Aus Syrien geflüchtete Menschen sehen Assad als größte Bedrohung
15. Oktober 2015 - 01:48 Uhr - Eine Ergänzung
Seit Monaten geistern in deutschen Medien und Talkrunden Zahlen zu den nach Deutschland geflüchteten Menschen. Während auf der einen Seite rechte Bürgerinitiativen gemeinsam mit Nazis beinahe täglich Stimmung gegen eine vermeintliche „Überfremdung“ machen und die Politik damit dann immer wieder neue Verschärfungen des Asylrechts begründet, kommen die Wünsche, Ziele und Vorstellungen von Asylsuchenden dabei fast kaum zur Sprache. Um diese Lücke zu füllen, hat das Projekt „Adopt a Revolution“ nach Deutschland geflohene Syrerinnen und Syrer danach befragt, welche Gründe sie für ihre Flucht hatten, wie sie ihre Zukunft sehen und ob sie sich eine Rückkehr in das seit mehr als vier Jahren umkämpfte Syrien vorstellen können. Herausgekommen sind Antworten, die häufig in deutlichem Widerspruch zu dem stehen, was auf deutschen Straßen und in sozialen Netzwerken Tenor zu sein scheint.
Die Befragung wurde unter 889 zufällig ausgewählten syrischen Flüchtlingen in fünf deutschen Städten vor Registrierungsstellen und Erstaufnahmeeinrichtungen durchgeführt und vom Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB) wissenschaftlich begleitet. Aus den Antworten auf den insgesamt 30 Fragen ließen sich vier Kernaussagen ableiten, welche Anfang Oktober in Berlin präsentiert wurden (Ergebnisse der Studie als *.pdf). Daraus geht hervor, dass 92% der Menschen bewaffnete Auseinandersetzungen als Grund dafür angeben, warum sie Syrien verlassen mussten. Dabei machen 70% die Regierung von Bashar al-Assad für ihre Flucht verantwortlich, knapp ein Drittel der Befragten sieht in der islamistischen Terrorgruppe ISIS den Grund für ihre Flucht. Eine zweite ebenso zentrale Fluchtursache ist mit 86% die Angst davor, verhaftet oder entführt zu werden. Mehr als drei Viertel gaben die Befürchtung an, von Mitgliedern des Assad-Regimes festgenommen zu werden, gefolgt von Entführungen durch ISIS (42%).
Die Frage, ob sich die Menschen überhaupt eine Rückkehr nach Syrien vorstellen können, bejahten mehr als 90% der Syrerinnen und Syrer. Eine Voraussetzung dafür ist für 52% allerdings, dass Assad nicht mehr an der Macht ist. Lediglich eine kleine Minderheit von 8% kann sich vorstellen, dauerhaft in Europa zu bleiben. Immerhin 58% sehen in der Errichtung einer seit Monaten von der internationalen Gemeinschaft diskutierten Flugverbotszone eine mögliche Handlungsoption, um Fluchtbewegungen zu reduzieren. Die Angst vor den Fassbomben des Assad-Regimes schätzten 73% als Risiko für Leib und Leben ein. Lediglich 24% sind davon überzeugt, dass humanitäre Hilfe auf Dauer Menschen dazu bewegen kann, weiter im Land zu bleiben. „Die Ergebnisse zeigen deutlich, wie viele der syrischen Geflüchteten zurückkehren möchten, allerdings in ein Land ohne den Diktator Bashar al-Assad“, so Elias Perabo, Mitgründer von Adopt a Revolution. „Während in der deutschen Öffentlichkeit die zweifelsohne schrecklichen Verbrechen des Islamischen Staates im Vordergrund stehen, sind es de facto die Fassbomben und Gewalt des Assad-Regimes, welche den Großteil der Menschen zur Flucht zwingen.“
Das im Herbst 2011 durch syrische und deutsche Aktivistinnen und Aktivisten ins Leben gerufene Projekt „Adopt a Revolution“ hat sich insgesamt vier Ziele gesetzt. Zum einen will das Projekt vor allem die zivilgesellschaftlichen Strukturen vor Ort stärken und dazu mit finanziellen Mitteln unterstützen. Gleichzeitig sollen Netzwerke geschaffen werden, um damit eine Annäherung als Voraussetzung für eine dauerhafte Solidarität zu schaffen. Das erklärte Ziel ist ein Erfahrungsaustausch und ein Wissenstransfer zwischen hiesigen und syrischen Gruppen, was zu einer Stärkung der syrischen Zivilgesellschaft führen soll. Da selbst in der Zivilgesellschaft in der jüngeren Zeit internationale Solidarität zunehmend in Form von Forderungen nach militärischen Interventionen ausgeübt wird, versteht sich das Projekt im Unterschied zur militärischen Gewalt neben der praktischen Hilfe auch als Beitrag zur Ausgestaltung internationaler Solidarität.
Wer die Arbeit des Projektes mit Spenden unterstützen möchte, kann dies mit einer Überweisung auf das folgende Konto tun:
Inhaber: about.change e.V.
Konto: 3536800
BLZ: 86020500 (Bank für Sozialwirtschaft)
IBAN: DE98 8602 0500 0003 5368 00
BIC: BFSWDE33LPZ
Veröffentlicht am 15. Oktober 2015 um 01:48 Uhr von Redaktion in News