Gleichbleibend hohe Zahlen bei rechtsmotierverten Übergriffen im Jahr 2020
24. März 2021 - 19:20 Uhr
Am Dienstag dem 16. März stellte die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt des RAA Sachsen e.V. erneut ihre Statistik zu rechtsmotivierten und rassistischen Angriffen im Jahr 2020 in Sachsen vor. Auch in diesem Jahr fand die Vorstellung pandemiebedingt durch Andrea Hübler via Videokonferenz statt. Zugeschaltet war Benjamin Steinitz von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS). Auch für das vergangene Jahr zeigt die Statistik eine hohe Zahl rechtsmotivierter und rassistischer Straftaten. Bei 208 Angriffen wurden 304 Personen geschädigt. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 waren es 226 Angriffe mit 276 Betroffenen.
Die Statistik erfasst vor allem Fälle von Nötigung, Bedrohung, Körperverletzung, Brandstiftungen sowie versuchte Tötungsdelikte. Ein Unterschied zur polizeilichen Statistik besteht in der Einordnung der Tatmotive, bei der sich die RAA Sachsen in erster Linie auf die Perspektive der Betroffenen stützt. Für Dresden weist die Beratungsstelle 52 Fälle nach, die Landeshauptstadt ist damit gemeinsam mit Leipzig (66 Fälle) und Chemnitz (16 Fälle) einer der Schwerpunkte rechtsmotivierter Angriffe. Auffällig ist die erneut gestiegene Zahl von Übergriffen, die im direkten Wohnumfeld der Betroffenen stattfanden, welche zum Teil vermutlich mit der Coronapandemie und den staatlichen Maßnahmen (wie Ausgangsbeschränkungen) in Verbindung steht. Die weitreichende Stilllegung des öffentlichen Lebens durch die Lockdown-Maßnahmen und die entsprechende Verringerung der sozialen Kontakte und Interaktion hat zwar die Umstände rassistischer und rechtsmotivierter Gewalt verändert, nicht jedoch ihr Ausmaß eingedämmt.
Besonderes Augenmerk legte Andrea Hübler bei der Präsentation auf die schweren Gewalttaten des Jahres 2020. Zunächst hatten Unbekannte nur zwei Tage nach dem rechtsterroristischen Anschlag von Hanau am 19. Februar Brandanschläge auf eine Shishabar und einen Dönerimbiss in der Stadt Döbeln verübt. Hier zeigt sich, dass Attentate wie jene von Halle 2019 und Hanau 2020 oft eine motivierende Wirkung auf andere rassistische und neonazistische Täter:innen haben. In Dresden gab es außerdem im Jahr 2020 zwei versuchte Tötungen: Am 9. März wurde ein 26-jähriger Libyer mit einem Cuttermesser lebensgefährlich am Hals verletzt. Vor Gericht wiederholte der Täter sein rassistisches Gedankengut, obwohl er sich bei den Betroffenen entschuldigte. Es folgte im August 2020 eine Messerattacke gegen zwei Jugendliche bei einer Party in der Dresdner Heide. Anders als von der Staatsanwaltschaft derzeit angenommen, stellte Andrea Hübler klare Anzeichen für eine rechte Tatmotivation in den Vordergrund. Die dritte schwere Gewalttat, der Mord an einem 55-Jährigen und die versuchte Tötung seines Partners am 04.10.2020 fand aufgrund des homophoben Tatmotivs ebenfalls Eingang in die Statistik.
In der von Benjamin Steinitz vorgestellten Studie zu Antisemitismus in Sachsen (addn.me berichtete) zeigt sich ein Anstieg der Straftaten seit 2017. Auch wenn die Studie das Jahr 2020 nicht umfasst, sei jedoch deutlich, dass sich diese Tendenz im Zuge der sogenannten Corona-Proteste fortsetze. Antisemitismus sei hier ein wichtiges und verbindendes Element, sagte Steinitz. Dies spiegelt sich auch in der Arbeit der Opferberatung wieder, bestätigte Hübler. Besonders erwähnenswert sei die Relativierung der Shoah durch das Anheften gelber Davidsterne mit der Aufschrift „ungeimpft“ und der Verweis auf eine neue Weltordnung, die durch die staatlichen Coronamaßnahmen geschaffen würde. Außerdem speisten sich die zahlreichen Verschwörungen über Bill und Melinda Gates aus antisemitischen Erzählungen über jüdische Familien, wie sie schon seit langem bekannt sind. Die Verbreitung dieses antisemitischen Wissens in der Gesellschaft sei in den letzten Jahren durch die PEGIDA -Bewegung und die Identitäre Bewegung (IB) vorangetrieben worden.
Zuletzt zeigt die Erhebung der Opferberatungsstelle eine gestiegene Anzahl an Übergriffen auf asiatisch gelesene Menschen und damit einen Anstieg des antiasiatischen Rassismus. Dies sei eng verknüpft mit der medialen Berichterstattung zur Corona-Pandemie.
Neben der Häufung von Vorfällen, die unmittelbar mit der Pandemie in Verbindung zu bringen sind, blieben aber auch klassische Übergriffe des mutmaßlich neonazistischen Spektrums nicht aus. Im Ort Thum im Erzgebirgskreis griffen im September 2020 etwa 15-20 Personen einen Jugendclub an. Sie zeigten den Hitlergruß, riefen rassistische und antisemitische Parolen, verletzten mehrere Personen und beschädigten Tür und Mobiliar. Außerdem zeigt die Statistik einen Anstieg rechtsmotivierter Straftaten in der Stadt Zwickau, der einher ging mit dem immer selbstbewussteren Auftreten rechter und neonazistischer Gruppierungen wie dem III. Weg vor Ort.
Gefragt nach der politischen Verantwortung für die Situation im Freistaat verwiesen sowohl Steinitz als auch Hübler auf einen Nachhol- und Schulungsbedarf bei der sächsischen Polizei und Staatsanwaltschaft. Nach wie vor seien beide Stellen bei der Einordnung rechter Angriffe oftmals nicht fähig, eine treffende Einschätzung abzugeben. Zu oft blieben in der Vergangenheit Tatmotive unhinterfragt, mangelt es an Sensibilität gegenüber Betroffenen und so verwundert es kaum, dass mögliche Hinweise auf mögliche Täter:innen anschließend ungeprüft blieben.
Veröffentlicht am 24. März 2021 um 19:20 Uhr von Redaktion in Nazis