeln seien. Dieses Themen zu diskutieren verlangt nach einem besonderen Maß an Achtsamkeit, das wir als Redaktionsgruppe einer öffentlichen Nachrichtenplattform überhaupt nicht garantieren können. Addn.me ist ein geeigneter Ort um über Sexismus, sexistische Gewalt und den Umgang damit zu berichten und zu diskutieren. Es ist jedoch nicht der richtige Ort, um konkrete Einzelfälle im Detail zu erörtern.“
–> Ich sehe hier die Gefahr, dass die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt in den privaten, freundschaftlichen, wenig sichtbaren Bereich verdrängt wird. Das passiert häufig aus Bequemlichkeit, oder aus Angst etwas falsch zu machen; indem man sagt „ich weiß ja gar nicht genau worums geht, wie soll ich mich dazu positionieren“. Ich finde das ist eine Ausrede. An der Stelle würde ich gegenfragen, wieviel Betroffene ihres Übergriffs denn genau schildern sollen, bis Menschen sich befähigt fühlen damit umzugehen? Es kann nicht die Lösung sein, dass sich Betroffene ausziehen.
Außerdem, Leute die keine Erfahrung mit Übergriffigkeiten und Sexismus haben, hören entweder FLINT* ihres Umfelds nicht zu, fragen nicht nach, oder begehen sie selbst ohne zu checken, dass es welche sind.
Ich verstehe, dass damit gemeint ist nicht 1:1 Personen und Vorgänge öffentlich durchzukauen, aber meistens verlaufen Mackerverhalten, Übergriffe, Konflikte, Abwehrmechanismen, Ausschlüsse ja irgendwie nach nem ähnlichen Muster. Das zu thematisieren ist (behaupte ich mal erfahrungstechnisch) präzise genug, ganz viele Fälle damit direkt zu betrachten, und allgemein genug, Muster zu erkennen.
Ich finde jede Struktur, Gruppe, jede Person, muss sich selbst befähigen über Sexismen reden zu können; sich grob positionieren zu können, ohne die Detailfrage auszuschlachten.
Die Texte vom malobeo sind gut, nehmt doch den mit Feminismus in eure Lesenswert Empfehlung auf. Und wie ich das verstanden haben, sollte letzterer (Feminismus feiern und heimlich fürchten) ein Beispiel sein, sich abstrakt über Sexismus zu unterhalten, ohne genau zu wissen, was passiert.
Man könnte z.b. nochmal einen Text drüber schreiben, welchen Argumentationsmustern sich die ‚Dresdner Ischen‘ bedienen, und warum und wo sie problematisch sind. Damit wäre vielen geholfen, die Gruppen bekämen die aufgedröselte Möglichkeit, sich mit sich zu beschäftigen – und ihr hättet Verantwortung übernommen.
Man könnte einen Text über klassische Abwehrmechanismen schreiben, die aufploppen sobald man mit einem Vorwurf konfrontiert wird, und wie man die überwinden kann.
Man könnte einen Übersichts-Vernetzungstext verschiedenen Initativen erstellen. Man könnte anonyme call-outs anleiern, man könnte …