Nazis

19., 20., 21. und 22. Verhandlungstag im Prozess gegen die „Gruppe Freital“

26. Juni 2017 - 23:50 Uhr

Dokumentation des Prozessberichtes der Opferberatung des RAA Sachsen

Der 19. Prozesstag beginnt mit der Vernehmung des Nebenklägers H. Der Zeuge schildert seine Erinnerungen an die Nacht vom 31. Oktober zum 1. November 2015 in der Wilsdruffer Straße. Er erinnert sich, dass zu Halloween ein paar seiner Mitbewohner nach Dresden gefahren seien, H. sei mit drei Mitbewohnern in Freital geblieben.

Er erzählt, dass er mit einem Mitbewohner Karten gespielt habe. Da er müde geworden sei, hätte ein anderer Mitbewohner in das Spiel einsteigen sollen. Er habe ihn dazu geholt und sei anschließend in der Küche zum Kühlschrank gegangen, um noch etwas zu essen. Der Kühlschrank habe direkt neben dem Fenster gestanden und beim Schließen der Tür habe H. eine „Dynamitstange“ mit Zündschnur gesehen. Zunächst habe H. vermutet, es handele sich um einen Streich. Sein Mitbewohner habe sich den Sprengkörper ebenfalls angeschaut und dann sofort reagiert. Er habe sie aus der Küche in den Flur gedrückt und die Küchentür geschlossen. Ein oder zwei Sekunden später habe es eine Explosion gegeben. Der Zeuge berichtet, dass er hinter der Wand zur Küche gestanden und die Ohren zugehalten habe.

H. berichtet, dass es insgesamt drei Detonationen gegeben habe, alle in sehr kurzer Abfolge. Danach sei der vierte Mitbewohner aus dem Zimmer links der Küche auf den Flur getreten. Er sei am Auge verletzt gewesen und habe leicht geblutet. Nach einer oder zwei Minuten sei der Nachbar zu ihnen gekommen und habe die Polizei verständigt. Zu den Nachbarn seien die Beziehungen sehr gut gewesen, man habe sich vom gemeinsamen Grillen gekannt, ergänzt der Zeuge.

Die Polizei sei dann auch eingetroffen, die Kommunikation sei aber kompliziert gewesen. H. habe den Ablauf in englisch geschildert, der Nachbar wiederum habe das der Polizei übersetzt. Die Situation sei aber unübersichtlich gewesen. H. berichtet außerdem, dass auch im Flur Splitter gelegen hätten. Die Explosion habe die Küchentür aufgedrückt. Diese sei zwar geschlossen gewesen, könne aber mit einem richtigen Stoß geöffnet werden, erinnert er sich. An größere Schäden an der Küchentür könne er sich nicht erinnern, er habe sie aber auch nicht genau angeschaut, erklärt er auf Nachfrage.

Der Mitbewohner A. habe über Probleme mit seinen Beinen geklagt. H. vermutet aber, dass das eine psychische Ursache gehabt habe. Er selbst sei nicht verletzt gewesen, allerdings sei er psychisch stark belastet gewesen. Sie hätten zu dritt nach Schmiedeberg ziehen müssen, der vierte Mitbewohner sei in Dresden geblieben. In Schmiedeberg seien sie aber sehr isoliert gewesen. H. habe sich deswegen sehr unsicher gefühlt. Der Zeuge erwähnt auch einen weiteren Krankenhausbesuch A.s, er habe erneut über Beinschmerzen geklagt, woraufhin er geröntgt worden sei.

Nach der Rückkehr in die reparierte Wohnung habe H. versucht, so oft wie möglich Freunde in Dresden oder Sebnitz zu besuchen, um nicht in Freital sein zu müssen. Er habe etwa drei bis vier Monate auf seine Anerkennung als Flüchtling gewartet, dann habe er sich sofort bemüht, aus Freital wegzuziehen. Bei der Rückkehr in die Wohnung habe sein Mitbewohner Al. auch das Fehlen von Dokumenten und Bargeld erwähnt.

Zum Abschluss seiner Vernehmung fragt der Zeuge die Angeklagten, warum sie die Wohnung angegriffen haben. Als Flüchtlinge seien sie auf der Suche nach Sicherheit gekommen, so H. weiter. Justin S. wendet sich daraufhin direkt an den Zeugen und entschuldigt sich für seine Taten, die durch nichts zu rechtfertigen seien. Er hoffe, dass H. sein Leben in Ruhe fortsetzen könne. Auch Patrick F. ergreift das Wort und entschuldigt sich.

Der Vorsitzende Richter Fresemann gibt Patrick F. zu bedenken, dass eine Distanzierung von den Gruppenzielen entscheidend sei, auch im Hinblick auf die beantragten Hafterleichterungen. Patrick F. erwidert jedoch nur, dass das Thema nach der Haft „für ihn durch sei“. Klare Worte zur rechten Tatmotivation und eine entsprechende Distanzierung bleibt Patrick F. aber schuldig.

Als nächstes berichtet der Zeuge Alh. ebenfalls zum Komplex Wilsdruffer Straße. Er habe am Tatabend in seinem Zimmer auf dem Bett gelegen und telefoniert. Sein Bett habe gegenüber den Zimmerfenstern gestanden. Auf einmal habe es eine Explosion gegeben, er habe einen Blitz wahrgenommen, dann sei die Scheibe heruntergefallen und überall im Raum hätten Splitter auf dem Boden gelegen.

Er sei dabei sowohl im rechten Auge, als auch knapp daneben verletzt worden. Er habe starke Schmerzen gehabt. Alh. habe dann unter Schock und mit Angst das Zimmer verlassen. Auf dem Flur seien seine drei Mitbewohner gewesen. Später sei die Polizei eingetroffen, er habe aber nicht mehr viel mitbekommen, da er Angst um sein Auge gehabt habe. Deswegen sei er ins Krankenhaus gebracht worden, dort hätten sie ihm Augentropfen gegeben, die die Schmerzen gelindert hätten. Später sei er noch einmal deswegen im Krankenhaus gewesen. Der Zeuge denkt, dass er Glück gehabt habe, da sein Bett recht weit weg vom Fenster gestanden habe und beide Fenster mit einer Gardine verhangen gewesen seien.

Er habe dann auch in Schmiedeberg gewohnt und habe später in die Wohnung nach Freital zurückkehren müssen. Dort sei er aber fast nur noch gewesen, um seine Post abzuholen, ansonsten habe er bei einem Kumpel in Dresden gewohnt. Auch heute habe er immer noch Angst, trotz der langen Zeit seit der Tat. Alh. macht deutlich, dass er mit so einer Tat nicht gerechnet habe.

Zum Abschluss spricht Justin S. den Zeugen an und entschuldigt sich bei ihm. Alh. möchte von ihm wissen, warum sie ihm das angetan haben, sie hätten in Freital nur in Frieden leben wollen. Das sei seine Hoffnung gewesen. Eine Antwort bekommt er jedoch nicht. Patrick F., der sich ebenfalls entschuldigt, antwortet auf die Frage nur: „Das lässt sich im Nachhinein nicht erklären.“ Dann wird der Zeuge entlassen.

Der dritte und letzte Zeuge ist der Polizeibeamte M. Er arbeitet beim OAZ und hatte den Auftrag die Bewegungen des PKWs von Timo S. auszuwerten, der mit einem GPS-Sender observiert wurde. Seine Arbeitsgrundlage seien die Rohdaten des Senders im Excel-Format gewesen, das Gerät selbst habe er nicht in den Händen gehalten. Vom zuständigen Sachbearbeiter sei ihm der Zeitraum vom 31. Oktober bis zum 1. November 2015 vorgegeben worden. Er habe aus den Rohdaten die entsprechenden Daten herausgefiltert, insgesamt seien das reichlich 1.000 Datensätze gewesen, die Angaben zum Zeitpunkt, Datum und Geoposition in Dezimalgrad enthalten hätten.

Daraus habe er Bewegungsbilder und Kartenmaterial für die Akte erstellt. Das Ergebnis sei gewesen, dass der PKW von Timo S. aus Richtung Tschechien den Real-Parkplatz angesteuert habe. Dort habe es bis 21:36 Uhr gestanden. Er habe das als Tatort 1 in einer Karte markiert. Anschließend sei der PKW zur ARAL-Tankstelle gefahren und dort bis 22:07 Uhr geblieben. Dann sei der PKW in die Nähe der Wohnanschrift von Timo S. gefahren und habe dort bis 23:46 Uhr gestanden. Gegen Mitternacht sei das Fahrzeug erst im Bereich Kleinnaundorf festgestellt worden, anschließend sei es zum Tatort 2 in der Wilsdruffer Straße gefahren. Dort sei es zweimal vorbeigefahren, anschließend habe es von 0:19 Uhr bis 0:49 Uhr in etwa 200 Meter Entfernung vom Tatort gestanden. Der Beamte erklärt, dass das Fahrzeug erst zum McDonalds bewegt worden sei und dann mehrfach zwischen Tatort und ARAL-Tankstelle, sowie in der Umgebung des attackierten Wohnobjekts. 2:00 Uhr sei das Fahrzeug letztmalig an der ARAL-Tankstelle festgestellt worden, dann habe es sich in die Nähe der Wohnanschrift von Timo S. bewegt und sei dort abgestellt worden.

Nach der Befragung des Beamten endet der heutige 19. Prozesstag.

Die erste Zeugenvernehmung dauert nicht einmal 15 Minuten. Der Polizist W. war als Durchsuchungskraft in der Wohnung des Angeklagten Timo S. eingesetzt. Er schildert, dass sich Timo S. von dieser Maßnahme sehr überrascht und auch empört gezeigt habe. Der habe sich in der Diskussion „sehr offensiv“ verhalten, so W., und sich als „Halbjurist“ bezeichnet. Ansonsten sei die Durchsuchung aber „ganz normal“ verlaufen und nach drei Stunden beendet gewesen. Zu den Vorwürfen habe Timo S. gesagt, dass er da nicht dabei gewesen sei, bezogen auf den Anschlag Wilsdruffer Straße habe er außerdem geäußert, dass er in der Nacht bei McDonalds in Dresden-Gompitz essen gewesen sei. Er habe auch bestritten etwas mit Pyrotechnik zu tun zu haben, so die Erinnerung des Beamten.

Im Anschluss wird der BKA-Beamte N. vernommen. Er berichtet vor allem über die Beschuldigtenvernehmung von Justin S., die damals unter Beisein seines Rechtsanwaltes durch Staatsanwalt Neuhaus geführt worden sei. Justin S. habe bei der Befragung nur sehr zögerlich geantwortet, erklärt der Zeuge, man habe mehr Fragen gestellt, als man Antworten bekommen habe. Die Vernehmung, sie habe sich über mehrere Stunden erstreckt, sei auf Band aufgezeichnet worden. Der Bericht des BKA-Beamten über die Aussage deckt sich in wesentlichen Punkten mit der Einlassung Justin S.s zu Beginn des Prozesses.

In der Vernehmung sei zunächst der persönliche Werdegang von Justin S. thematisiert worden, anschließend sei es darum gegangen, wie er in Kontakt mit den anderen Angeklagten gekommen sei. Auch damals habe er schon ausgesagt, dass er zunächst in einer Gruppe aktiv gewesen sei, die „Kosovoalbanern“ bei der Aus- bzw. Weiterreise „geholfen“ habe. Über Mike S. sei er letztlich zu den Treffen an der ARAL mitgenommen worden. Die Tankstelle, auch als „blaue Lagune“ bezeichnet, sei dann regelmäßiger Treffpunkt gewesen. Justin S. habe ausgesagt, dass man Treffen telefonisch oder per Chat abgestimmt habe, zunächst mit WhatsApp, später dann mit Kakaotalk. Die Mitglieder der Gruppe habe Justin S. in der Vernehmung als „ziemlich rechtsradikal und hoch gewalttätig gegenüber Andersdenkenden“ beschrieben. Der Zeuge N. berichtet, dass Justin S. sich selbst als „Mitläufer“ beschrieben habe, der in der Gruppe nach Anerkennung gesucht habe. Wortführer seien Timo S., Patrick F. und Philipp W. gewesen, gefragt nach den „Chefs“, habe Justin S. sowohl Timo S. als auch Patrick F. benannt.

Als Gruppe sei man gemeinsam auf Demonstrationen gegangen, etwa in Freital, zu PEGIDA in Dresden oder in Heidenau. Justin S. habe auch gesagt, dass er mit Mike S. und weiteren Personen bei Spielen von Dynamo Dresden im Ultrablock gewesen sei.

Justin S. habe in der Vernehmung zum Anschlag auf den PKW des Linken-Stadtrats erzählt, dass man schon drauf und dran gewesen sei, den durchzuführen, dann aber davon Abstand genommen habe. Einen Tag später habe er dann erfahren, dass das Auto gesprengt worden sei. Zum Anschlag Bahnhofstraße habe Justin S. gesagt, dass er bei einer Geburtstagsparty gewesen sei, in deren Verlauf er gehört habe, dass etwas passiert sei. Daraufhin sei er zum Tatort gegangen. Später habe er gehört, dass Patrick F. den Anschlag verübt haben soll, der habe sich ihm gegenüber aber nie dazu bekannt, sondern behauptet, er habe an dem Abend „gezockt“.

Der BKA-Beamte N. berichtet auch über die Aussage Justin S.s zu Overbeckstraße. Das Ziel des Angriffs sei gewesen, das gesamte Wohnobjekt unbewohnbar zu machen. Man sei einem Plan von Patrick F. gefolgt und habe zwei Gruppen gebildet, eine sollte von vorne einen Ablenkungsangriff starten, hinten am Haus sollten die Scheiben eingeschlagen werden und dann mit Cobra-Sprengkörpern verbundene Buttersäureflaschen hineingeworfen werden. Justin S. selbst sei hinten dabei gewesen und habe einen La-Bomba-Teppich gezündet.

Zum Anschlag Wilsdruffer Straße habe Justin S. ebenfalls ausgesagt. Er habe seinen Sprengkörper nicht wie abgemacht an das Fenster geklebt, sondern auf die Fensterbank, in der Hoffnung so die Folgen der Explosion zu minimieren. Der BKA-Beamte erwähnt auch, dass Justin S. gesagt habe, dass er den Sprengkörper nicht gezündet hätte, hätte er Personen hinter seinem Fenster gesehen. Justin S. habe in seiner Aussage bestätigt, dass er gewusst habe, dass hinter dem mittleren Fenster Leute zu sehen waren. Er habe außerdem ausgesagt, dass er sich Sorgen gemacht habe, jemand könne verletzt oder gar getötet werden.

Der Zeuge berichtet, dass Justin S. noch zu weiteren Taten Angaben gemacht habe, darunter zu zwei Brandstiftungen im ehemaligen Real-Markt. Er berichtete auch von den Sprengversuchen und davon gefertigten Videos. Dabei seien Cobra-Sprengkörper mit Nägeln und Bierdosen präpariert worden. Hintergrund sei die Idee gewesen, eine solche „Splitterbombe“ in ein Flüchtlingszelt zu werfen. Das sei aber nicht konkretisiert worden. Der Zeuge N. erinnert sich auch, dass es eine Diskussion gegeben habe, dass man auf Frauen und Kinder Rücksicht nehmen müsse. Nach etwa anderthalb Stunden endet die Zeugenbefragung.

Dritter und letzter Zeuge des Tages ist KHK Daniel M. vom LKA Sachsen. Er wird heute zur Auswertung der Videoüberwachung der ARAL-Tankstelle im Zusammenhang mit dem Anschlag Wilsdruffer Straße vernommen.

KHK M. berichtet, dass er Videos im Zeitraum von 16:00 bis 2:00 Uhr ausgewertet habe. Insgesamt habe ihm Material von sieben bis neun Kameras zur Verfügung gestanden, die Videos habe er sich einzeln und mehrfach angeschaut. Das Ergebnis seiner Auswertung seien Videoprints, die er seinem Auswertebericht beigefügt habe. Für die Sicherung der Videodaten sei er nicht zuständig gewesen, dass hätten vermutlich Kollegen der Polizeidirektion Dresden oder vom OAZ übernommen. Er persönlich hätte sich Aufnahmen gewünscht, die noch ein, zwei Stunden länger dauern. Allerdings habe er die Auswertung erst ein halbes Jahr später vorgenommen, weil die vorher nicht zu schaffen gewesen sei. Damit sei es aber auch zwecklos weiteres Material der Tankstelle anzufragen, das sei bereits gelöscht.

M. erläutert, dass in der Ermittlungsgruppe Deuben die ARAL nach dem Anschlag Overbeckstraße als neuralgischer Punkt und „Haupttreffpunkt“ erkannt worden wäre. Vorher habe es nur einen leichten Verdacht gegeben. Entsprechend sei auch im Zusammenhang mit dem Anschlag Wilsdruffer Straße das Videomaterial gesichert worden.

Aus dem Material habe er herausgearbeitet, dass zwischen 16:30 und 16:45 Uhr verschiedene Beschuldigte an der Tankstelle eintreffen, darunter Justin S., Mike S., Timo S., Sebastian S. und Rico K. Dann habe man sehen können, dass drei Fahrzeuge das Gelände verlassen. Gegen 21:30 Uhr habe es die nächste Zusammenkunft in einer veränderten Konstellation gegeben. Um 22:08 Uhr habe die Gruppe die Tankstelle erneut verlassen. Bemerkenswert, so der Zeuge, sei dann ein Fahrerwechsel gegen 23 Uhr gewesen, da seien Justin S. und Sebastian W. beteiligt gewesen. Um 1:40 Uhr habe er beide erneut erkannt, außerdem sei gleichzeitig das Fahrzeug von Timo S. an der Tankstelle aufgetaucht. Alle seien bis mindestens 2 Uhr dort geblieben.

Das Gericht nimmt die gefertigten Videoprints in Augenschein. Der Zeuge erläutert, dass die Treffen »routinemäßig« und wie ein „alltäglicher Besuch“ gewirkt hätten. Er habe in den Videos erkennen können, dass man miteinander in kleinen Gruppen beisammen gestanden und gesprochen habe. Eine Besprechung bei der alle im Kreis gestanden hätten, habe er aber nicht gesehen. Er habe auch kein konspiratives Verhalten erkennen können. Mit Einbruch der Dunkelheit habe die Erkennbarkeit der Videos nachgelassen, M. habe da weniger Details sehen können als bei den Tag- oder Innenaufnahmen.

Nach der einstündigen Befragung endet der heutige 20. Verhandlungstag.

Die 33-jährige Studentin S. ist Bewohnerin des alternativen Wohnprojekts auf der Overbeckstraße. Sie sei dort kurz vor dem Anschlag eingezogen, die eigentlichen Probleme hätten aber schon in den Wochen vorher begonnen, nämlich mit der Errichtung einer rassistischen Blockade vor der Turnhalle Thäterstraße. Sie erinnert sich, dass seitdem immer wieder Personen „Streife“ gelaufen seien und das Haus fotografiert hätten. Außerdem habe es Situationen gegeben, in denen sich mehrere schwarz gekleidete Personen vor dem Haus versammelt hätten, um zu provozieren. Dabei seien Gesten gemacht worden, dass die Bewohner_innen herauskommen sollten. Die Personen seien eindeutig „nicht friedlich“ gesinnt gewesen, die Zeugin vermutet, dass es sich um Rechtsradikale oder Neonazis gehandelt habe. Die Zeugin selbst und andere Hausbewohner*innen seien bei der Initiative „Willkommen in Übigau“ aktiv gewesen.

Am Tag des Anschlags, es müsse kurz vor 24 Uhr gewesen sein, habe sie im 2. Obergeschoss in einem Zimmer am Computer gearbeitet. Das Zimmer sei der Straße zugewandt und sie habe gehört, dass auf der Overbeckstraße Leute stehen würden, habe sich aber erst einmal nichts weiter dabei gedacht. Als sie in einen anderen Raum gehen wollte, um einen besseren Blick auf die Straße zu bekommen, habe sie die ersten sehr lauten Knallgeräusche gehört. Die Zeugin schildert, dass sie ein Stockwerk tiefer gelaufen sei, dort eine Kamera gefunden habe, ihr aber in der Aufregung keine Aufnahmen gelungen seien. Ihr sei es während des Angriffs nicht möglich gewesen, etwas sinnvolles bzw. rationales zu tun. Sie sei im 1. Obergeschoss in den Gemeinschaftsraum gegangen, habe dort aber gesehen, dass die Fensterscheibe zerstört war und habe deswegen den Raum gleich wieder verlassen.

Der dominante Eindruck des Angriffs sei der Lärm der Explosionen gewesen, sie habe aber auch Blitze und Rauch wahrgenommen. Es habe durchgehend geknallt, dann sei es „recht plötzlich“ vorbei gewesen. „Ja, natürlich hatte ich Angst“, antwortet sie auf eine Frage. Sie habe nicht gewusst, was passiert, ob Leute ins Haus eindringen oder ob da Brandsätze reingeworfen werden.

Die Polizei sei dann rasch eingetroffen, die Beamten hätten Fotos der Schäden, sowohl von außen als auch in den Zimmern gefertigt. Außerdem hätten sie Buttersäureflaschen sichergestellt, sowie einen etwa 10x10cm großen Pflasterstein, das meiste hätten die Beamten aber liegen gelassen.

Zum Haus erklärt die Zeugin, dass es sich um ein Hausprojekt im Mietshäuser Syndikat handele. Es habe drei Etagen, auf allen Etagen befände sich ein Gemeinschaftsraum und ansonsten Wohnräume. Insgesamt böte das Haus Platz für etwa 20 Personen, zum Zeitpunkt des Angriffs gab es ihrer Erinnerung nach keinen Leerstand. Sie vermute, dass sich zum Zeitpunkt des Angriffs etwa zehn bis fünfzehn Personen im Haus aufgehalten haben. Sie habe das an dem Abend nicht gezählt. Sie wisse auch nicht genau, ob jemand im Erdgeschoss gewesen sei, halte es aber für wahrscheinlich. Der dortige Gemeinschaftsraum ist der größte und eigentlich dauerhaft genutzt.

Die Schäden vom Anschlag habe sie sich später angeschaut, viele Fenster seien zerstört gewesen, ein Fahrrad sei demoliert worden und es hätten Böllerreste herumgelegen. An der Hauswand habe es schwarze Spuren gegeben, ein Kachelofen sei offenbar durch einen Stein beschädigt worden und im Hof am Hauseingang habe es in den nächsten zwei Wochen nach Buttersäure gestunken. Auch ansonsten habe der Angriff nachgewirkt, sie empfand die Situation als unangenehm und unsicher. Das habe sich erst gebessert, als erste Festnahmen in den Medien gemeldet worden seien.

Auf Nachfrage bestätigt die Zeugin, dass die Namen der Bewohner_innen am Briefkasten gestanden hätten, der wiederum zur Straße hin hinter dem Zaun gestanden habe. Auf die Frage des Beisitzenden Richters, ob es im Haus eine Verteidigungsbereitschaft gegeben habe, antwortete sie, dass das möglich sei.

Der Verteidiger RA Sturm fragt in seiner ersten Frage nach einem Namen und will wissen, ob die Zeugin die Person kenne und ob diese im Haus wohne. Die Nebenklage-Vertreter beanstanden diese Frage, sie sei für die Aufklärung der Tat nicht geeignet. RA Sturm begründet sein Interesse an der Person lapidar mit „Informationsgewinn“, was sein Mandant Timo S. mit einem breiten Grinsen quittiert. RA Nießing begründet anschließend die Beanstandung. Er führt aus, dass die Namensnennung die Zeugen gefährde, da deren Wohnort ja bereits bekannt sei und der Verzicht auf die Preisgabe ihrer Identität der letzte verbleibende Schutz sei. Das sei insbesondere aufgrund der erhobenen Vorwürfe in der Anklage relevant, außerdem seien bis heute nicht alle Beteiligten des Anschlags Overbeckstraße ermittelt. Ein anderer Nebenklagevertreter ergänzt, dass schon der Eindruck entsteht, dass es dem Fragesteller vor allem darum geht, diejenigen öffentlich zu machen, die die Angeklagten als Gegner ausgemacht haben. Von Seiten der Verteidiger von Mike S. wird eingeworfen, dass es so eine Bedrohungslage gar nicht gäbe, woraufhin RA Pietrzyk auf die bereits im Verfahren thematisierten Drohungen gegen Felix W. und Justin S. verweist. Die Zeugin zeigt sich erschrocken, schließlich sei es doch bekannt, dass Nazis die Namen politischer Gegner sammeln.

Nach einer Mittagspause ordnet der Vorsitzende Richter Fresemann an, dass die Frage zulässig ist, da sie nicht auf den aktuellen Wohnort des Zeugen ziele. Diese Anordnung wird auch durch einen Senatsbeschluss bestätigt.

Die Zeugin macht jedoch deutlich, dass sie zur Identität von Haus- und Mitbewohner*innen keine Angaben machen wird. Den von der Nebenklage beantragten Ausschluss der Öffentlichkeit lehnt das Gericht ebenfalls ab. Fresemann macht nochmal deutlich, dass die Frage zu beantworten ist, will jedoch RA Sturm bitten, zur nächsten Frage weiter zu gehen. Der beantragt jedoch die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen die Zeugin und beanstandet, nachdem Fresemann weiterhin um die nächste Frage bittet, die Zurückstellung des Antrags. Nachdem das Gericht rechtliches Gehör gewährt und eine weitere Pause anberaumt hat, ergeht der Senatsbeschluss, der die Entscheidung über die Zurückstellung von Ordnungsmitteln bestätigt. Diese sei zulässig, da diese Frage der Leitungskompetenz des Vorsitzenden unterliege, außerdem sei die Verhängung von Ordnungsmitteln nach einer ersten Weigerung nicht sachgerecht, da eine wiederholte Festsetzung selbiger unzulässig sei.

RA Sturm setzt seine Befragung fort. Er fragt nach einer weiteren Person, nennt jedoch nur noch den Anfangsbuchstaben des Nachnamens. Die Zeugin beharrt jedoch darauf, dass sie dazu keine Angaben machen werde. Sie sei sich bewusst, dass sie die Wahrheit sagen müsse, wolle aber nicht noch weitere Personen gefährden. Fresemann erläutert ihr daraufhin nochmals die Situation, es stehe ein Ordnungsgeld und eine Kostenauferlegung im Raum. Darüber hinaus gehe es um die Aufklärung der Frage, wo sich Personen zum Tatzeitpunkt aufgehalten hätten. Das sei bereits bei der Beiordnung von Nebenklagevertreter*innen diskutiert worden. Die Zeugin bleibt jedoch dabei und beantwortet diese und weitere Fragen zur Identität möglicher Hausbewohner*innen nicht.

Nach einem „Entschuldigung“ von Patrick F. befragt RA Franek die Zeugin und hält ihr einen Mietvertrag aus den Anträgen auf Prozesskostenhilfe vor, aus dem sich ein späteres Einzugsdatum, nach dem Tattag, ergebe. Auch hier intervenieren die Anwälte der Nebenklage. Die Unterlagen sind rechtswidrig in die Akten gelangt, das Gericht wisse darum und müsse einen Weg finden, wie dieser Fehler nicht mehr fort wirkt. Solche Fehler seien möglicherweise auch der Grund, warum manche Nebenkläger*innen wenig Vertrauen in das Verfahren haben. Die Beanstandung der Frage, ob die Zeugin zum Tatzeitpunkt in der Overbeckstraße gewohnt habe, wird jedoch zurückgewiesen. Sie bestätigt das erneut. Franek fragt, ob damals ein anderer Mietvertrag vorgelegen habe. An der Stelle unterbricht das Gericht die Befragung, die am Freitag fortgesetzt wird.

RA Wilhelm formuliert noch ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter Fresemann. Der soll in einer Erläuterung für die Zeugin erklärt haben, dass im Fall der Overbeckstraße auch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in Frage komme. Das hätte er den Angeklagten aber deutlich machen müssen und sei damit seiner Informationspflicht nicht nachgekommen. Ein Nebenklagevertreter erklärt in einer Stellungnahme, dass die Gefährdung wegen des versuchten Mordes bereits von der Nebenklage herausgearbeitet worden sei. Er habe den Eindruck, dass der Vorsitzende Richter lediglich sein Unverständnis zum Ausdruck gebracht habe, dass einerseits so eine Gefährdungslage begründet werde, andererseits aber keine Angaben zu den Personen im Haus gemacht werden.

Gegen 16:40 Uhr wird die Hauptverhandlung bis zum Freitag unterbrochen.

Die Hauptverhandlung im Prozess gegen die Gruppe Freital beginnt heute eine Stunde später. Einer der Gefangenentransporter ist auf dem Weg zum Gericht in einen Unfall verwickelt gewesen.

Dann wird die Befragung der Zeugin und Nebenklägerin S. fortgesetzt, bringt in der Sache aber kaum neue Erkenntnisse. Auf die Frage des Beisitzenden Richters Scheuring, woher ihre Erinnerungslücken kommen, macht die Zeugin nochmals deutlich, dass sie der Angriff auf das Wohnprojekt in der Overbeckstraße in einen Ausnahmezustand versetzt habe. Deswegen falle es ihr schwer, den genauen Ablauf zu rekonstruieren, sie könne sich an verschiedene Sachen nicht erinnern.

Die Zeugin bleibt wie schon am Vortag bei ihrer Entscheidung, die Namen ihrer Mitbewohner*innen nicht zu benennen, um diese zu schützen. Diese Haltung löst im Verlauf des Tages immer wieder Kontroversen aus. Der Verteidiger des Angeklagten Philipp W. RA Hollstein stellt daraufhin den Zweck ihrer Nebenklage in Frage und unterstellt der Zeugin ein »rechtsstaatswidriges«, »skandalöses« Verhalten. Die Zeugin betont aber, dass ihr sehr wohl an einer Sachaufklärung gelegen ist und sie bereit sei alle anderen Fragen zu beantworten. Dennoch unterstellt RA Hollstein der Zeugin, sie sei zum Tatzeitpunkt möglicherweise gar nicht in der Overbeckstraße gewesen, obwohl sie bereits gestern umfänglich zum Tatgeschehen ausgesagt hat.

Nach einer Unterbrechung beantragt der Verteidiger von Rico K. RA Thomas eine Befragung der Öffentlichkeit. Es solle festgestellt werden, ob potentielle Zeug*innen im Sitzungssaal anwesend seien. Falls ja, solle deren Identität festgestellt werden und sie anschließend des Saales verwiesen werden. Dem Antrag, dem sich nahezu alle anderen Verteidiger anschließen, wird jedoch nur teilweise stattgegeben, da eine Grundlage für eine Identitätsfeststellung und den Ausschluss der Öffentlichkeit nicht vorhanden sei. In der Folge richtet der Vorsitzende Richter Fresemann die Frage an die Öffentlichkeit, ob sich namentlich benannte Bewohner*innen der Mangelwirtschaft im Sitzungssaal aufhalten. Eine Reaktion auf die Frage, kann das Gericht jedoch nicht feststellen: sie bleibt unbeantwortet.

Der Nebenklagevertreter RA Nießing erklärt, dass seine Mandantin nicht mehr verhandlungsfähig sei. Die Zeugin erklärt, die Verhandlung sei „Psychoterror“ und sie sehe sich nicht mehr in der Lage heute weitere Fragen zu beantworten. Die Befragung wird daraufhin erneut unterbrochen.

RA Franek stellt noch den Antrag, einen Audiomitschnitt fertigen zu dürfen, da er sich von der Berichterstattung auf dem Blog einiger Nebenklage-Vertreter*innen falsch wiedergegeben sieht. Mit dem Audiomitschnitt will er im Wiederholungsfall gegen etwaige Verleumdungen vorgehen.

Bericht aus Sicht der Nebenklage und fortlaufender Pressespiegel

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Veröffentlicht am 26. Juni 2017 um 23:50 Uhr von Redaktion in Nazis

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