Antifa

12 Jahre polizeiliche Ermittlungen gegen Antifaschismus in Sachsen

27. August 2021 - 16:58 Uhr

Dies ist der zweite Teil unserer Beschäftigung mit der Repression gegen Antifaschist:innen in Sachsen. In Teil I widmeten wir uns dem anstehenden Gerichtsprozess am Oberlandesgericht in Dresden.

Die Anklage gegen vier Antifaschist:innen vor dem Dresdner Oberlandesgericht (OLG) ist seit langem der erste Prozess, welcher aus Ermittlungen nach § 129 gegen antifaschistische Strukturen resultiert. Seit 2009 sind zahlreiche Ermittlungen gegen vermeintliche kriminelle Vereinigungen in der antifaschistischen Bewegung gescheitert und führten zu einer Reihe nie aufgearbeiteter Skandale. Die Generalstaatsanwaltschaft und das ermittelnde Landeskriminalamt Sachsen (LKA) standen dabei mehrfach in der Kritik, weil sie ihre Befugnisse zu weit ausgelegt und massive Grundrechtseingriffe begangen hatten.

2009 bis 2013: Das Phantom Antifasportgruppe in Dresden

Zunächst ermittelte das LKA Sachsen ab 2009 gegen eine angeblich existierende „Antifasportgruppe“, der mehrere Angriffe auf Nazis zur Last gelegt wurden. Auch hier mutmaßten die Ermittler:innen anhand ihnen ähnlich vorkommender Tathergänge ein und dieselbe Gruppe habe immer wieder gezielt Attacken durchgeführt. Später wurde das Verfahren erweitert und zwischenzeitlich gegen 48 Personen geführt, denen die Koordination der Ausschreitungen rund um Naziaufmärsche im Februar 2011 vorgeworfen wurde. Trotz massiver Eingriffe in das Privatleben der Beschuldigten gelang es dem LKA nicht, auch nur einer Person gerichtsfest die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nachzuweisen (addn berichtete). 

Selbst ein angeblicher Rädelsführer bekam Jahre später die Information, das Verfahren gegen ihn sei eingestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Ermittlungen bereits bundesweite Aufmerksamkeit durch die „Handygate“ genannte illegale massenhafte Funkzellenüberwachung am 18. und 19. Februar 2011 erlangt. Flankiert wurden die gesamten Ermittlungen von einer massiven Medienkampagne gegen Antifaschist:innen, deren Einsatz fortwährend mit dem Treiben von Nazis gleichgesetzt wurde. Deren Aktivitäten waren es jedoch erst, welche die Ermittlungsbehörden zu bestimmten Ermittlungsschritten geführt hatten. Namhafte Nazis hatten ihre Version der politischen Lage in der Stadt Dresden bei Zeug:innenvernehmungen zu Protokoll gegeben und so etwa die Überwachung eines Fitnessstudios veranlasst.

Aller guten Dinge sind drei. Antifasportgruppen in Leipzig

Von den zahlreichen Rückschlägen dieses Verfahrens ließen sich die Ermittlungsbehörden jedoch nicht einschüchtern. Im Jahr 2013 – dem Jahr der Einstellung des Dresdner Verfahrens – wurden in Leipzig erneut Ermittlungen nach § 129 aufgenommen. Das Konstrukt war dabei genau das gleiche, wie in Dresden: Antifaschist:innen, die zu verschiedenen Gelegenheiten organisiert und gezielt Angriffe auf Nazis machen würden. Wenn auch der Kreis der Beschuldigten in diesem Verfahren kleiner blieb, scheint er nicht weniger willkürlich zustande gekommen zu sein. In einem Interview (S. 29) nach dem ergebnislosen Abschluss des Verfahrens im Jahr 2016 berichteten ehemalige Beschuldigte, dass sie andere Beschuldigte erst durch die Ermittlungen kennengelernt hatten.

Vom Anfangsverdacht gegen drei namentlich bekannte Beschuldigte hatten die Ermittler:innen weiter gearbeitet und schließlich die gesamte Fanszene der BSG Chemie Leipzig ins Visier genommen. Die ursprünglich Beschuldigten fielen aus dem Raster. Pressevertreter:innen und andere Berufsgeheimnisträger:innen wurden jahrelang rechtswidrig überwacht. Parallel zu diesem Verfahren existierte seit 2015 ein weiteres, welches wegen antifaschistischer Interventionen in den Wahlkampf der Leipziger NPD 2014, gegen eine ebenfalls namentlich bekannte Person geführt wurde. Auch dieses wurde im Jahr 2017 schließlich ergebnislos eingestellt.

Eine Kurskorrektur nahmen die Ermittler:innen nicht vor. Sie gliederten stattdessen bestimmte Straftaten aus dem älteren Verfahren aus, um ab Jahr 2015 weiter gegen die linke Fanszene der BSG Chemie ermitteln zu können, obwohl das Ursprungsverfahren eingestellt wurde. Die nun zu ermittelnden Straftaten waren also Beifang teilweise rechtswidriger Ermittlungsmethoden. Die Gruppierung soll im Vorfeld und im Nachgang von Spielen ihres Vereins rechte Fans angegriffen haben. Brisant in diesem Verfahren ist, dass mitunter Personen aus dem Verfahren von 2013–2016 erneut beschuldigt wurden. Der weitere Verlauf ist bekannt, auf jahrelange Ermittlungen folgte die erneute Einstellung des Verfahrens.

In allen Verfahren war die Generalstaatsanwaltschaft Dresden federführend, regte die Aufnahme neuer Beschuldigter an, legitimierte weitreichende Grundrechtseingriffe und kassierte Rügen vom Sächsischen Datenschutzbeauftragten. Seit 2019 hat sich an ihre Seite die Soko Linx gesellt, die mit massivem personellem Aufwand gegen mutmaßliche Linke vorgeht. Medial in die Öffentlichkeit getragen wird dazu immer wieder eine angebliche Radikalisierung der linken oder autonomen Szene, die häufig wenig mit der Realität für Betroffene rechter Gewalt und der politischen Gesamtsituation im Freistaat zu tun hat.

Dabei scheut keineswegs nur die skandalgebeutelte sächsische Polizei, sondern auch der Sächsische Verfassungsschutz (LfV Sachsen) nicht vor offensiven Falschbehauptungen gegenüber der Öffentlichkeit, um vermeintlich linke Aktionen zu diskreditieren: Von einem durch den Sächsischen VS kolportieren Angriff auf die Privatwohnung des Sächsischen Justizministers über einen angeblichen Mordversuch zu Silvester am Connewitzer Kreuz, welcher sich als Körperverletzung entpuppte, zur Behauptung eines Millionenschadens durch die Flughafenblockade vor einigen Wochen, welcher im Nachhinein plötzlich nicht mehr näher bezifferbar war.

Die Proteste gegen den Flughafenausbau in Leipzig gehen trotz Repression weiter.

Nach wie vor ist der § 129 ein Ermittlungsinstrument, welches der Polizei weitreichende Befugnisse gibt und Beschuldigten die Verteidigung erschwert. Anders als andere Paragrafen des Strafgesetzbuches bedroht der § 129 bereits die Idee zu und Vorbereitung mutmaßlicher Straftaten mit hohen Strafen und lässt entsprechende Ermittlungen zu. Im Jahr 2017 wurden nach einem ebenfalls in Sachsen begonnenen Strafverfahren gegen eine Hooligangruppierung des Dresdner Fußballklubs Dynamo außerdem jene formalen Vorgaben gesenkt, die festlegen, was eine Vereinigung ausmacht. In Kombination mit der typisch sächsischen Paranoia vor einer Staatsgefährdung von Links ist er ein ideales Instrument für Polizeibeamt:innen geworden, um ein Klima der Angst und Unsicherheit unter Antifaschist:innen zu schaffen und linke Strukturen auszuforschen.

Der Prozess gegen eine antifaschistische kriminelle Vereinigung in Dresden sorgt für Proteste.


Veröffentlicht am 27. August 2021 um 16:58 Uhr von Redaktion in Antifa

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