Der Sächsische Verfassungsschutz ist auf den Hund gekommen – Pegida nun offiziell »rechtsextrem«
13. Mai 2021 - 11:44 Uhr
Wie der Präsident des Sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Dirk-Martin Christian am Freitag mitteilte, hat das Amt die seit 2014 aktive Gruppierung Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) als rechtsextrem eingestuft. Diese Einstufung ist die Grundlage für die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel, etwa dem Einsatz von V-Leuten zur Erforschung von Strukturen und Zielsetzungen der Gruppe. Diese Einstufung ist so zeitlich überfällig wie unbrauchbar im Kampf gegen rassistische und faschistische Hetze im Freistaat Sachsen.
Ein kurzer Blick auf die Geschichte der Gruppierung um den Teneriffa-Exilanten und Intensivstraftäter Lutz Bachmann zeigt, dass das Amt hat über Jahre weggesehen und so aktiv Beihilfe geleistet bei der Verbreitung von Rassismus und Antisemitismus. Jahrelang konnten die Organisator:innen darauf vertrauen, dass ihr Handeln nicht näher unter die Lupe genommen wurde. Jeder noch so schockierenden Aussage, jedem Angriff und jeder Beleidigung folgten wenn überhaupt Gerichtsverfahren, die engagierte Antifaschist:innen anstrengen mussten. Ermittlungsdruck, wie ihn dieselben Antifaschist:innen in Sachsen zu spüren bekommen, mussten Bachmann und dessen Anhang nie fürchten.
Ein frappierendes Beispiel ist der Fall Nino Köhler. Dieser hatte im September 2016 aus rassistischen Motiven zwei Sprengsätze in Dresden gezündet. Ziel waren die DİTİB-Moschee in Cotta und das Internationale Congress Center Dresden (ICD). Ein Jahr zuvor hatte der zwei Jahre darauf zu knapp zehn Jahren Haft verurteilte Köhler eine Rede bei einer PEGIDA-Demonstration gehalten und gesagt: „Wenn Sie wollen, dass es in Deutschland […] zu einem Bürgerkrieg kommt, dann machen Sie nur so weiter. Aber dann Gnade Ihnen Gott. Denn von uns werden Sie keine erhalten.“
Ein weiteres Beispiel ist die Gruppe Freital, deren Mitglieder in den Jahren 2015/2016 in Dresden und Umland aktiv waren und später wegen zahlreicher Anschläge und Übergriffe zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Eine Radikalisierungsspirale, welche ohne PEGIDA nicht denkbar gewesen wäre. Ihr Anführer Timo Schulz war schon im Jahr 2014 als Ordner bei PEGIDA aktiv und besuchte zahlreiche rechte Demonstrationen und Veranstaltungen. Viele weitere Beispiele wurden in der Vergangenheit zusammengetragen und veröffentlicht – der Sächsische Verfassungsschutz schaute weg. Auch als in anderen Bundesländern Ableger von PEGIDA von den zuständigen Ämtern als „rechtsextrem“ eingestuft wurden, beharrte einzig die sächsische Behörde auf ihrer Position.
Doch auch wenn jetzt, lange nach der Hochphase der PEGIDA-Demonstrationen, eine Beobachtung durch das Amt beginnt, ist das dennoch kein Grund zur Freude für Antifaschist:innen. Das LfV folgt nach wie vor der Extremismustheorie, nach der sich die politischen Spektren in ihren Extremen ähneln würden, während eine gesellschaftliche Mitte frei von menschenverachtenden Einstellungen wäre. Allein aus dieser Logik ergibt sich, dass wer gegen Rechts ermittelt, irgendwann auch gegen Links aktiv werden muss. Dies erklärt auch die zögerliche Haltung des sächsischen LfV bei der Einschätzung gegen die von den politisch Verantwortlichen im Freistaat zu Beginn ebenfalls verharmloste Gruppierung.
Davon abgesehen jedoch ist eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz keineswegs ein Garant für einen Niedergang rechter Gruppen und Bewegungen. Zwar hat das LfV in der Vergangenheit durchaus rechte Umtriebe beobachtet, dennoch hat das V-Leute-System dazu geführt, dass hochrangige Kader mit Geld, Informationen und Straffreiheit als Quellen aufgebaut und gesichert wurden, ohne dass sie dafür ihre Aktivitäten hätten zurückstellen müssen. Ein Beispiel ist die Lockerung der Haft für den 1995 wegen Mordversuchs verurteilten Nazi und V-Mann Carsten Szczepanski auf Bestreben des Brandenburgischen Verfassungsschutzes. Verantwortlich dafür zeigte sich der 2013 zum VS-Präsidenten von Sachsen berufene Gordian Meyer-Plath.
Es ist ein absurder Zufall, dass ausgerechnet am selben Tag wie dem der Mitteilung des Sächsischen LfV im Deutschen Bundestag über ein neues Gesetz inklusive massiver Befugniserweiterungen für den VS diskutiert wurde. Nicht im Gespräch ist weiterhin eine grundsätzliche Reform des gesamten Amtes. Vor allem im Zuge des NSU-Skandals war deutlich geworden, dass keinerlei demokratische Kontrolle, weder über die V-Leute, noch über ihre sogenannten V-Leute-Führer besteht. Doch statt diesen desaströsen Zustand zu beenden, wurde er gesetzlich legitimiert und sogar erweitert.
Bildquelle: strassenstriche.net
Veröffentlicht am 13. Mai 2021 um 11:44 Uhr von Redaktion in Nazis