Funkzellenabfrage war rechtswidrig
24. April 2013 - 00:42 Uhr - 4 Ergänzungen
Mehr als zwei Jahre nach den erfolgreichen Protesten gegen mehrere in Dresden geplante Naziaufmärsche hat das Landgericht ein Urteil des Dresdner Amtsgerichtes aus dem vergangenen Jahr aufgehoben und die Funkzellenabfrage mit Beschluss vom 17. April für rechtswidrig erklärt. Einige Monate nach Bekanntwerden einer flächendeckenden „nichtindividualisierten Funkzellenabfrage“ im Süden der Stadt, hatten etliche der von der Maßnahme betroffenen Personen eine Feststellungsklage gegen die Auswertung von rund eine Million Verbindungsdaten eingereicht. Zwei Abgeordnete der Linken im sächsischen Landtag hatten ihre Klage damit begründet, dass das Instrument der Funkzellenabfrage ursprünglich „als Möglichkeit der Terrorbekämpfung und nicht um Straftaten am Rande einer Versammlung aufzuklären“ eingeführt worden war. Gleichzeitig sprachen sie von einem „Einschüchterungseffekt“ bei den Menschen, die am 19. Februar ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrgenommen und gegen Nazis protestiert hatten.
Der Landtagsabgeordnete der Linken, Falk Neubert, zeigte sich erfreut und forderte die zuständigen Ermittlungsbehörden auf, „unverzüglich für das Löschen aller illegal gesammelten Daten zu sorgen“. Das Urteil sei seiner Auffassung nach ein Hinweis darauf, dass es sich bei so genannten Funkzellenabfragen nicht um „belanglose polizeiliche Maßnahmen“, sondern um Eingriffe in demokratische Grundrechte handelt. Nach Einschätzung des Dresdner Rechtsanwalt André Schollbach hätten sächsische Behörden den in § 100g der Strafprozessordnung festgehaltenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in „grober Weise“ verletzt und damit „die Grundrechte zehntausender Bürgerinnen und Bürger verletzt“. Die 15. Große Strafkammer des Landgerichts Dresden hatte in ihrem Urteil nicht nur den Beschluss des Amtsgerichtes, sondern auch die am 25. Februar 2011 erlassene Erhebung und Speicherung der Telekommunikationsverkehrs- und Bestandsdaten durch das sächsische Landeskriminalamt (LKA) für rechtswidrig erklärt und eine Löschung der so gewonnenen erhobenen Daten veranlasst.
Die Entscheidung umfasst jedoch nicht die Funkzellenabfrage im Umfeld des Haus der Begegnung, welches noch am Abend der Proteste von vermummten Spezialkräften der Polizei durchsucht worden war. Dabei waren in den als Pressebüro des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ genutzten Räumlichkeiten Computer beschlagnahmt und mehrere Personen vorübergehend festgenommen worden. In diesem Fall hätten, so die Staatsanwaltschaft Dresden in einer am Dienstag veröffentlichten Pressemitteilung, für die Staatsschutzkammer des Landgerichtes die in § 100g aufgeführten Voraussetzungen zur Anordnung einer Funkzellenabfrage vorgelegen. Die Entscheidung zur Rechtswidrigkeit der Abfrage für den Bereich südlich des Hauptbahnhofs am gleichen Tag, sei nach Angabe des Dresdner Oberstaatsanwalts Lorenz Haase lediglich auf einen „formalen Mangel“ zurückzuführen gewesen. Die Ermittlungen richten sich gegen Mitglieder einer mutmaßlichen kriminellen Vereinigung, die im Verdacht steht, seit 2009 Überfälle auf Nazis verübt zu haben und damit „die Grundlage für die Grundrechtseingriffe der Ermittlungsbehörden bildet“.
Das Urteil im Wortlaut:
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 25.02.2011, 270 Gs 711/11, rechtswidrig ist. Die aufgrund dieses Beschlusses erhobenen Daten sind zu löschen.
Es wird festgestellt, dass die Erhebung und Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten und der Bestandsdaten des Betroffenen durch das Landeskriminalamt Sachsen auf der Grundlage der Anordnung des Amtsgerichts Dresden, erlassen mit Beschluss vom 25.02.2011 (207 Gs 711/11), rechtswidrig war.
Auch in diesem Jahr haben sächsische Ermittler damit begonnen, die Funkzellendaten von mehreren tausend Menschen im Bereich des Lennéplatzes auszuwerten, um damit einen Übergriff durch bislang Unbekannte auf zwei Zivilbeamte aufzuklären. Schon 2011 hatte die Staatsanwaltschaft die Abfrage der Daten als mildesten Eingriff in die Rechtspositionen unbeteiligter Dritter gewertet und aus knapp einer Million Handydaten Rufnummern, Gesprächsdauer und den Standort von bislang etwa 40.000 Personen ermittelt. Die Daten wurden im Anschluss daran unter anderem dazu verwendet, um Verfahren wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz einzuleiten. Ungeachtet des Urteils bleibt abzuwarten, ob und wie die Löschung und Weiterverwendung der inzwischen auch an anderer Stelle genutzten Daten umgesetzt werden wird.
Weiterer Artikel: Landgericht Dresden: Größte Funkzellenabfrage von “Handygate” 2011 war illegal
Veröffentlicht am 24. April 2013 um 00:42 Uhr von Redaktion in Freiräume
Ähm, es ist ja schön, dass sich alle über das Urteil freuen, nett wäre aber, wenn doch wenigstens hier bei addn.me ein wenig mehr Gewicht auf den Hintergrund der FZA gelegt werden würde – nämlich das §129-Verfahren gegen eine vermeintliche „Antifasportgruppe“. Dass das bei den Partei-Pressemitteilungen und in den Medien nicht mehr erwähnt wird, daran ist man ja mittlerweile gewöhnt. Dass es hier keine Rolle spielt, ist aber unverständlich. Immerhin gabs ja von einer Soli-Kampagne eine durchaus zitierfähige PM:
https://www.sachsens-demokratie.net/2013/04/23/landgericht-funkzellenabfrage-im-%C2%A7129-verfahren-rechtswidrig/
Darin wird zudem klar gemacht, dass eben nicht die einzelne FZA das Problem ist, sondern das §129-Verahren, dass als Türöffner für allerhand strafprozessuale Maßnahmen hergenommen wurde und weiterhin wird. Wer also die FZA angreifen will, muss sich mal eingehender mit dem Verfahren und dem §129 auseinandersetzen. Das Urteil selbst wird solche FZAs in Zukunft jedenfalls nicht verhindern. Die Ignoranz gegenüber dem §129 hat auch immer ein wenig Beigeschmack von Entsolidarisierung…