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1. Verhandlungstag im Prozess gegen die „Gruppe Freital“

13. März 2017 - 02:07 Uhr

Dokumentation des Prozessberichtes der Opferberatung des RAA Sachsen

Der erste Verhandlungstag wird bestimmt von juristischen Auseinandersetzungen. Zunächst versucht die Verteidigung das Verlesen der Anklage zu verhindern, scheitert jedoch. Die Vertreter der Generalbundesanwaltschaft verlesen die Anklageschrift und schildern die Vorwürfe gegen die acht Angeklagten. Danach stellen die Verteidiger_innen verschiedene Ablehnungsgesuche und Besetzungsrügen gegen das Gericht. Die Nebenklage bezieht dazu Stellung und kritisiert Versuche das Verfahren zu bagatellisieren.

Der Zuschauerbereich im neugebauten Gerichtssaal am Hammerweg ist fast vollständig gefüllt, im Pressebereich haben sich zahlreiche Vertreter_innen überregionaler und lokaler Medien eingefunden. Um kurz nach 10 Uhr eröffnet der Vorsitzende Richter Thomas Fresemann das Verfahren gegen die acht Angeklagten der Gruppe Freital vor dem 4. Strafsenat des Oberlandesgericht Dresden.

Gleich zu Beginn meldet sich der Verteidiger von Maria K., Rechtsanwalt Endrik Wilhelm, zu Wort. Er möchte einen Befangenheitsantrag stellen. Das Gericht will zunächst jedoch die Anklage verlesen lassen. Es kommt zu einem ersten Disput. Wilhelm beklagt einen „Rechtsbruch“ und verlangt einen Senatsbeschluss, den das Gericht dann auch postwendend erlässt: Ablehnungsgesuche und Rügen der Verteidigung seien „ohne Rechtsverlust“ zurückgestellt.

Im Anschluss will das Gericht die Anwesenheit der Prozessbeteiligten abklären. Alle Angeklagten, ausgenommen Justin S., verweigern auf Anraten ihrer Verteidiger_innen die Angaben zu den Personalien. Die wolle man nun auch „zurückstellen“, erklärt die Verteidigung von Timo S.

Dann erhält der Vertreter des Generalbundesanwalts das Wort. Knapp eine dreiviertel Stunde lang liest er die Anklageschrift vor. Die acht Angeklagten werden beschuldigt, zwischen Juli und November 2015 mit weiteren Gleichgesinnten eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet zu haben. Rädelsführer sollen Timo S. und Patrick F. gewesen sein. Die Angeschuldigten Timo S., Patrick F., Philipp W., Justin S., Maria K., Sebastian W. und Rico K. werden außerdem des versuchten Mordes in vier Fällen beschuldigt, der Angeklagte Mike S. habe hierzu Beihilfe geleistet. Außerdem wirft der Generalbundesanwalt gefährliche Körperverletzung, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und Sachbeschädigung vor.

In der Anklageschrift heißt es, dass die Vereinigung zum Ziel hatte, ein „Klima der Angst und Repression“ zu erzeugen. Sie sei für fünf Anschläge verantwortlich. Am 27. Juli 2015 habe sich der erste Anschlag gegen das Auto des Fraktionsvorsitzenden der Partei DIE LINKE im Freitaler Stadtrat gerichtet. Mit Hilfe von pyrotechnischen Sprengkörpern, die in Tschechien beschafft worden seien, und einer mit Schwarzpulver gefüllten 0,5l-PET-Flasche sei das Auto zerstört worden. Mit Sebastian S. und Ferenc A. seien weitere Personen an der Tat beteiligt gewesen, beide werden gesondert verfolgt.

Der zweite Anschlag sei in der Nacht vom 19. zum 20. September 2015 ausgeführt worden. Er habe sich gegen eine von Asylsuchenden bewohnte Wohnung in der Freitaler Bahnhofstraße gerichtet. An einem Küchenfenster sei ein Sprengkörper angebracht und gezündet worden. Die Detonation habe das Fenster zerstört und den Fensterrahmen deformiert. Dass es keine Verletzten gab, sei Glück gewesen, so die Ankläger, denn die Bewohner_innen hätten sich zum Tatzeitpunkt in anderen Räumen aufgehalten. Nur eine Nacht später, am 20. September, soll die Gruppe Freital dann einen Anschlag auf das Parteibüro der LINKEN auf der Dresdner Straße in Freital verübt haben.

Gemeinsam mit der Freien Kameradschaft Dresden soll die Gruppe Freital für den Angriff auf das linksalternative Wohnprojekt Mangelwirtschaft in Dresden verantwortlich gewesen sein. Das Hausprojekt sei am 18. Oktober 2015 zum Ziel einer organisierten Attacke geworden, bei der etwa 20 Personen beteiligt waren. Die Angreifenden hätten erneut pyrotechnische Sprengkörper eingesetzt, diesmal auch in Verbindung mit Buttersäure.

Der letzte Anschlag der den Angeklagten zur Last gelegt wird, fand am 1. November 2015 statt. Ziel war eine von Asylsuchenden bewohnte Wohnung an der Wilsdruffer Straße in Freital. Die Täter_innen hätten an drei Fenstern der Erdgeschosswohnung Sprengkörper angebracht und gezündet. Die Wirkung dieser Sprengkörper sei bis zu 130-fach stärker als in Deutschland zugelassene Silvesterböller, heißt es in der Anklage. Einer der Bewohner sei durch umherfliegende Glassplitter im Gesicht verletzt worden. Drei seiner Mitbewohner sei es gelungen, sich in den Flur zu retten, nachdem einer von ihnen eine brennende Lunte am Küchenfenster wahrgenommen hatte. Durch die Detonationen seien die Fenster zerborsten, dabei seien teilweise handtellergroße Splitter in den Innenraum geschleudert worden. Zuvor, so die Anklage, hätten die Beschuldigten die Unterkunft ausgespäht und dabei auch gesehen, dass sich Personen in der Wohnung aufhalten. Daher ist diese Tat als versuchter Mord in vier Fällen angeklagt. Mit Mirjam K. soll eine weitere Person in die Anschlagsausführung involviert gewesen sein.

Darüber hinaus beschuldigt der Generalbundesanwalt Patrick F., Justin S., Maria K., Sebastian W. und Philipp W. weitere Sprengstoffanschläge geplant zu haben. Die Anklageschrift verweist dazu auf die Hausdurchsuchungen, bei denen erhebliche Mengen pyrotechnischer Erzeugnisse aufgefunden worden seien, aber auch alle wesentlichen Bestandteile einer Rohrbombe, sowie eine entsprechende Bauanleitung.

Nach der Verlesung der Anklage meldet sich die Nebenklage zu Wort. Rechtsanwältin Pietrzyk verweist auf die Anwesenheit potentieller Zeuginnen im Zuschauerbereich und empfiehlt dem Gericht diese vom Verfahren auszuschließen. Das Gericht regt daraufhin an, dass anwesende Zeug_innen den Saal verlassen sollten, verzichtet aber zunächst auf weitere Maßnahmen.

Dann bekommt die Verteidigung Gelegenheit, die zuvor aufgeschobenen Anträge zu stellen. RA Elbs und RA Schieder stellen für ihren Mandanten Patrick F. ein Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit. Sie begründen das mit Verweis auf den Verteidiger RA Renz, der Justin S. vertritt. Renz sei früher Präsident des Landgerichts Görlitz gewesen, zu einer Zeit, im Jahr 2002, als auch der Vorsitzende Richter Fresemann dort als Richter tätig gewesen sei. Daraus würden sich Zweifel an der Unparteilichkeit Fresemanns ergeben, er sei nicht mehr unabhängig. Die Verteidiger von Patrick F. vermuten, der Mitangeklagte Justin S. könne aus dieser Situation einen Vorteil zu Lasten ihres Mandanten erzielen. Diesem Ablehnungsgesuch schließen sich weitere Verteidiger im Namen ihrer Mandanten an.

Als nächstes erheben die Verteidiger von Patrick F. Einwände gegen die Besetzung des 4. Senats des OLG Dresden. Das Gericht sei ausschließlich für dieses Verfahren gebildet worden. Das sei ein Verstoß gegen das verfassungsmäßige Gebot auf einen „gesetzlichen Richter“. Als Beleg verweisen die beiden Rechtsanwälte auf die Veränderungen in der Besetzung des Strafsenats im Vorfeld des Verfahrens. Diese seien nicht auf Überlastung des Spruchkörpers oder gesundheitliche Gründe zurückzuführen und damit unzulässig.

Der Verteidiger von Maria K. RA Endrik Wilhelm verliest den nächsten Antrag. Auch in diesem wird die Besetzung des 4. Senats gerügt und beanstandet. Zugleich will Wilhelm auch die Befangenheit des Senats nachweisen. Wilhelm verbindet alles zu einem gut einstündigen Rundumschlag gegen das Verfahren, von dem er sagt, es schieße „über das Ziel hinaus“. Er begründet den Vorwurf mit Verweis auf den Gerichtsort, der extra für einen Millionenbetrag errichtet worden sei. Außerdem habe sich die sächsische Justiz gegen die Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt gestemmt. Die sächsische Generalstaatsanwaltschaft habe bei den Taten immer eine Tötungsabsicht verneint, der Chef der Integrierten Ermittlungseinheit (INES), Oberstaatsanwalt Uwe Wiegner, habe erklärt, dass er einen Verdacht für Ermittlungen nach §129a nicht sehe. Wilhelm sagt, es sei „an den Haaren herbeigezogen“, die Angeklagten mit der RAF oder dem NSU zu vergleichen.

Hier interveniert ein Vertreter der Nebenklage. RA Alexander Hoffmann beanstandet den Vortrag des Verteidigers und beantragt ihm das Wort zu entziehen. Ihm gehe es um »reine Selbstdarstellung« und er sage nichts zum Gegenstand seines Antrags. Ein Vertreter der Generalbundesanwaltschaft plädiert dafür, sich den Vortrag zu Ende anzuhören. Er sei gespannt, ob Wilhelm noch juristische Argumente vorbringen werde. Daraufhin erklärt das Gericht, dass der Verteidiger fortsetzen darf.

Wilhelm berichtet nun über eine Suizidgefahr bei seiner Mandantin, die sich durch die Untersuchungshaft ergeben habe. Zuvor hatte er auch erwähnt, dass sie zwar »Schuld auf sich geladen« habe, sich mittlerweile aber von »allen Taten« distanziere und reuig sei. Maria K. unterdessen macht eher einen amüsierten Eindruck, während des Vortrags ihres Verteidigers zeichnet ihr Gesicht ein kaum unterdrücktes Lächeln.

Wilhelm macht auch der Polizei in ihrer Ermittlungsarbeit Vorwürfe. Er selbst habe Anzeige gestellt wegen „Aktenvernichtung bei der illegalen Einvernahme von Torsten L.“. Die Polizei sei aber auch zu kritisieren, weil sie nicht früh genug eingeschritten sei, etwa, weil Telefonate der Beschuldigten nicht live abgehört, sondern Mitschnitte später ausgewertet worden seien. Wilhelm schließt damit, dass er Haftaufhebung für seine Mandantin beantragt.

Nach einer Verhandlungspause stellt die Verteidigung des Angeklagten Rico K. ebenfalls einen Befangenheitsantrag. RA Mario Thomas begründet diesen mit der sitzungspolizeilichen Anordnung, die eine Durchsuchung der Verteidiger_innen vorschreibt, aber nicht die Durchsuchung der Vertreter_innen der Anklage. Darin sieht er eine Ungleichbehandlung durch das Gericht. Die zeigt sich auch in der untersagten Internet- und Mobilfunknutzung, von der lediglich die Anklage ausgenommen sei.

Nachdem weitere kleinere Anträge gestellt worden sind und Prozessformalitäten geklärt wurden, erhält die Generalbundesanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme, verzichtet jedoch auf eine ausführliche Darstellung. Im Anschluss daran haben die Vertreter_innen der Nebenklage das Wort. RA Nießing, er vertritt die Bewohner_innen des Hausprojekts Mangelwirtschaft, sagt, dass Maria K. sich bis heute nicht bei seinen Mandant_innen entschuldigt habe. Außerdem habe sie zwar Mitangeklagte belastet, aber niemanden, gegen den nicht bereits ermittelt werde. Gerade im Fall des Angriffs auf die Mangelwirtschaft seien noch viele Tatbeteiligte etwa aus dem Umfeld der Freien Kameradschaft Dresden unbekannt. Nießing kritisiert außerdem den Vortrag von RA Wilhelm. Es sei »frappierend« wie dabei die Ereignisse verharmlost worden seien. Das sei »eine Verhöhnung der Nebenklage«.

Nebenklagevertreter RA Hoffmann ergänzt, dass der Vortrag Wilhelms eine „unglaubliche Bagatellisierung“ der Taten gewesen sei. Das von Wilhelm genutzte Argument, es sei „nicht viel passiert“, sage nichts über die Gefährlichkeit der Taten aus, dementsprechend laute der Vorwurf eben auch auf Versuch. Außerdem hätte die Verteidigung die Anklage selbst angreifen und Einwendungen dagegen vorbringen können, das habe sie aber unterlassen.

Das Gericht unterbricht die Verhandlung nach den Stellungnahmen. Der Prozess wird am Dienstag, den 14. März 2017 um 9:30 Uhr fortgesetzt.

Bericht aus Sicht der Nebenklage und fortlaufender Pressespiegel

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Veröffentlicht am 13. März 2017 um 02:07 Uhr von Redaktion in Nazis

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