226 rechtsmotivierte Angriffe 2019 in Sachsen
13. April 2020 - 20:55 Uhr
Bereits am 18. März veröffentlichte die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt des RAA Sachsen e.V. ihre Statistik zu rechtsmotivierten und rassistischen Angriffen 2019 in Sachsen. In einer den Umständen angepassten Zoom-Konferenz erläuterten die Sprecherin Andrea Hübler und der Geschäftsführer Robert Kusche die Ergebnisse. Trotz eines Rückgangs der gezählten Vorfälle sprach die Stelle von einem „anhaltend hohe[n] Niveau rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt im Berichtszeitraum.“ Die Beratungsstelle zählte im vergangenen Jahr bei insgesamt 226 Angriffen 276 Betroffene.
Die Statistik erfasst vor allem Fälle von Nötigung, Bedrohung, Körperverletzung, Brandstiftungen sowie versuchte Tötungsdelikte. Ein Unterschied zur polizeilichen Statistik besteht vor allem in der Einschätzung der Tatmotive, dabei bezieht sich die RAA Sachsen zu allererst auf die Perspektive der Betroffenen. Für Dresden weist die Beratungsstelle 53 Fälle nach, die Landeshauptstadt ist damit gemeinsam mit Leipzig (62 Fälle) und Chemnitz (19 Fälle) einer der Schwerpunkte rechtsmotivierter Angriffe. Die meisten Übergriffe geschahen im öffentlichen Raum, gefolgt von öffentlichen Verkehrsmitteln. Doch auch das private Wohnumfeld spielt in der Statistik nach wie vor eine große Rolle.
Ein besonders drastischer Übergriff war die Attacke eines etwa 70 Jahre alten Mannes auf einen 4-Jährigen in der Vorweihnachtszeit. Dabei war der mit einem Fahrrad fahrende Junge im Beisein seiner Mutter vom Angreifer getreten worden. Durch seinen Sturz vom Fahrrad zog er sich schwere Schürfwunden zu. Erst nachdem ein Passant zu Hilfe eilte, entfernte sich der bislang noch unbekannte Täter.
Deutlich wird bei vielen Vorfällen, wie das Wegschauen und Nichteingreifen bis hin zur Problematisierung der Betroffenen und nicht der Täter:innen, ein Klima rassistischer Normalität erzeugt: Am 20. Juni 2019 wurde zum Beispiel eine Frau in einer Straßenbahn der Linie 9 von einem 51-jährigen Mann rassistisch und sexistisch beleidigt und bespuckt. Der Mann äußerte der Betroffenen gegenüber Morddrohungen und brachte seine menschenverachtende Einstellung durch Zeigen des Hitlergrußes sowie der Entblößung seiner Genitalien zum Ausdruck. Als wäre das noch nicht genug, meldete die Betroffene sich wenig später über die sozialen Medien zu Wort und berichtete, dass der Fahrer der Straßenbahn verärgert auf ihren Notruf reagiert habe und sie darauf hinwies, dass sie eine Strafe von 200€ zahlen müsse, wenn der Bahnverkehr durch ihren Notruf unbegründet aufgehalten werden würde.
Sprecherin Andrea Hübler sagte dazu: „In den Angriffszahlen zeigt sich ein unveränderter gesellschaftlicher Zustand in Sachsen und darüber hinaus, der durch einen nach rechts verschobenen Diskurs, in Teilen offen artikulierten Rassismus und nicht zuletzt durch eine gewachsene Einflussnahme durch die AfD in Kommunalparlamenten und Landtag geprägt ist.“ Desweiteren relativierte sie den Rückgang der Fallzahlen im Vergleich zu den Zahlen aus den Vorjahren: „Die überdurchschnittlich hohen Angriffszahlen 2015 und 2016 liegen in den rassistischen Mobilisierungen gegen die Aufnahme Geflüchteter begründet, während der Anstieg 2018 vor allem in den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz in August und September seine Ursache hatte.“
In der Chronik über rechtsmotivierte Taten, in welche auch verhältnismäßig kleine Delikte, wie das Skandieren rechter Parolen, eingehen, zählte die RAA Sachsen im Jahr 2019 116 Fälle in der Sächsischen Landeshauptstadt. Zur Bedeutung solcher minder schwerer Delikte meinte Andrea Hübler: „In diesem gesellschaftlichen Klima sind Betroffene mit Anfeindungen und Alltagsrassismus konfrontiert, die in ihren Wirkungen auf Betroffene, Community und Gesellschaft kaum weniger folgenreich sind, als physische Gewalttaten, die in die vorliegende Statistik rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt einfließen.“
Für das Jahr 2020 ist die Aussicht kaum besser: zu Jahresbeginn gab es einen brutalen, lebensgefährlichen Übergriff am Straßburger Platz. Ein Mann attackierte nach einem Streit eine dritte Person die schlichtend eingreifen wollte mit einem Messer am Hals, das Tatmotiv offenbar auch hier: Rassismus. Erst Anfang letzter Woche wurde eine weitere schwere körperliche Attacke auf der Reitbahnstraße bekannt. Gerade mal einen Tag zuvor hatten in Pieschen Unbekannte auf 31 Fahrzeugen u.a. Hakenkreuze geschmiert. Von einer Verbesserung des gesellschaftlichen Klimas kann angesichts des Wahlerfolgs der Alternative für Deutschland (AfD) bei den Landtageswahlen im vergangenen Spätsommer leider auch in diesem Jahr nicht ausgegangen werden.
Veröffentlicht am 13. April 2020 um 20:55 Uhr von Redaktion in Nazis