Bewährungsstrafen für Naziterror in Hoyerswerda
28. Januar 2014 - 12:41 Uhr - 3 Ergänzungen
In Hoyerswerda wurde gestern am Amtsgericht das Urteil gegen acht mutmaßliche Mitglieder der rechten Szene gesprochen. Den Männern im Alter zwischen 18 und 36 Jahren war vorgeworfen worden, im Oktober 2012 ein junges Paar bedroht und beleidigt zu haben. Der Fall hatte bundesweit für Empörung gesorgt, weil den Betroffenen im Anschluss von der Polizei empfohlen worden war, aus Sicherheitsgründen die Stadt zu verlassen. Auch gestern wieder verfolgten sehr viele Personen aus dem persönlichen Umfeld der Täter die Gerichtsverhandlung. Wie schon am ersten Prozesstag, ließ es sich die ostsächsische NPD-Parteiprominenz auch nicht nehmen, der Verhandlung beizuwohnen und damit auch Monate nach der Tat für ein bedrohliches Klima im Gerichtssaal zu sorgen. Eine Verlegung der Verhandlung hatte Amtsrichter Michael Goebel zuvor mit der Begründung abgelehnt, die Angeklagten „nicht zum Schauobjekt” zu degradieren. Der ursprünglich für einen Tag angesetzte Prozess war nach anfänglichen Verzögerungen und langwierigen Zeugenvernehmungen verlängert worden.
Nachdem schon am ersten Verhandlungstag die vernommenen Polizeizeugen nur wenig zu den Tatvorwürfen sagen konnten, bestätigte sich am Montag erneut der Eindruck, dass die Polizei offenbar mit der Situation vollkommen überfordert gewesen ist. Übereinstimmend berichteten sie davon, wie sie vor Ort immer wieder ausgelacht worden sind. Spätestens als der Einsatzleiter vor Gericht bejahte, den Betroffenen an jenem Abend geraten zu haben, die Nazis nicht weiter zu „provozieren“, wurde klar, dass in Hoyerswerda offenbar nicht die Opfer, sondern stattdessen vielmehr die Täter geschützt werden. Der Behauptung der Angeklagten, zum Tatzeitpunkt völlig betrunken gewesen zu sein und sich an nichts erinnern zu können, widersprachen gestern etliche Zeugen. Alle Tatbeteiligten seien durchaus in der Lage gewesen, sich zu äußern. Zudem bestätigte einer der befragten Polizisten vor Gericht noch einmal die von den Männern abgestrittenen personellen Überschneidungen mit den so genannten „Autonomen Nationalisten Hoyerswerda“ (ANH).
Da drei der mutmaßlichen Täter am ersten Prozesstag vor knapp zwei Wochen nicht leugnen wollten, vor Ort gewesen zu sein, wurden gestern mit Spannung die Aussagen dreier Zeuginnen vom Tatabend erwartet. Vor Gericht schilderten die Frauen jedoch im Unterschied zu den Vernehmungsprotokollen nach der Tat, an dem Abend, ebenso wie die herbeigerufene Polizei, weder etwas gehört, noch etwas gesehen zu haben. Während die offensichtlich frei erfundenen Schilderungen durch die Ex-Freundin eines der Angeklagten vom Richter immerhin mit der Androhung von Beugehaft unterbunden wurden, ließen die Aussagen von einer Nachbarin des Paares darauf schließen, dass der Frau die Täter persönlich bekannt sind und sie nur aus Angst nichts vor Gericht aussagen wollte. Lediglich an einen von der Gruppe verursachten mehrminütigen Stromausfall konnte sie sich erinnern.
Für Verwunderung und Widersprüche sorgten nach den Befragungen die auf Wunsch der Nebenklage vorgelesenen Antworten des sächsischen Innenministeriums auf eine kleine Anfrage der Grünen-Landtagsabgeordneten Eva Jähnigen im Sächsischen Landtag vom Dezember 2012. Damals hatte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) behauptet, dass die durch ihre „aggressive Grundhaltung“ aufgefallene Gruppe nach dem Eintreffen neuer Einsatzkräfte vor dem Haus einen Platzverweis erhalten haben sollen. Dies jedoch hatten die gestern vernommenen Polizeizeugen ebenso verneint, wie eine besonders aggressive Stimmung. So sei die Gruppe erst zwei Stunden nach dem ersten Notanruf an einer Tankstelle von der inzwischen verstärkten Polizei kontrolliert worden. Danach legte Bartl dem Gericht Facebookfotos der mutmaßlichen Täter vor, um noch einmal ihre Nähe zur Naziszene deutlich zu machen und daran zu appellieren, die Angeklagten auch wegen Landfriedensbruch zu verurteilen.
Während die Staatsanwaltschaft der von der Nebenklage geforderten Verurteilung wegen Landfriedensbruch und den damit in Zusammenhang stehenden politischen Hintergründen des Überfalls vor Gericht nicht folgen wollte, sah Staatsanwalt Christopher Gerhardi in seinem anschließenden Plädoyer indes die Tatvorwürfe der Bedrohung und Beleidigung als erwiesen an. Der Anwalt der Nebenklage, Klaus Bartl (Die Linke), erinnerte in seinem Abschlussplädoyer noch einmal an die psychischen Folgen für das Paar. So hätten beide nicht nur „drei Stunden panische Todesangst“ gehabt, sondern seien auch jetzt noch immer traumatisiert. Es könne nicht sein, so Bartl weiter, „dass in dieser Republik Menschen ihre Wohnung aufgeben müssen, weil sich der Staat nicht durchsetzen kann“. Das Ziel der Nebenklage sei es nicht gewesen, hohe Strafen zu fordern, sondern die Notwendigkeit von Zivilcourage gegen Nazis zu betonen. Nicht die Nazis sollten geschützt werden, sondern diejenigen, die sich tagtäglich mit ihnen auseinandersetzen. Das Paar hatte vor dem Abend in der Stadt immer wieder rechte Aufkleber entfernt.
In seinem Urteil schloss sich Richter Goebel dann auch den Forderungen der Staatsanwaltschaft an und verurteilte einen der zum Zeitpunkt der Verhandlung bereits wegen einer anderen Tat verurteilten Männer zu weiteren fünf Monaten Gefängnis. Die übrigen Beschuldigten wurden trotz mehrerer Vorstrafen zu Bewährungsstrafen verurteilt. Fünf der Männer bekamen acht bis zehneinhalb Monaten Haft auf Bewährung, zwei der zum Tatzeitpunkt noch jugendlichen Täter erhielten eine Jugendstrafe auf Bewährung verbunden mit der Auflage, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Einer der Angeklagten wurde als erzieherische Maßnahme dazu verurteilt, das 1981 von Morton Rhue veröffentlichte Buch „Die Welle“ zu lesen und gemeinsam mit der Jugendgerichtshilfe durchzusprechen. Nach Einschätzung des Gerichtes sei das Motiv des Übergriffs die Rache dafür gewesen, dass der junge Mann von der Gruppe dafür verantwortlich gemacht wurde, mehrere Fotos eines rechten Aufmarsches in Hoyerswerda im Internet veröffentlicht und mit persönlichen Daten versehen zu haben. Eine aus diesem Grund durchgeführte Computerauswertung durch das Sächsische Landeskriminalamt (LKA) ergab dafür allerdings keine Anhaltspunkte.
Der Prozessbeobachter und Landtagsabgeordnete der Grünen, Miro Jennerjahn, kritisierte die in der Urteilsbegründung festgestellte positiven Sozialprognose für die verurteilten Täter. Seiner Auffassung nach habe das Gericht die politische Dimension der Tat nicht ausreichend berücksichtigt. „Zu sehen waren Polizisten, die vor Neonazis kapitulieren bzw. wissen, dass sie keine Chance haben und Zeugen, die aus Angst vor den Nazis nichts sagen und erhebliche Erinnerungslücken aufweisen“, so der Rechtsextremismusexperte der Grünen im Sächsischen Landtag abschließend. Auch der Vizepräsident des Internationale Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, bezeichnete das am Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust gefällte Urteil als „fatales Signal für all jene Bürger, die sich in ihren Gemeinden Neonazis entgegenstellen und auf die wehrhafte Demokratie hoffen“. In seinen Augen sei das Urteil „auch eine Beleidigung für die Opfer des Holocaust, derer man gestern so wohltönend gedacht hat“.
Veröffentlicht am 28. Januar 2014 um 12:41 Uhr von Redaktion in Nazis