Kultur

Alles Opfer! oder Grenzenlose Heiterkeit

23. September 2011 - 08:06 Uhr

Alles Opfer! oder Grenzenlose Heiterkeit (Foto: Matthias Horn, Quelle: Staatsschauspiel Dresden)

Bericht von der Premiere eines surrealen Stückes deutscher Erinnerungsängste am 17. September im Kleinen Haus Dresden

Von Danilo Starosta

Erika Steinbach, Inka oder auch Katharina Witt und diverse Aufklärungsjournalisten interpretiert mein Gehirn in das Stück. Auch wenn diese nichts mit den Geschichten der Figuren zu tun haben, nicht mit Marie Wagner, dem Schlagersternchen, dessen Karriere vom Vater in der DDR gestartet wurde, nicht mit der Geschichte der ihren Fluchtversuch verdrängenden Grottenolmforscherin Antonia Lammert und auch nicht mit Martha Dreier, der Naziwitwe aus Überzeugung und ohne Scham. Tillich und Merbitz konstruiere ich beim Zuschauen hinein. Diese sind sicher nicht im Schlagergeschäft wie dieser Lennart Wagner, Vater, Manager und Ex-Sänger, doch beginnen ihre Geschichten eben auch in dieser so fernen DDR und sie sind auch irgendwie immer noch in ihrem „Geschäft“. So fast unter sich, also homogen ostich, „Zonis beieinander sein“, hätten sie eine Schicksalsgemeinschaft sein können.

Aber da ist auch noch Torsten, dessen Geschäft erst im nach 1989 im wiedervereinten Deutschland beginnt. Der, auch wenn er stets emotional übersteuert so einiges in Rollen bringt, keineswegs ein Opfer ist. Der Autor hätte diese Truppe Selbstmitleidiger auch auf einer Insel wie etwa Rügen oder Usedom stranden lassen können. Oder er hätte sie in einen Dresdner Keller eingesperrt. Zunehmend ihren Leben ausgesetzt, fordern sie den Zuschauer auf sich zu blicken und hoffen dort den Status des Opfers zu bekommen. Schlesien und die gestrandete Ostlandfahrt geben einen gelungenen Rahmen für die analytischen Nadelstiche Dirk Lauckes: „…ihr Blick ruht hart und prüfend auf den wenigen Zöglingen dieser – zum Glück – aussterbenden Art, damit auch ja nichts Neues, Artfremdes die bierselige Stammeskultur zunichte macht, man will friedlich bleiben, das geht am Besten unter sich. womit die zone sich einmal mehr ins abseits der moderne befördert und mit demografischen entwicklungen von stuttgart, hamburg, köln auch in 20 jahren nicht wird mithalten können…die zone schafft nur angst. die angst vor ihrem frieden, ein frieden, der den Hass in sich trägt, gegen die eigen kleine Piefigkeit, und sich ab und zu äußert, auf beliebten Pogromparties wie im beschaulichen Mügeln oder Guben, in öffentlichen Judenbeschimpfungen – der Einzelfall in Laucha, das Massenphänomen anlässlich jedes zweiten lokalpatriotischen Saufgelages, das unter dem Vorwand Fußball ausgetragen wird, und beim Stichwort Israel kommt selbst das bürgerlichste Volksblut in militante Wallung…“ so der Torsten im Stück.

Zum Schluß hätte ich mir mehr Tote gewünscht, zumindest die Schlagertante hätte es doch selbst erwischen können. Aber vielleicht war ich da auch noch zu sehr bei meinem vorherigen Theaterbesuch in Wien, bei dem es Phädra zu sehen gab. Ich war gern im Stück, ich war gern bei meinen Konstruktionen. Gern eine Empfehlung zum Theaterbesuch und noch viel mehr empfehle ich ein kompromissloses Nachgespräch. Denn Mensch darf sich sicher sein, hier geht es um Mensch selbst.


Veröffentlicht am 23. September 2011 um 08:06 Uhr von Redaktion in Kultur

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