Durch den Einzug der Digitalfotografie in den Alltag vieler Menschen ging bei Bildern leider viel zu oft die Authentizität des Augenblicks verloren. Bei den Bildern des nach Dresden zurückgekehrten Fotografen Lothar Lange ist das glücklicherweise nicht der Fall. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist seine Galerie mit Bildern aus der Wendezeit in Dresden von 1990-1994.
Auf der Abschussliste stehen heute barocke Fassaden. Gestern hat Lothar Lange noch Hinterhöfe erbeutet, die dunklen Geheimnisse hinter den Häusern auf der Kamenzer Straße ergründet und seine Kamera mit unzähligen Bildern von bröckligen Backsteinmauern, Mülltonnen und vereisten Wäscheleinen gespeist. Nun eben schneebestäubte Sehenswürdigkeiten. Nicht vier oder fünf hübsche Ansichten, sondern Hunderte Details, die sich zu einem grauen, verhangenen Februar-Panoptikum zusammenfügen. Schönheit interessiert Lothar Lange nicht. Wenn er loszieht, will er so viel Dresden wie möglich mit nach Hause nehmen.
Purzelbaum der Zeit
Er ist ein Sammler, der an der Elbe zum Jäger wurde. Dresden hat es ihm angetan, hier kehrt er immer wieder zurück, seit er im Dezember 1989 das erste Mal aus seiner Heimatstadt Hannover anreiste. „Am ersten Tag, an dem die Visumpflicht nicht mehr galt“, sagt er. Lange blieb, weil er sich als „bekennender Neo-Romantiker“ in die Silhouette der drallen Barock-Lady verliebt hatte. Außerdem machte die Zeit gerade Purzelbäume, und alles war viel zu spannend, um einfach wieder umzudrehen. Und er selbst fand sich in der Stadt wieder. „Ich hatte ein problematisches, schwieriges Leben“, sagt er. „Ich stand oft am Rand der Gesellschaft und war eigentlich in der gleichen Situation wie der Osten damals.“
Lange konnte es nicht erwarten zu sehen, wie sich das neue Land in seiner neuen Freiheit zurechtfindet und wollte diesen Prozess und seine Stimmungen festhalten, bevor alles von der Zukunft verschluckt wird. Er begann zu fotografieren. Alles und jeden, der irgendwie zum großen Ganzen gehörte: Cola-Automaten und Bananenstauden, das Treffen von Bürgerrechtlern und den Schwof beim Volksfest, Klingelschilder und die ersten Plakate mit barbusiger Werbung. Der funkelnde Schein ist ihm egal, technische Raffinesse und die perfekte Komposition noch viel mehr. „Mit Schärfe wird Klarheit suggeriert, das lehne ich ab“, sagt der 52-Jährige. „Meine Bilder sollen Wasserstandsmeldungen der Zeit sein.“
1994 hatte Lange 119 Kästen mit insgesamt 19000 Dias zusammen und zog vorerst einen Strich unter sein Projekt. Er wollte nach Hannover zu seinen vier Kindern, von nun an ihre Entwicklung verfolgen. Sein Neustädter Antiquariat verließ er, seine Aufnahmen übergab er an das Stadtarchiv. Lange kehrte Dresden den Rücken – für zwölf Jahre.
2007 erschien er plötzlich wieder auf der Bildfläche. Um endlich sein Projekt zu vollenden, sagt er. Einen Teil seiner Wende-Fotos stellte er im Kupferstichkabinett aus, der andere sollte nun endlich in Angriff genommen werden. Lange wollte den Kreis schließen und das Vorher mit dem Nachher vergleichen. Die Gesichter der Stadt hatten sich verändert. Auch seines. Der Zausel war noch zauseliger geworden. Wirre Haare auf dem Kopf, ein eigenwilliger Glanz in den Augen und viele, viele Worte im Mund. Urgestein nennt man ihn. Einen Besessenen, der zum Inventar gehört, wenn in Dresden irgendwo etwas passiert. Lothar Lange ist immer dabei. In der Tasche seine Kamera, inzwischen eine digitale Ausführung, das hilft einem Quantitäts-Fotografen wie ihm beim Wirtschaften. Er hält drauf und drückt ab. Oft, ohne dabei durchs Objektiv zu schauen. Einen Tag sammelt er Aussichten von der Spitze eines Kirchturms ein, am nächsten konzentriert er sich ausschließlich auf die Leuchtreklamen eines Straßenzugs und den übernächsten sucht er die Vergänglichkeit auf der Pferderennbahn.
Momente in Massen
Voriges Wochenende war Lange im Zentrum unterwegs. In 700 Bilder hat er die Demonstrationen zum Gedenken an die Bombenangriffe auf Dresden gepresst, die Hälfte davon hat er für seine Internetseite ausgewählt. Ein übliches Verhältnis. Nicht jedes Foto hält seinen Ansprüchen stand, ein Mosaik aus mehreren hundert Teilen ist aber gerade genug, um dem Moment gerecht zu werden. Fast wirkt es so, als würde er Dresden jeden Tag aufs Neue hinterher jagen und doch nie fertig werden. Und dabei hat er sich genau das vorgenommen. Noch dieses Jahr will er eine Bilanz seiner 20-jährigen Bestandsaufnahme vorstellen, eine Auswahl aus den 50000 neuen Fotos treffen und mit den Bildern kurz nach der Wende verbinden. Noch sucht er nach einem Weg, um den Plan zu realisieren. Und nach genügend Kraft, um dabei nicht die Puste zu verlieren.
Ein Mosaik namens Dresden
Von Doreen Hübler
Auf der Abschussliste stehen heute barocke Fassaden. Gestern hat Lothar Lange noch Hinterhöfe erbeutet, die dunklen Geheimnisse hinter den Häusern auf der Kamenzer Straße ergründet und seine Kamera mit unzähligen Bildern von bröckligen Backsteinmauern, Mülltonnen und vereisten Wäscheleinen gespeist. Nun eben schneebestäubte Sehenswürdigkeiten. Nicht vier oder fünf hübsche Ansichten, sondern Hunderte Details, die sich zu einem grauen, verhangenen Februar-Panoptikum zusammenfügen. Schönheit interessiert Lothar Lange nicht. Wenn er loszieht, will er so viel Dresden wie möglich mit nach Hause nehmen.
Purzelbaum der Zeit
Er ist ein Sammler, der an der Elbe zum Jäger wurde. Dresden hat es ihm angetan, hier kehrt er immer wieder zurück, seit er im Dezember 1989 das erste Mal aus seiner Heimatstadt Hannover anreiste. „Am ersten Tag, an dem die Visumpflicht nicht mehr galt“, sagt er. Lange blieb, weil er sich als „bekennender Neo-Romantiker“ in die Silhouette der drallen Barock-Lady verliebt hatte. Außerdem machte die Zeit gerade Purzelbäume, und alles war viel zu spannend, um einfach wieder umzudrehen. Und er selbst fand sich in der Stadt wieder. „Ich hatte ein problematisches, schwieriges Leben“, sagt er. „Ich stand oft am Rand der Gesellschaft und war eigentlich in der gleichen Situation wie der Osten damals.“
Lange konnte es nicht erwarten zu sehen, wie sich das neue Land in seiner neuen Freiheit zurechtfindet und wollte diesen Prozess und seine Stimmungen festhalten, bevor alles von der Zukunft verschluckt wird. Er begann zu fotografieren. Alles und jeden, der irgendwie zum großen Ganzen gehörte: Cola-Automaten und Bananenstauden, das Treffen von Bürgerrechtlern und den Schwof beim Volksfest, Klingelschilder und die ersten Plakate mit barbusiger Werbung. Der funkelnde Schein ist ihm egal, technische Raffinesse und die perfekte Komposition noch viel mehr. „Mit Schärfe wird Klarheit suggeriert, das lehne ich ab“, sagt der 52-Jährige. „Meine Bilder sollen Wasserstandsmeldungen der Zeit sein.“
1994 hatte Lange 119 Kästen mit insgesamt 19000 Dias zusammen und zog vorerst einen Strich unter sein Projekt. Er wollte nach Hannover zu seinen vier Kindern, von nun an ihre Entwicklung verfolgen. Sein Neustädter Antiquariat verließ er, seine Aufnahmen übergab er an das Stadtarchiv. Lange kehrte Dresden den Rücken – für zwölf Jahre.
2007 erschien er plötzlich wieder auf der Bildfläche. Um endlich sein Projekt zu vollenden, sagt er. Einen Teil seiner Wende-Fotos stellte er im Kupferstichkabinett aus, der andere sollte nun endlich in Angriff genommen werden. Lange wollte den Kreis schließen und das Vorher mit dem Nachher vergleichen. Die Gesichter der Stadt hatten sich verändert. Auch seines. Der Zausel war noch zauseliger geworden. Wirre Haare auf dem Kopf, ein eigenwilliger Glanz in den Augen und viele, viele Worte im Mund. Urgestein nennt man ihn. Einen Besessenen, der zum Inventar gehört, wenn in Dresden irgendwo etwas passiert. Lothar Lange ist immer dabei. In der Tasche seine Kamera, inzwischen eine digitale Ausführung, das hilft einem Quantitäts-Fotografen wie ihm beim Wirtschaften. Er hält drauf und drückt ab. Oft, ohne dabei durchs Objektiv zu schauen. Einen Tag sammelt er Aussichten von der Spitze eines Kirchturms ein, am nächsten konzentriert er sich ausschließlich auf die Leuchtreklamen eines Straßenzugs und den übernächsten sucht er die Vergänglichkeit auf der Pferderennbahn.
Momente in Massen
Voriges Wochenende war Lange im Zentrum unterwegs. In 700 Bilder hat er die Demonstrationen zum Gedenken an die Bombenangriffe auf Dresden gepresst, die Hälfte davon hat er für seine Internetseite ausgewählt. Ein übliches Verhältnis. Nicht jedes Foto hält seinen Ansprüchen stand, ein Mosaik aus mehreren hundert Teilen ist aber gerade genug, um dem Moment gerecht zu werden. Fast wirkt es so, als würde er Dresden jeden Tag aufs Neue hinterher jagen und doch nie fertig werden. Und dabei hat er sich genau das vorgenommen. Noch dieses Jahr will er eine Bilanz seiner 20-jährigen Bestandsaufnahme vorstellen, eine Auswahl aus den 50000 neuen Fotos treffen und mit den Bildern kurz nach der Wende verbinden. Noch sucht er nach einem Weg, um den Plan zu realisieren. Und nach genügend Kraft, um dabei nicht die Puste zu verlieren.
Quelle: Sächsische Zeitung (21.02.09)