Kontroverse Debatten zu sozialer Teilhabe und Geschlechter-Repräsentation im Sächsischen Bergsteigerbund
27. Juni 2022 - 14:00 Uhr
Am 16. Mai 2022 holte der Sächsische Bergsteigerbund (SBB) im Dresdner Volkshaus seine Mitgliederversammlung 2021 nach. Die Basis des mit 17.000 Mitgliedern zweitstärksten Sportvereins in Sachsen diskutierte im Dresdner Volkshaus am Schützenplatz unter anderem über demokratische Prozesse im SBB, Erleichterungen für einkommensschwache Mitglieder und geschlechtergerechte Sprache. Die Debatte blieb dabei nicht immer ruhig und sachlich.
Der Sächsische Bergsteigerbund, eine Sektion des Deutschen Alpenverein (DAV), ruft üblicherweise einmal jährlich zur Mitgliederversammlung (MV). Zur Versammlung Mitte Mai fanden sich 90 Mitglieder des Vereins ein, davon 75 Prozent Männer. Auffallend war der für SBB-Versammlungen ungewöhnlich niedrige Altersdurchschnitt der Anwesenden. Nach der Begrüßung und der Wahl der Sitzungsämter wurde zunächst den seit der letzten MV verstorbenen Mitgliedern gedacht, unter anderem dem kürzlich verstorbenen Extrembergsteiger Dietrich Hasse, danach aktive Mitglieder für ihr besonderes Engagement geehrt, zum, Beispiel Alexander Nareike für 12 Jahre als SBB-Vorstand, bevor der Geschäftsbericht für 2020 vorgestellt wurde. Als einer der wenigen Sportvereine Sachsens konnte der SBB demnach auch 2020 und 2021 in größerem Maße Mitglieder gewinnen und auch die finanziellen Mehrbelastungen gut abfedern.
Hervorzuhebende neue Projekte 2020 waren eine Aktion zur Pflanzung der selten gewordenen Weiß-Tanne im Bielatal, die Erweiterung der Außenkletteranlage im Vereinszentrum auf der Freiberger Straße und die Einrichtung einer Projektgruppe Klima. Angeschoben wurde ein Plan zur Klimaneutralität des SBB inklusive einer größeren Photovoltaikanlage in den vereinseigenen Räumlichkeiten. Es folgten die Vorstellung des Haushaltsplans 2021, die Entlastung des Vorstandes und die Wahl einer neuen Rechnungsprüferin sowie des neuen 3. Vorstandsvorsitzenden als Vertreter der Jugend.
Kontroverser wurde die Veranstaltung zum 13. Tagesordnungspunkt, zu dem die MV die zuvor von der “Jugend im SBB” (JSBB) beschlossenen Änderungen der Jugendordnung bestätigen sollte. Darin hatte der JSBB eine geschlechtergerechte Schreibweise mit Sternchen verwendet, um damit auch Menschen jenseits der Geschlechter-Rollen “Mann” und “Frau” einzuschließen. Der PEGIDA-Redner Hans Heydrich¹ beantragte deshalb die Vertagung des Punktes mit Verweis auf einen späteren Antrag an die Geschäftsordnung, welche jedoch mit 70 zu 9 auf Grund überwiegend von jüngeren Mitgliedern abgegebenen Stimmen abgelehnt wurde.
Die aufkommende inhaltliche Debatte zu geschlechtergerechter Sprache wurde vom ersten Vorstandsvorsitzenden, der die Versammlung leitete, mit dem Argument unterbunden, dass die meisten im Raum wohl ohnehin bereits gefestigte Positionen zum Thema hätten, die sich auf einer MV kaum ändern ließen. Er kündigte an, pro Antrag nur eine Für- und eine Gegenrede zulassen zu wollen. Als er sich anschließend selbst in einer minutenlangen inhaltlichen Stellungnahme über Demokratie und Repräsentanz im SBB verlor, rief das den Protest der Versammlungsteilnehmer:innen unabhängig ihrer Position zur geschlechtergerechten Sprache hervor. Mehrere Mitglieder fragten, wo denn der Platz für den Austausch von Argumenten im SBB sei, wenn nicht auf der MV.
Ein Geschäftsordnungsantrag auf Austausch der Moderation wurde vom Vorstand mit Verweis auf die Satzung des Vereins abgewiesen. Der erste Vorsitzende, welcher selbst noch frisch im Amt ist, wirkte im weiteren Verlauf der Versammlung zunehmend mit der Leitung der Sitzung überfordert. Schlecht bis willkürlich geführte Redelisten, ausschweifende Statements der Moderation, andauernde Zwischenrufe und unkoordinierte Öffnungen und Schließungen der Debatte bestimmten von da an die weitere Versammlung und machten eine sachliche und faire Diskussion in weiten Teilen unmöglich.
Schließlich wurde die neue Jugendordnung mit großer Mehrheit angenommen. Der nächste Antrag zu den Kompetenzen des Vorstandes wollte die “Ordnung zur Änderung der Kletter-Regeln” künftig der MV unterstellen. Der Vorstand sprach sich gegen den Antrag aus, konnte damit aber nur einen kleinen Teil der Versammlung überzeugen.
Es folgte der Antrag von Pegidist Hans Heydrich, der das generische Maskulinum als einzige Genderform für alle Publikationen und Gliederungen des SBB verbindlich machen sollte. Heydrich bemühte bekannte AfD-Argumente gegen das Gendern und warnte darüber hinaus vor einer potentiellen Umbenennung des SBB in Sächsischer Bergsteiger:innenbund, was zu Applaus im Saal führte und somit von der absoluten Mehrzahl der Anwesenden eher als guter Vorschlag denn als Drohkulisse aufgefasst wurde. Der Vorstand argumentierte für einen Mittelweg zwischen der rein männlichen und queerfeministischen Schreibweisen, die mehr als zwei Geschlechter repräsentieren wollen und nannte beispielhaft die zwei-geschlechtliche Schreibweise und den Wechsel zwischen männlicher und weiblicher Form und geschlechtsvermeidende Schreibweisen, bezeichnete dabei aber Schreibweisen mit Sternchen, Doppel-Punkten und Unterstrichen als “Vergewaltigung der deutschen Sprache”. Anschließend mussten die Versammlungsteilnehmer:innen energisch das Rederecht gegen die Moderation durchsetzen und konnten mit mehreren Redebeiträgen – unter anderem von einer Germanistin – eine Versachlichung der Debatte erreichen. Der Antrag von Heydrich wurde schließlich mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.
Es folgte ein Antrag aus den Reihen der Schwarz-Roten Bergsteiger:innen zur Öffnung des SBB für sozial benachteiligte Bergfreund:innen. Dieser sah eine Verminderung der Beiträge für alle Mitglieder vor, die den Kriterien für einen Dresden-Pass² erfüllen. Der Vorstand sprach sich dagegen aus, da der SBB bereits ein solidarischer Verein sei und es nicht zuzumuten wäre, dass andere Mitglieder mehr zahlen sollten, um diese Beitragsminderungen für sozial Benachteiligte möglich zu machen. Weiterhin verwies der Vorstand und einige andere Redner:innen auf formelle Probleme, anfallende Mehrarbeit für den Verein und eine bereits bestehende Möglichkeit zum individuellen Antrag auf Beitragsminderung. Der Vertreter der SRB erwiderte, dass es eine Regel abseits von individueller und wenig bekannter Bittstellerei bräuchte und dafür viele Institutionen bereits gute Lösungen gefunden hätten. In der anschließenden Abstimmung fand der Antrag eine klare Mehrheit.
Am Schluss sollte ein Paket von Satzungsänderungen beschlossen werden, die vom Vorstand vorgeschlagen worden waren. Ein erster Teilantrag sah die Aufnahme von weiblichen Formulierungen für Ämter in die SBB-Satzung vor. Dieser wurde entgegen eines erneuten Vorstoßes Heydrichs mit großer Mehrheit angenommen, wobei manche Teilnehmer:innen mit Sternchen auf ihren Stimmkarten deutlich machten, dass ihnen der Antrag nicht weit genug ging. Zu den eigentlichen strukturellen Änderungen herrschten noch eine Reihe von Fragen und Bedenken, so dass die Abstimmung schließlich vertagt wurde.
Stefanie Bruns von den Schwarz-Roten Bergsteiger_innen resümiert über die Versammlung: “Von sachlicher und basisdemokratischer Entscheidungsfindung sind wir im SBB sicher oft noch weit entfernt. Trotzdem hat sich heute ein vor allem junger Teil des SBB entschieden für Geschlechterdiversität, soziale Teilhabe und argumentative Diskussion stark gemacht. Es bleibt spannend, wie es damit im Verein weiter geht. Wir werden insbesondere im Auge behalten, wann und wie unser Antrag auf Beitragsminderung umgesetzt wird und hoffen, dass sich der Vorstand zu Geschlechtern jenseits von cis³ Männern und Frauen in Zukunft weiterbilden wird und einen sensibleren Umgang entwickelt. Gleichzeitig ist uns wichtig, trotz aller Kritik die enorme Arbeit des Vorstandes und von anderen Ehren- und Hauptamtlichen im Verein zu würdigen und miteinander einen respektvollen und fehlerfreundlichen Umgang zu behalten.”
Der Ehrenvorsitzende des SBB Dr. “Uli” Voigt sagte bei seinem Abschied von der Versammlung sinngemäß, er habe eine Menge junge Leute gesehen, die sich eine Menge Gedanken zu Themen machen, die mit dem Bergsteigen nicht unmittelbar zu tun haben, das könne man gut oder schlecht finden – er finde es gut. Unbeantwortet bleibt die Frage mehrerer Mitglieder aus der MV-Debatte, wo denn im SBB eigentlich Platz ist, um gesellschaftspolitische Themen sachlich zu diskutieren.
¹ Hans Heydrich auf Aktionen mit militanten Neo-Nazis und AfD-Politikern: https://twitter.com/fuxenrot/status/1143991835548934144 – Hans Heydrich bei Pegida: https://taz.de/ZDF-Doku-Mein-Dresden/!5605723/
² https://www.dresden.de/de/rathaus/dienstleistungen/dresdenpass_d115.php
³ cis bezeichnet die Eigenschaft sich in dem Geschlecht zu verorten, dass einem bei der Geburt zugewiesen wurde
Bild: Wikipedia
Veröffentlicht am 27. Juni 2022 um 14:00 Uhr von Redaktion in Kultur