Demonstration erinnert an Jahrestag rechter Krawalle
17. August 2016 - 15:52 Uhr - Eine Ergänzung
Als vor einem Jahr ein Mob aus Nazis und rechten Hooligans gemeinsam mit besorgten Bürgerinnen und Bürgern in Heidenau versucht hatte, den Einzug von Asylsuchenden in ein zuvor als Baumarkt genutztes Gebäude zu verhindern, war die Polizei erst am dritten Tag in ausreichender Stärke vor Ort, um dabei gewaltsam gegen zugereiste Antifaschistinnen und Antifaschisten vorzugehen. Insgesamt waren bei den Ausschreitungen schon am ersten Abend mehr als 30 Einsatzkräfte der Polizei durch Flaschen-, Stein- und Böllerwürfe verletzt worden. Das Staatsversagen an jenem Augustwochenende war nicht nur offensichtlich, sondern angesichts der strafrechtlichen Aufarbeitung der Krawalle und der politischen Konsequenzen auch Kalkül. Was danach folgte, ist inzwischen hinlänglich bekannt: Während die Alternative für Deutschland (AfD) seitdem von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilt und die Bundesregierung den kaum zu übersehenden Rechtsruck im Land dazu nutzt, um mit immer neuen Gesetzen den nach Deutschland geflüchteten Menschen elementarste Grundrechte zu verwehren, sorgen nicht etwa die dramatisch gestiegene Zahl rechter Brandanschläge und Übergriffe, sondern zwei islamistisch motivierte Anschläge für eine Debatte über eine weitere Verschärfung bestehender Gesetze.
Wie bereits im Dezember letzten Jahres aus einer Antwort des Sächsischen Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten André Schollbach (Die Linke) ersichtlich wurde, hatten die über zwei Tage andauernden Krawalle in Heidenau bis dahin kaum zu strafrechtlichen Konsequenzen geführt. Wie der MDR auf Nachfrage vom Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Wolfgang Klein, in Erfahrung bringen konnte, wurden insgesamt 41 Ermittlungsverfahren eingeleitet. In lediglich 22 Fällen sei später wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen Anklage erhoben worden, fünf Verfahren laufen noch. Nach den Ausschreitungen hatte Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung behauptet, dass rechtes Gedankengut importiert worden wäre: „Ein nicht unwesentlicher Teil der Leute, die für die Übergriffe in Heidenau verantwortlich waren, waren keine Sachsen. Sie kamen aus Westdeutschland“. Vor dem Hintergrund dieser und ähnlich relativierender Aussagen fragte Ende Juni Valentin Lippmann von den Grünen nach der Herkunft der Tatverdächtigen.
„Ein nicht unwesentlicher Teil der Leute, die für die Übergriffe in Heidenau verantwortlich waren, waren keine Sachsen. Sie kamen aus Westdeutschland“ Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf im Interview mit der Leipziger Volkszeitung
Das Fazit, was Lippmann aus seiner Auswertung der Zahlen des Innenministeriums zieht, ist deutlich: „Die Sachsen sind leider mitnichten immun gegen Rechtsextremismus. Von den 2.046 seit 2015 ermittelten Tatverdächtigen im Bereich der politisch motivierten Kriminalität Rechts (‚Phänomenbereich Rechts‘) kommen 1.859 Personen aus Sachsen. Das sind über 90 Prozent. Wer anderes behauptet und von zugereisten rechten Gewalttätern spricht, hat nicht verstanden, wie es um die rechtsextremen Einstellungen im Freistaat bestellt ist“. Stattdessen geht aus den vom Innenministerium veröffentlichten Zahlen hervor, dass vor allem jene Orte, die wegen rechter Krawalle und Übergriffe verstärkt im Fokus der Medien waren, aus der Statistik herausragen: „Während im sachsenweiten Durchschnitt im ‚Phänomenbereich Rechts‘ 46 Tatverdächtige auf 100.000 Einwohner entfallen, liegen die Werte in manchen Teilen Sachsens deutlich, zum Teil bis zum fünffachen Wert darüber.“ (Heidenau: 127 auf 100.000; Freital: 248) „Offenbar“, so der Politiker weiter, „fühlen sich potentielle Täter von einer starken, rassistischen Stimmung in diesen Orten angespornt und die Hemmschwelle zu den Taten wird gesenkt.“
Angesichts des Jahrestages ruft für Sonntagnachmittag eine Initiative zu einer Demonstration in Heidenau auf. In ihrem Aufruf heißt es dazu: „Wir möchten mit dem allgemeinen Schweigen über die Ereignisse im August 2015 brechen. Wir lehnen das Schöngerede von lokalen Akteur*innen ab und fordern die lückenlose Aufarbeitung der Gewalttaten. Ein konsequenter Umgang mit rassistischen Ausschreitungen, Übergriffen, Drohungen und Anschlägen ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, der sich auch die bürgerliche Justiz, Politik und Bevölkerung nicht entziehen kann. Wir möchten unsere Wut auf die Straße tragen und den selbsternannten Asylkritiker*innen und jenen, die lieber die Vorhänge zuziehen, wenn ein rassistischer Mob durch ihre Straßen wütet und menschenverachtenden Ideologien skandiert, zeigen, dass wir die Schnauze voll haben von dieser faschistischen Stadthegemonie.“ Als Treffpunkt für eine gemeinsame Anreise mit dem Zug wurde um 12.45 Uhr der Neustädter Bahnhof angegeben.
Twitterrückblick: Vor einem Jahr: der rechte Mob in Heidenau
Veröffentlicht am 17. August 2016 um 15:52 Uhr von Redaktion in Nazis