Dynamo Dresden zwischen Wahrnehmung und Realität
7. März 2012 - 22:54 Uhr - Eine Ergänzung
Mehrere Monate nach der Niederlage im DFB-Pokal gegen den amtierenden Deutschen Meister Borussia Dortmund und einer bis dato nicht gekannten Medienschelte für den Verein und seine Anhängerschaft, fand gestern in den Räumlichkeiten des 2009 neu eröffneten Rudolf-Harbig-Stadions eine Veranstaltung zum Thema „Zwischen Wahrnehmung und Realität – Der Verein SG Dynamo Dresden und seine Fans“ statt. Ermöglicht wurde der vom Dresdner Fanprojekt e.V. organisierte Tag durch die Spende des FC St. Pauli nach dem selbst auferlegten Verzicht auf Gästekarten im November vergangenen Jahres. Fanprojektleiter Torsten Rudolph wertete die Spende „als vorbildhaften Fingerzeig des FC St. Pauli“, sich einer „deutschlandweit gut funktionierenden Struktur der sozialpädagogischen Arbeit“ zu bedienen.
Insgesamt rund 100 Fans und Interessierte nahmen das Angebot an und diskutierten unter der Leitung des Journalisten Christoph Ruf nach mehreren Eingangsreferaten vor allem über die mediale Berichterstattung im Anschluss an das Spiel in Dortmund. Dem MDR-Moderator Eik Galley kam, nachdem Wolf-Dieter Poschmann seine Teilnahme zuvor abgesagt hatte, die undankbare Aufgabe zu, seine Sicht auf die Funktions- und Arbeitsweise der Medien als vierte Gewalt im Staat zu erklären. In seinem Eingangsreferat verwies er mehrfach auf die nicht unwesentliche Darstellung, dass es sich bei den Medien wie auch bei der Fanszene nicht um eine homogene Masse handelt, sondern dass es sowohl vor als auch nach dem Dortmund-Spiel durchaus auch eine differenzierte Berichterstattung gegeben hat. Letztlich funktionieren Medien jedoch nach den automatischen Gesetzen des Marktes und so seien die Schlagzeilen nur eine Reaktion auf die Aktionen der Fans gewesen. Galley erinnerte in seiner Funktion als Sportjournalist auch daran, dass Reporter bei ihrer Arbeit eine kritische Distanz zu Vereinen brauchen und Dynamo dennoch in den letzten Jahren die meiste Sendezeit aller ostdeutschen Fußballmannschaften bekommen hatte.
Wenig Kritik gab es an diesem Tag an der Berufungsentscheidung des DFB-Bundesgerichtes, welche in großen Teilen der Dresdner Fanszene als „Schandurteil“ kritisiert und die Medien damit zumindest mitverantwortlich gemacht worden waren. So wurde im Februar das erstinstanzliche Urteil wieder aufgehoben, welches einen Ausschluss von Dynamo aus sämtlichen Pokalwettbewerben des Deutschen Fußballbundes vorgesehen hatte. In der Berufungsverhandlung wurde der Verein schließlich zu einer Geldstrafe von 100.000 Euro, einem Auswärtsfanverbot bei Eintracht Frankfurt und einem Geisterspiel am kommenden Sonntag gegen Ingolstadt verurteilt. Die Sportfunktionäre, die am Beispiel der DFB-Sportgerichtsbarkeit zugleich Kläger sind, bezeichneten die Entscheidung als „letzte Warnung“ und kündigten damit indirekt im Wiederholungsfall eine erneute Debatte über einen Ausschluss an. Erstaunlicherweise hatte die Frankfurter Eintracht schon am Tag vor den knapp sechstündigen Beratungen den Verkauf von Karten für das Spiel bereits eingestellt. Dynamo gilt als Wiederholungstäter, seit 2002 gab es insgesamt 28 Urteile gegen den Verein aus der sächsischen Landeshauptstadt.
Dresdens Präsident kritisierte die verschuldensunabhängige Haftung und kündigte eine Initiative an, wonach das Hausrecht bei Spielen mit hohem Konfliktpotential in Zukunft temporär an den Gastverein übertragen werden kann. Im Fall von Dortmund war das Verfahren gegen den gastgebenden Verein gegen die Zahlung einer Geldstrafe von 8.000 Euro eingestellt worden. Der Dresdner Verein hatte den Dortmunder Verantwortlichen im Nachgang vorgeworfen, auf keine der zuvor gemachten Vorschläge eingegangen zu sein. Die von der Fangemeinschaft schon vor etlichen Jahren gemeinsam mit der Geschäftsführung verabschiedete und mittlerweile von 50 der 140 offiziellen Fanclubs unterzeichnete so genannte Fancharta beinhaltet Regeln und Normen, wonach sich beispielsweise der Verein SG Dynamo Dresden e.V. und seine Fans aktiv gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aussprechen. Vorfälle wie zuletzt nach dem Auswärtsspiel in Bochum sollten den Anhängerinnen und Anhängern von Dynamo klarmachen, dass sie damit nicht nur das Bild des Vereins in der Öffentlichkeit dauerhaft schädigen und die jahrelange Arbeit von Faninitiativen vor Probleme stellen, sondern auch den Erfolg einer multikulturellen Mannschaft ad absurdum führen.
Dynamos Vereinspräsident Andreas Ritter erinnerte noch einmal an die selbst getroffenen Maßnahmen direkt nach dem Spiel. Darin hatte sich der Verein aufgrund der Ereignisse aus der Kampagne für die Legalisierung von Pyrotechnik wieder zurückgezogen und seinen Fans keine Tickets für das Spiel der Dresdner beim FC St. Pauli verkauft. Gleichzeitig wurde vom Verein eine zweite Vollzeitstelle im Bereich Fan- und Mitgliederbetreuung geschaffen, um damit nach eigenen Angaben “die Zusammenarbeit mit den eigenen Fans weiter zu optimieren”. Die DFB-Gerichtsbarkeit unter dem Vorsitz von Götz Eilers zeigte sich dennoch uneinsichtig und verurteilte den Verein zu einer 3-Punkte-Strafe, die sowohl normale und reisefreudige Fans, als auch den Verein treffen soll.
Bei allen Beteiligten herrschte gestern eine weitgehende Einigkeit darüber, dass solche Strafen die Probleme in und um Fußballstadien nicht lösen können und die Ursachen wie so oft ganz woanders zu suchen sind. So sprach ausgerechnet Dresdens CDU-Ordnungsbürgermeister Detlef Sittel von der Gefahr einer Verdrängung und bewertete die personelle Kontiuität im Verein als wichtiges Signal dafür, die Arbeit auch in den nächsten Jahren gemeinsam fortzusetzen. Gewalttätiges Verhalten sei, so Sittel weiter, kein alleiniges Phänomen des Fußballs, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. In dem Zusammenhang erinnerte Dynamos Vereinspräsident Ritter an die von CDU und FDP beschlossenen zum Teil drastischen Kürzungen im Jugend- und Sozialbereich, die auch einen großen Teil der Dresdner Anhängerschaft betreffen, von denen Vereinsstudien zufolge fast 50% aus dem Umland von Dresden kommen. Die dadurch entstandenen Lücken müssen im zunehmenden Maße durch die Arbeit von freiwilligen Initiativen geschlossen werden, während zugleich chronisch unterfinanzierte Fanprojekte im milliardenschweren Fußballgeschäft immer wieder unter Druck gesetzt werden.
Obwohl sich die Situation vor allem in Dresdens Fanszene in den vergangenen Jahren stark verbesserte, hat das Urteil und die von vornherein zum Scheitern verurteilte Diskussion über Pyrotechnik deutlich gemacht, dass es nach wie vor scheinbar unüberwindbare Gräben zwischen Teilen der Fußballfans und Verantwortlichen des DFBs und der Polizei gibt. Dabei ging es in der von zahlreichen Ultragruppen initiierten Kampagne nie darum, eine vollständige Legalisierung zu erreichen, sondern eigene Interessen transparenter zu gestalten und den offenen Dialog zu suchen. Das Ergebnis des auch in der gestrigen Veranstaltung oft eingebrachten Vorschlags einer „Diskussion auf Augenhöhe“ hat jedoch gezeigt, dass den Verantwortlichen oft nicht bewusst zu sein scheint, welchen Stellenwert der Fußball für viele der Jugendlichen im Stadion hat. Wohin diese Auseinandersetzung letztendlich geführt hat, zeigt sich aktuell allwöchentlich in zahlreichen Stadien der ersten und zweiten Liga. Die Reaktionen des DFB auf Vorkommnisse wie zuletzt beim Pokalspiel in Nürnberg sind ein Beleg dafür, dass der Verband zunehmend hilflos auf Vorfälle reagiert, die noch vor Jahren kein Problem gewesen sind.
Als Fazit bleibt der fromme Wunsch, dass sich Medien aber auch die Verantwortlichen in Politik und Verbänden in Zukunft etwas mehr mit den Beweggründen und Aktionen der Fanszene beschäftigen und Fankultur endlich als das begreifen was sie ist, ein wesentlicher Bestandteil des modernen Eventfußballs. Auch und gerade in der sehr lebendigen Fanszene von Dynamo gibt es durchaus auch vielfältige Aktionen abseits des Spielgeschehens, bei denen es wert ist, einen Blick zu riskieren. Doch dazu bedarf es einer noch stärkeren Einbindung von Fußballfans in die Arbeit der Vereine, denn letztlich sind es nicht nur die Spieler auf dem Platz, die das Spiel für viele der Besucherinnen und Besucher von Stadien interessant machen, sondern auch die Choreographien der Ultras in denen vor allem Kreativität und nicht Gewalt zum Ausdruck gebracht wird. Ein Vertreter der Dresdner Ultras verwies dazu auf die bewußte Wahrnehmung der Eigenverantwortung innerhalb der eigenen Szene und die an dem Tag oft angesprochene Selbstregulierung innerhalb der Fanszenen, die oft nur nicht für die Öffentlichkeit wahrnehmbar sei.
Leider verpasste es die Veranstaltung, sich genauer mit der exponierten Stellung des DFB und der DFL zu beschäftigen. Denn gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen bedeutet im Fall von Dynamo eben nicht nur, willkürlich Urteile auszusprechen, sondern darüber hinaus auch die jahrelange oft ehrenamtlich geleistete Arbeit im Verein anzuerkennen und, Bezug nehmend auf das Thema der Veranstaltung, damit etwas an der Wahrnehmung von Dynamo Dresden außerhalb der Fanszene nachhaltig zu verändern. Ob das mit dem harten Urteil erreicht worden ist, steht dabei zumindest in Frage. Die Antwort der Dresdner Anhängerinnen und Anhänger lies jedenfalls nicht lange auf sich warten. Für das Geisterspiel am kommenden Sonntag verkaufte der Verein in Anlehnung an eine Aktion von Hansa Rostock bisher mehr als 17.000 Eintrittskarten, einmal mehr ein Beleg dafür, dass die Fans dem Verein trotz Kritik an dessen Erwartungshaltung auch in Krisenzeiten den Rücken stärken.
Veröffentlicht am 7. März 2012 um 22:54 Uhr von Redaktion in Freiräume, Kultur