Leipziger Fußballfans werden zu Politikum
22. Oktober 2011 - 11:00 Uhr - Eine Ergänzung
Dass die Reporter Dresdner Lokalzeitungen nicht unbedingt immer für eine journalistisch ausgewogene Berichterstattung stehen, ist hinlänglich bekannt. Ein besonderes Beispiel des lokalen Qualitätsjournalismus ist ein von Peter Redlich schon am Donnerstag veröffentlichter Artikel in der Lokalausgabe der Sächsischen Zeitung des Dresdner Millionärsvororts Radebeul. Unter der martialisch anmutendenen Überschrift „Sorge wegen Hooligans in Radebeul“ wird abgesehen von falschen Begrifflichkeiten nahezu jedes Klischee dessen bedient, was sich ein Großteil ihrer Leser unter Fußballfans vorzustellen haben. Der Verein unweit der Sächsischen Landeshauptstadt rechne „mit 150 bis 300 Vermummten“ Chemiefans, von denen zumindest „ein Teil […] bekannt für Randale“ ist. Allerdings seien die Leipziger Fans nicht vergleichbar mit ihren Dresdner Rivalen, so Torsten Schulze, seines Zeichens polizeilicher Einsatzleiter an diesem Wochenende. Wirkliche Probleme mit Fußballfans würden seiner Meinung nach oftmals erst dann entstehen, „wenn die Ultras einen Anlass zum Prügeln finden“ und ist nicht verlegen dazu auch gleich ein Beispiel zu nennen. So rät er interessierten Fußballfans, nicht mit Fanutensilien des Zweitligisten Dynamo Dresden aufzutreten.
Für das Spiel hat die Geschäftsleitung des Radebeuler Vereins auf Anraten der Polizei extra eine Security-Firma unter Vertrag genommen. Diese soll dafür Sorge tragen, dass die Situation im 5.000 Besucher fassenden Lößnitzstadion „beherrschbar bleibt“. Genaue Zahlen wollten jedoch sowohl die Polizei als auch die Offiziellen des Vereins im Vorfeld nicht nennen. Der Grund ist so banal wie inhaltsleer; die Leipziger Fans sollen „nicht wissen, wie viele sich um sie kümmern werden“. Aufgrund des Spiels wird auf mehreren Straßen der Kleinstadt vor den Toren Dresdens ab 14 Uhr das Parken vorübergehend verboten, um dadurch „Kratzer oder andere Schäden an Autos zu vermeiden“. Radebeuls Sportstättenchef Bernd Willomitzer rechnet mit insgesamt 400 bis 600 Leipzigern, darunter soll sich auch „der harte Kern“ des erst zu Beginn dieser Saison aus einer Fusion entstandenen Leipziger Vereins mit traditionsreichem Namen befinden.
Ganz anders stellt sich die Situation in einem heute erschienenen Artikel in der gleichen Zeitung dar. Darin bescheinigt ihnen der Schatzmeister von Einheit Kamenz „nur Gutes“. Etwa 200 Fans hätten am zweiten Spieltag der Landesliga trotz Regens und eines 0:5 Debakels ihre Mannschaft gefeiert. Nach Einschätzung des Heidenauer Vereinsmanagers Uwe Kuhl seien vielmehr „Hooligans von Dynamo Dresden“ das Problem. Es würde die Gefahr bestehen, dass „linke Chemie-Fans auf rechte Dynamo-Hooligans“ treffen könnten. Dass es im Dresdner Verein auch Probleme mit gewalttätigen Fußballfans gibt, ist unbestritten. Erst in dieser Woche hatte die Dresdner Polizei in Striesen einen 26-Jährigen unter dem Verdacht der „Brandstiftung und gefährlichen Körperverletzung“ festgenommen. Dieser soll im Anschluss an das Spiel gegen die Frankfurter Eintracht am Pirnaischen Platz gemeinsam mit 20 weiteren Personen Polizisten angegriffen und schwer verletzt haben.
Wie ein Auswärtsspiel aus Sicht der BSG Chemie aussieht, wird in einer Stellungnahme des Vereins zum Auswärtsspiel am 17. September in Heidenau deutlich. Die Diskriminierungen durch Polizeibeamte begannen demzufolge bereits am Bahnhof in Leipzig. Die zahlreichen Anhängerinnen und Anhänger des Fußballvereins wurden gleich zu Beginn ihrer Fahrt strikt von anderen Reisenden getrennt, um damit das Bild der „gefährlichen Fußballfans“ in der Bevölkerung zu festigen. Nach der Ankunft in Heidenau wurden zunächst alle angereisten Fans kontrolliert und die Personalien aufgenommen. Als Grund wurden „Vorkommnissen bei den ersten Auswärtsspielen in dieser Saison“ genannt. Das Spiel selbst verlief ohne Vorfälle und endete auf dem Platz mit einem leistungsgerechten 1:1 unentschieden. Nach dem Spiel folgte ein verbaler Schlagabtausch mit angereisten Dynamo-Fans. Der friedliche Spielverlauf trug jedoch nicht zu Entspannung bei den eingesetzten Beamtinnen und Beamten bei. Diese drängten die BSG-Fans in die Waggons unter zur Hilfenahme des „Mehrzweckeinsatzstocks“ und Pfeffersprays. Mehrere Personen mussten das Zugabteil unter Tränen und Husten verlassen. Doch damit nicht genug. Beim Umstieg in den Regionalexpress nach Leipzig wurde ein Kind durch einen Tritt am Knie verletzt. Zuvor hatten Teile der eingesetzten Bereitschaftspolizei versucht, die Fans mit gezogenem Teleskopschlagstock und Sprüchen wie „Bewegt euch, ihr Penner!“ in den Zug zu drängen. Schon wenige Wochen vorher war es bei einem Pokalspiel in Crottendorf zu ähnlichen schikanösen Szenen gekommen. Einige Anhänger der Leipziger seien von den uniformierten Einsatzkräften „im Genitalbereich angefasst“ worden.
Wer sich ein Bild von den „vermummten Fußballchaoten“ machen möchte, dem sei an dieser Stelle noch der Hinweis auf das Spiel gestattet. Bereits Morgen trifft im Stadion an der Steinbachstraße ab 15 Uhr der Radebeuler Ballspielclub 1908 auf seinen nicht weniger traditionsreichen Rivalen aus dem Leipziger Westen.
Veröffentlicht am 22. Oktober 2011 um 11:00 Uhr von Redaktion in Freiräume, Kultur
der chemieblogger hat jetzt auch was zum thema
http://www.chemieblogger.de/2011/10/27/wenn-die-medien-randalieren/