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Das Gewaltmonopol im Kindergarten: Landesjugendamt will Kinderladen Conni e.V. schließen.

27. Februar 2024 - 16:01 Uhr

Ein Interview mit der Professorin für Bildung der Lebensalter und politische Bildung Julika Bürgin.

Aus einem Bericht (€) der Dresdner Neuesten Nachrichten vom 17. Januar geht hervor, dass das Landesjugendamt Sachsen (LJA) seit Dezember 2023 versucht den Kinderladen Conni e.V. zu schließen. Der Kinderladen ist Teil des mehrere Häuser umfassenden Alternativen Zentrums Conni auf der Rudolf-Leonhard Straße 39. Das Haus ist seit mehr als 30 Jahren ein wichtiger Bezugspunkte linker und alternativer Gruppen und Menschen in Dresden.

Unzuverlässiger Träger?

Laut DNN-Bericht lässt sich der Stand wie folgt zusammenfassen: Das LJA hat die Betriebserlaubnis des Conni e.V. für den Kinderladen mit sofortiger Wirkung per Bescheid am 19. Dezember 2023 zurückgezogen. Dagegen geht der Verein sowohl mit einem Eilantrag gegen den Bescheid, der die sofortige Schließung aufschieben soll, als auch mit einer Klage vor; beides liegt aktuell beim Verwaltungsgericht Dresden. Laut Verwaltungsgericht sehe das Landesjugendamt das „Wohl der Kinder in der Einrichtung wegen der Unzuverlässigkeit ihres Trägers und der nicht einer Kindertageseinrichtung adäquaten Rahmenbedingungen gefährdet“. „Die Unzuverlässigkeit bestehe darin“, so die DNN weiter, „dass ein Bekenntnis zum uneingeschränkten Gewaltmonopol des Staates als wesentlichem Bestandteil der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland seitens des Trägers der Einrichtung nicht gegeben sei.“ 

Der Conni e.V. ist neben dem Kinderladen auch Träger der Jugendhilfe. Er hat gegenüber den DNN die Vorwürfe weitgehend zurückgewiesen. Der Verein habe dem Landesjugendamt mitgeteilt, dass die Anwesenheit von Polizist:innen auf dem Gelände, „ohne dass diese aufgrund von Ermittlungstätigkeiten zutritt bekommen müssen, problematisch sein kann“. Denn in der Jugendarbeit gehe es um Gruppen, die „zu laut, zu bunt, zu kritisch sind“, und deswegen immer wieder Kriminalisierungserfahrungen mit der Polizei machen müssten. Eine Kindeswohlgefährdung liege vor, wenn das geistige, körperliche oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet sei. „Nichts davon steht im Fall der Kinder- und Jugendarbeit im AZ Conni im Raum“, zitieren die DNN den Verein.

Seit dem Artikel vom 17. Januar 2024 haben sich weder der Verein noch das Landesjugendamt zu den Vorkommnissen weiter geäußert. Addn nahm dies zum Anlass mit Julika Bürgin, Professorin für Bildung der Lebensalter und politische Bildung, über die Vorgänge zu sprechen.

Julika Bürgin, Professorin an der Hochschule Darmstadt, Fachbereich Soziale Arbeit.

Addn: Was sagen Sie zur vom Verein angeführten Begründung, dass in der Jugendarbeit mit Gruppen gearbeitet werde, die „zu laut, zu bunt, zu kritisch sind“ und deswegen immer wieder Kriminalisierungserfahrungen mit der Polizei machen müssen?

Die unabhängige sozialwissenschaftliche Forschung über polizeiliche Praktiken steht zwar noch am Anfang, aber bereits jetzt liegen belastbare Erkenntnisse dafür vor, dass sich nicht alle Menschen von der Polizei geschützt sehen und sogar begründet Angst haben können.

Die periodischen Sicherheitsberichte des Bundesinnenministeriums und des Bundesjustizministeriums befassen sich auch mit rechtswidriger Gewalt der Polizei. Das Bundesamt für Verfassungsschutz richtete 2019 eine „Zentralstelle ‚Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst‘“ ein. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz beanstandet das „Racial Profiling“ bei Polizeikontrollen. Der Lagebericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz über „Rechtsextremisten, ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ in Sicherheitsbehörden“ stellt nicht nur verfassungsfeindliche Bestrebungen in Landes- und Bundessicherheitsbehörden fest, sondern in großer Zahl politisch motivierte Beleidigungen, wie die Menschenwürde verletzende, ausgrenzende, verächtlichmachende, verspottende oder anderweitig herabwürdigende Äußerungen gegenüber Personen mit Migrationshintergrund oder Menschen islamischen und jüdischen Glaubens sowie den Versand von Nachrichten mit beleidigenden und bedrohlichen Inhalten an politisch Andersdenkende.

Die Erfahrung polizeilicher Bedrohung und Gewalt erschüttert das Weltbild und bedeutet maximale Unsicherheit, Handlungsunfähigkeit und Ohnmacht, wie Forschungen an der Ruhr-Universität Bochum bestätigten. Die wenigsten Betroffenen zeigen polizeiliche Körperverletzung im Amt an. Vor allem People of Colour berichten, dass die Polizei Anzeigen nicht aufnimmt oder dass ihnen wegen geringer Erfolgsaussichten, einer wahrscheinlichen polizeilichen Gegenanzeige und einer hohen psychischen Belastung von einer Anzeige abgeraten wird. Der Vertrauensverlust muss sich über die Polizei hinaus auf den Staat erstrecken, der die Polizei mit Befugnissen und Zwangsmitteln ausstattet. Die Bundesinnenministerin hat angekündigt, die strukturellen Missstände in den Behörden zu beheben. Das ist sehr wichtig, hilft potentiellen Geschädigten heute aber nicht.

Wenn Jugendliche betroffen sind, die gesellschaftlichen Normierungen nicht entsprechen, müsste ein Landesjugendamt unüberhörbar auf ihrer Seite stehen. Die öffentliche Jugendhilfe müsste in Kooperation mit den freien Trägern die Interessen der jungen Menschen wahren, mit ihren Lösungen für den Bedarf an safe spaces finden und sie bei rechtswidrigen Polizeihandlungen rechtlich, psychosozial und institutionell unterstützen.

Aufgabe eines Landesjugendamtes wäre es zudem, sich für politische Reformen auf der Ebene des Bundeslandes stark zu machen. Denn rechtswidrige Diskriminierungen bis zu Gewaltausübung durch Polizeibeamte sind nicht nur in individuellen Vorurteilsstrukturen und falschen Berufsvorstellungen begründet, sondern auch in Strukturen der Polizei. Dazu gehört die sogenannte Cop Culture, die gewaltakzeptierende Strukturen begünstigt, deckt und die polizeiliche Binnenkontrolle begrenzt. Da auch Polizeigesetze diskriminierendes Handeln befördern, empfiehlt das Deutsche Institut für Menschenrechte Bund und Ländern, Vorschriften zu streichen, die rassistischen Polizeikontrollen Vorschub leisten und Beschwerdestellen für Betroffene von rassistischer Polizeipraxis einzurichten.

Für die Bewertung der Handlungen eines Jugendhilfeträgers muss diese Situation zunächst zur Kenntnis genommen werden. Denn die Probleme und Belange von Jugendlichen, Kindern und ihren Familien, die die Träger zu beachten haben, sind nur in diesem politischen Kontext zu verstehen, zu dem die Polizei und das Landesjugendamt ebenso gehören wie die zuständigen Ministerien in der Landesregierung.

Addn: Rechtfertigt dies den Ausschluss von Polizeibeamt*innen aus den Vereinsräumen staatlich geförderter Jugendarbeit?

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz im Sozialgesetzbuch 8 bestimmt, dass Jugendarbeit an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden soll. Jugendarbeit soll zu Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen. Für viele Jugendliche sind Jugendzentren und –häuser Schutzräume vor Diskriminierungen, Stigmatisierungen, Disziplinierungen und auch Gewalt. Wenn junge Menschen in ihren Räumen nicht mit der Polizei konfrontiert sein wollen, ist dies auch Ausdruck der genannten Verhältnisse. Ein Träger, der die daraus resultierenden Belange der Jugendlichen missachtet, würde seinem gesetzlichen Auftrag nicht gerecht.

Addn: Das Landesjugendamt wirft dem Träger der Jugendarbeit in den Räumlichkeiten des AZ Conni vor, das Gewaltmonopol des Staates nicht anzuerkennen. Als Begründung dafür wird unter anderem genannt, dass der Verein einem Polizeibeamten den Zugang zu den Räumlichkeiten des Vereins verwehren möchte. Stellt dies in ihren Augen eine Infragestellung des Gewaltmonopols dar?

Die Polizei hat unter bestimmten, gesetzlich geregelten Voraussetzungen Zutrittsrechte auf privates Gelände, die sie auch erzwingen kann. Um derartige Situationen ging es aber nach meinen Informationen nicht. Ansonsten entscheiden die Einrichtungen unter Wahrung der Mitbestimmungsrechte der Jugendlichen, wer sich, außer den Jugendlichen und Mitarbeiter*innen, zu welchen Zwecken in den Räumlichkeiten aufhält. Dies hat nichts mit einer Infragestellung des Gewaltmonopols zu tun.

Addn: Stellt das Gewaltmonopol in Ihren Augen wie vom Landesjugendamt behauptet einen zentralen Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dar? Ist es sinnvoll, öffentliche Förderungen an ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu knüpfen?

Als einen Kern der demokratischen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland bestimmt Artikel 20 des Grundgesetzes, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Das Volk überträgt die Durchsetzung von Gewalt an die staatliche Exekutive und Judikative. Regierungen, Verwaltung und Behörden sind ebenso wie Gerichte an die Gesetze gebunden, die die Parlamente als Legislative beschließen. Es rührt daher an die Grundlagen der demokratischen Ordnung, wenn aus der Polizei heraus – also aus der Behörde heraus, die zu Zwangsmaßnahmen autorisiert und mit Waffen ausgestattet ist, – Gesetze nicht nur durch Einzelne, sondern in teilweise organisierter Form missachtet werden.

Öffentlich geförderte freie Träger der Jugendarbeit übernehmen Aufgaben der Jugendhilfe auf Grundlage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Das Sozialgesetzbuch ist Teil der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Bekenntnisse sind nicht vorgesehen, vielmehr müssen Jugendhilfeträger eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten. Die öffentliche Jugendhilfe kann sich hiervon konkret überzeugen, denn sie hat den gesetzlichen Auftrag, mit der freien Jugendhilfe zum Wohl junger Menschen und ihrer Familien partnerschaftlich zusammenarbeiten. Sie muss dabei die Selbständigkeit der freien Jugendhilfe in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben sowie in der Gestaltung ihrer Organisationsstruktur achten.



Veröffentlicht am 27. Februar 2024 um 16:01 Uhr von Redaktion in Freiräume, News

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