Querdenker-Kundgebung in Dresden
3. November 2020 - 18:40 Uhr
Am Samstag rief der Dresdner Ableger des bundesweiten Querdenken-Bündnisses zu einer Kundgebung auf dem Dresdner Theaterplatz auf. Anstatt der angemeldeten 1.000 Menschen, beteiligten sich bis zu 4.000 Personen an der Kundgebung. Viele davon ohne die vorgeschriebene Mund- und Nasenbedeckung. Aufgrund des Andrangs musste die ursprünglich vorgesehene Versammlungsfläche durch die Versammlungsbehörde noch einmal erweitert werden. Die 120 eingesetzten Polizist:innen wirkten zwischenzeitlich überfordert und konnten die Auflagen nur unzureichend durchsetzen. In Folge der Versammlung kam es dennoch zu mehreren Anzeigen wegen Urkundenfälschung. Darüber hinaus leitete die Polizei zwei Ermittlungsverfahren gegen zwei Redner und einen 31 jährigen Teilnehmer der Versammlung wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ein. Rund 50 Aktivist:innen protestierten am Rande der Veranstaltung gegen Verschwörungserzählungen und Antisemitismus.
Gegen 14 Uhr wurde auf dem Theaterplatz die Veranstaltung von Marcus Fuchs eröffnet. Fuchs ist Teil des vor kurzen gegründeten Dresdner Ablegers „Querdenken 351“ und fungierte am Samstag als Versammlungsleiter. Auch wenn die Veranstaltung zumindest offiziell durch „Querdenken 351“ angemeldet wurde, war ein Großteil der Organisator:innen und Redner:innen bundesweit angereist. Den Auftakt der Veranstaltung machte ein Gottesdienst der sogenannten „Christen im Widerstand„. Anschließend wurde in mehreren Reden vor allem die Maskenpflicht kritisiert, vor einer drohenden Diktatur gewarnt und dazu aufgerufen, der Polizei keine Atteste zu zeigen, die von der Maskenpflicht befreien. Dies, so der Anwalt Ralf Ludwig von der Bühne, wäre auch im Nachgang eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens immer noch möglich.
Deutlichere Wörter fand eine Rednerin aus dem Erzgebirge. Die Medizinerin Gerlind Läger wandte sich an den sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer: „Lassen sie uns Sachsen leben – leben, wie wir es seit Jahrtausenden tun. Ohne diese Maske“. Dass die Analogie zum tausendjährigen Reich nicht nur zufällig gewählt gewesen sein dürfte, zeigte sich auch daran, dass Läger am Folgetag bei der Kundgebung in Aue neben dem NPD-Politiker Stefan Hartung auf der Bühne stand und eine Rede hielt. Dieser hatte die Veranstaltung in der westsächsischen Stadt, zu der rund 500 Personen kamen, angemeldet. Eine weitere Rednerin aus Dresden beschwor in einer Analogie zu „Der Herr der Ringe“ die bösen Mächte Saurons in Gestalt von „Pharmaindustrie, Waffenhersteller und Bänkern“, welche die „freien Völker unterwerfen“ wollen. Im Nachgang stellte die Polizei Sachsen Anzeigen gegen zwei Redner, welche von der Bühne aus einen Hitlergruß gezeigt haben sollen .
Anziehungskraft hatte die Veranstaltung für unterschiedlichste Milieus. Neben Reichsbürger:innen, dem PEGIDA und Friedensmahnwachen-Publikum, war auch der Vorsitzenden der sächsischen AfD-Landtagsfraktion Jörg Urban mit weiteren Abgeordneten vor Ort, wie Dresden Nazifrei berichtete. Der AfD-Bundestagsabgeordnter Karsten Hilse unterhielt sich vor der Bühne mit einer Person aus dem PEGIDA Ordnerumfeld. Neben der AfD zeigten sich die Freien Wähler in Persona von Andreas Hofmann, besser bekannt als DJ Happy Vibes.
Wie Straßengezwitscher berichtete, machten zwischenzeitlich organisierte Kleingruppen Jagd auf Journalist:innen. Neben anwesenden Nazis aus dem Kameradschaftsspektrum, konnte sogar der verbotene Infostand für die verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck von der Polizei unbehelligt Propagandamaterial verteilen. Gemeinsamer Schnittpunkt der einzelnen Akteur:innen seien, so Dresden Nazifrei auf Twitter, „krude Verschwörungserzählungen, bei denen Schuldige für imaginierte oder tatsächliche Probleme ausgemacht und als Feinde markiert werden. Wo Hass gegen Menschen geschürt wird.“
Weder die gezielte Jagd auf Journalist:innen, noch das nicht Einhalten der Abstände und der Mund-, Nasenbedeckung konnte die Polizei unterbinden. Journalist:innen vor Ort berichteten von einer zeitweise überforderten Polizei. Der Pressesprecher der Polizei rechtfertigte das Vorgehen der Beamt:innen ebenso wie Landespolizeipräsident Kretzschmar vor allem mit der Verhältnismäßigkeit. So hätte ein Eingreifen selbst die geltenden Corona-Schutzverordnungen „konterkariert“, erklärte Marko Laske gegenüber dem MDR. Im Unterschied dazu hatten sich noch vor wenigen Wochen die gleichen Beamten im Umgang mit Teilnehmer:innen wenig zimperlich gezeigt.
Konnten Corona-Kritiker:innen bisher nur wenige Menschen in Dresden mobilisieren, dürfte die Gruppe „Querdenken 351“ durch das große Interesse an der Veranstaltung am vergangenen Samstag in ihrem Anliegen bestärkt worden sein. Der Erfolg könnte auch mit den Misserfolgen von PEGIDA in den letzten Wochen zusammenhängen, wo der sechste Jahrestag ausfallen musste. Blieb der überwiegende Teil des Klientels von PEGIDA bislang den Protesten im Großen Garten fern, dürfte mit dem Format von Querdenken nicht nur auf Grund einer hierarchischen Organisierung, sowie dem größeren Eventcharakter anschlussfähiger sein. Für kommenden Samstag sind bereits die nächsten Proteste in Leipzig angekündigt. Lokale Journalist:innen gehen von einer wesentlich größeren Mobilisierung aus, als das in Dresden der Fall gewesen ist.
Bild: Matthias Schwarz
Veröffentlicht am 3. November 2020 um 18:40 Uhr von Redaktion in Nazis