Prekarität, Kunst und Corona – Kulturarbeiter:innen wollen nicht zurück in eine heile Vor-Corona-Welt
3. Juni 2020 - 17:49 Uhr
Schon fast fühlt sich das Leben wieder normal an – Menschen sitzen in Cafés und Kneipen, Demonstrationen und Versammlungen können wieder (wenn auch unter Hygieneauflagen) stattfinden und nach und nach werden auch europäische Binnengrenzen wieder geöffnet. Auch das kulturelle Leben wird wieder möglich: Einige Museen sind bereits geöffnet, die Filmnächte am Elbufer finden in diesem Jahr ohne größere Konzerte statt. Clubbesuche werden voraussichtlich aber noch eine lange Zeit nicht möglich sein – aktuell wird ein Mietfonds diskutiert, um das Klubsterben zu verhindern.
Die Situation der Kulturarbeiter:innen selbst wurde in den letzten Monaten immer wieder diskutiert. Die eilig beschlossenen unterschiedlichen Formen von Soforthilfe und Unterstützung sind auch in Dresden geflossen. Besonders aber an den auch vor Corona ohnehin schon prekären Arbeitsverhältnissen von freischaffenden Künstler:innen oder Musiker:innen hat sich dadurch jedoch wenig geändert. Im Gegenteil: Die Unterstützungen sind nicht ausreichend und nur unzureichend an die Situation im Kulturbetrieb angepasst.
Ein Beispiel ist die einmalige 1.000-Euro Soforthilfe der Stadt Dresden zu Beginn der Pandemie, welche schon nach wenigen Tagen nicht mehr verfügbar war. „Ich und viele Kolleg:innen bekamen einen Brief, dass die Ressourcen aufgebraucht seien, und kein Geld mehr verfügbar sei. Die ersten 10.000 Anträge sind positiv entschieden worden, der Rest wurde einfach abgelehnt. Das ging wirklich nach dem Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!“, so eine Dresdner Künstlerin im Interview gegenüber addn.me.
Auch der Soforthilfe-Zuschuss der Sächsischen Aufbaubank (SAB) stellt sich für viele Freischaffende als Falle heraus. Da die gewährte Unterstützung nur für Betriebskosten eingesetzt werden darf, stehen viele Künstler:innen vor dem Aus. Bei Bildenden Künstler:innen sind dies lediglich die Kosten für das Atelier – wenn sie denn überhaupt eines haben. Wohnungsmiete und andere Lebensunterhaltskosten sind nicht abgedeckt. „Ich werde wahrscheinlich das meiste Geld zurückzahlen müssen. Ich weiß jetzt wieder nicht, wovon ich meine Miete und mein Essen bezahlen soll. Das ist schließlich auch die Grundlage dafür, dass ich weiter arbeiten kann“, so die Künstlerin. Auf Nachfrage bestätigte die SAB dieses Vorgehen. Es müsse zudem mit Stichproben-Prüfungen gerechnet werden, heißt es dort.
Ein weiteres fragwürdiges Beispiel für die kurzfristige Unterstützung von Künstler:innen ist das „Denkzeit„-Stipendium. Die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen (KdFS) schreibt es für existenzbedrohte Künstler:innen aus. Diese sollen sich mit einem Corona-bezogenen Projekt bewerben und ihre persönliche Lage darlegen, um ihre Projektidee mit einem 2.000€ dotierten Stipendium realisieren zu können. Anstatt Kulturschaffenden mit Direkthilfen bei den Lebensunterhaltskosten unmittelbar zu helfen, erscheint es merkwürdig, mit einem Wettbewerb untereinander, bei dem zudem künstlerische Beiträge zur Pandemie herausspringen sollen, den Kulturbetrieb zu unterstützen.
Aus diesem Grund hat sich die Gruppe CindyCat, ein Zusammenschluss von einigen Kulturarbeiter:innen aus dem Umfeld der FAU Dresden in der letzten Woche mit einem Papier zu Wort gemeldet: „Während der Applaus für diese akute Unterstützung [Anm.: z.B. der Soforthilfe] aufbraust und verklingt, wollen wir die Gunst der Stunde nutzen und über langfristige Perspektiven nachdenken. Denn gerade jetzt, in der sogenannten Krise, fühlen wir einen Schwellenmoment: Wenn wir Visionen für Zukünftiges als bewegliche Konzepte verstehen, ist genau jetzt die Zeit, um Abschied zu nehmen von der Romantisierung einer heilen Vor-Corona-Welt (in die zurück wir weder können noch wollen) und Platz zu machen für – ja, für was?“ Mit Grafiken und einer langen Liste von Vorschlägen, um das System der Kulturförderung komplett neu zu denken („Stell dir vor…“), gehen sie gedanklich weit über die nächste Projektausschreibung hinaus und wagen sich an die Systemfrage.
Bild: CindyCat
Veröffentlicht am 3. Juni 2020 um 17:49 Uhr von Redaktion in Kultur