Peterchens Mondfahrt
14. Oktober 2012 - 20:32 Uhr - Eine Ergänzung
Es war einmal ein CDU-Stadtrat mit dem Namen Peter Joachim Krüger, welcher erst im vergangenen Jahr neben seiner verantwortungsvollen Tätigkeit als Abgeordneter seiner Partei das Internet für sich entdeckt hat. Alsbald fanden sich Themen und Interessen, die in etwa dem entsprachen, was Teile der CDU zumeist hinter verschlossenen Türen und manchmal, wie im Fall von Peter Joachim, auch offen aussprechen. Und so kam es, dass Peter Joachim seine Interessen für politische Themen endlich auch einmal in die große weite Welt hinausposaunen konnte. Wenn schon niemand in den oft endlosen und ermüdenden Stadtratssitzungen auf mich hört, hat er sich dabei womöglich gedacht, dann zeige ich den Menschen zumindest im, für ihn neuen, Medium Internet, wofür er und gewiss auch die überwiegende Mehrheit seiner Partei steht. Ein Profil wurde umgehend angelegt und schnell fand er Gruppen zu Themen, die seine Meinung mit wenigen Worten so formulieren konnten, dass auch Peter Joachim sie verstand.
Doch nun passierte das Unerwartete. Als er vom stundenlangen Surfen übernächtigt, zum gefühlt hundertsten Mal den Facebook-Auftritt der Dresdner Marketing GmbH besuchte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Inmitten der Seite prangte das Foto eines bekannten lokalen Fotografens, auf dem der obere Abschnitt der Rothenburger Straße in der Äußeren Neustadt zu sehen war. „Pah!“ dachte sich wahrscheinlich der belesene Internetkritiker Peter Joachim und kommentierte den Beitrag auf seine unnachahmliche Weise mit den beinahe lyrisch anmutenden Worten „Nur Dreck und Verwahrlosung! Was ist daran schön?“. Es kam wie es kommen musste: ein allgemeiner Sturm der Entrüstung etlicher Internetnutzer darüber, was der 52-Jährige Politiker über ein Viertel denkt, welches so weit entfernt von seiner eigenen Lebenswelt zu liegen scheint, wie Dresden von Städten wie New York oder London.
Dabei hatte er es nur gut gemeint: „Müll, Hundekot, illegale Plakatierung und Graffiti“ haben das kleine Gründerzeitviertel, mit seiner unüberschaubaren Anzahl an Kneipen und Restaurants, inzwischen zu einem Besuchermagneten für Gäste aus der ganzen Welt werden lassen. Während parallel dazu viele der anderen Dresdner Stadtteile selbst an einem Wochenendtag einen Vorgeschmack dessen liefern, was gemeinhin Menschen wie Peter Joachim unter einer modernen Stadt verstanden sehen wollen, geht es auf den kurzen Straßen der Äußeren Neustadt vor allem in den Abendstunden ausgesprochen lebendig zu. „Glatt geleckte Innenstädte, menschenleer nur Straßenfeger mit Pinzette“ sangen die Beginner anno 2003 und pointierten damit nicht nur trefflich die graue Maske hinter den bunten Fenstern der Großstadt, sondern erinnerten in ihrem Lied auch daran, vor welchen Herausforderungen Menschen stehen, die Teil einer Stadt sein möchten, die so viel mehr ist, als das was in den Köpfen einiger ordnungsfanatischer Provinzpolitiker herumspukt.
Aber dennoch lässt sich nicht von der Hand weisen, und das ist das eigentlich traurige an der Geschichte über einen Skandal der keiner war, dass die konservative Entrüstung über den optischen Zustand in einem der geburtenreichsten Stadtviertel der Republik oft gar nicht so weit entfernt von dem ist, was auch die oftmals neu hinzugezogenen Bewohnerinnen und Bewohner immer wieder zum Teil deutlich kritisieren. Und während sich Peter Joachim in christlicher Tradition dazu bekennt, dass Schluss sein muss mit „Multikultiwahn“, reagiert die Internetgemeinde belustigt auf den mittlerweile entfernten Kommentar und merkt dabei gar nicht, wie einige der ansässigen Gewerbetreibenden ebenfalls versuchen aus ökonomischen Interessen heraus Müll und Hundekot zu einem Problem konstruieren, dessen Ursachen viel mit der Struktur von einem der am dichtesten bewohnten Stadtteile Dresdens und dem Bedürfnis, vor allem junger Menschen, nach Alternativen zum ansonsten trostlosen Alltag in einer in Barock gekleideten Großstadt zu tun haben.
Gossenboss mit Zett – Dresden bleibt Dreckig
Veröffentlicht am 14. Oktober 2012 um 20:32 Uhr von Redaktion in Freiräume