10 Jahre addn.me sind nicht genug
1. April 2019 - 15:07 Uhr
Seit gut einem Jahr gab es aus verschiedensten Gründen keine Neuigkeiten mehr auf addn.me. Wir haben uns nach 10 Jahren eine Verschnaufpause gegönnt und uns gleichzeitig gefragt, was uns 2008 motiviert hatte, dieses Projekt auf die Beine zu erstellen. Damals war es vor allem das Fehlen an Informationen über Ereignisse in Dresden und dessen Umgebung, die in den großen regionalen Presseerzeugnissen entweder gar nicht zu finden waren oder über die mindestens fragwürdig berichtet wurde. So konnten wir, kurz nachdem die Seite online ging, über die rassistischen Angriffe nach dem EM-Halbfinalspiel zwischen Deutschland und der Türkei in der Dresdner Neustadt berichten. Während in den Boulevardblättern nach einem organisierten und koordiniertem Angriff auf Döner-Lokale durch rechte Hooligans und Nazis von „Döner-Krawallen“ zu lesen war, hatten wir gleich zu Beginn über die rassistischen Hintergründe der Tat berichtet. Diese Situation hat sich auch heute nicht grundlegend geändert. Die Berichterstattung unter dem Eindruck von gesellschaftlichem Rechtsruck und Rechtsdruck ist wenig ausgeglichen, was sich insbesondere an der kaum noch vorhandenen Rezeption rechtsmotivierter oder rassistischer Übergriffe zeigt.
In einem Punkt hat sich der Blickwinkel im Vergleich zu 2008 aber dennoch weiter verschoben: Einen Mangel an Information gibt es heute nicht mehr. Auf den kommerziellen Plattformen wie Twitter, Facebook, Youtube und Instagram werden im Minuten- bzw. Sekundentakt Informationen bereitgestellt, so viele, dass es immer schwerer fällt, den Überblick zu behalten. Vieles passiert in einer Geschwindigkeit, bei der sich die Halbwertszeit von Informationen zusehends auf ein Minimum reduziert hat. Dieser Umstand war für uns in der Vergangenheit ebenfalls ein wichtiger Ansatzpunkt für die Arbeit an addn.me und ist es noch heute. In Zeiten der Informationsflut werden qualitativ gut ausgearbeitete Berichte, Zusammenfassungen und Analysen wichtiger, weil sie die verschiedenen Informationsstränge zusammenführen und allgemein helfen können, einen Überblick zu behalten.
Vor einem Jahr folgte nach fast zehn Jahren kontinuierlicher Berichterstattung aus dem Herzen der Finsternis ein plötzlicher Bruch, dessen Ursachen vielfältig waren. Neben einer stetigen Überlastung und Prioritätenverschiebung auch innerhalb unserer Strukturen war dies sicherlich auch auf den Bedeutungszuwachs so genannter sozialer Netzwerke als Informationsplattform gerade für die jüngere internetaffine Generation zurückzuführen. Unserer Einschätzung nach entstand jedoch in den Monaten danach ein Vakuum, welches bis heute nicht adäquat gefüllt werden konnte. Auch wenn es in der Stadt noch immer eine große Zahl politisch aktiver Menschen und vielversprechende Anknüpfungspunkte für eine emanzipatorische Medienarbeit gibt, fehlt nach wie vor eine Plattform, die spektrenübergreifend als zentrale Anlauf- und Informationsstelle genutzt werden kann. Viele wichtige Informationen und gute Aktionen gehen, so scheint es, in der kaum erfassbaren Unendlichkeit des Internets verloren.
Nicht zuletzt ist die Idee hinter addn.me, verschiedensten Initiativen und Gruppen eine eigene Plattform zur Vermittlung emanzipatorischer Praxis anzubieten, aktueller denn je. In Zeiten einer immer weiter nach Rechts driftenden Gesellschaft kann die Bedeutung eigener Medien(arbeit) nicht stark genug betont werden. Die Erfahrungen aus anderen Ländern sollte vielmehr gezeigt haben, dass wirtschaftlich orientierte Unternehmen wie Google oder Facebook in autoritären Gesellschaften staatlichen Zensuranweisungen folgen, sofern sie nicht gleich ganz abgeschaltet werden. Die bevorstehende Verabschiedung des neuen Sächsisches Polizeigesetzes und die im September anstehenden Landtagswahlen lassen erahnen, wohin die Reise hierzulande führen wird.
Wir sehen noch immer den Bedarf nach einer zentralen Plattform für aktuelle Nachrichten aus unserer Region, trotz – oder gerade wegen – der großen Zahl politisch aktiver Menschen, die viele und gute Informationen über verschiedenste Kanäle veröffentlichen. Ein Relaunch der Seite kann allerdings nur gemeinsam mit Euch funktionieren. Alle Menschen, die sich in Zukunft einbringen wollen sind aufgerufen, sich aktiv zu beteiligen. Es ist an der Zeit, das Kapitel „engagierter grassroots-Journalismus“ fortzuschreiben, damit es bald wieder heißen kann: addn.me ist back on the map!
Veröffentlicht am 1. April 2019 um 15:07 Uhr von Redaktion in News