Ausgangsbeschränkungen in Dresden – OB Hilbert kommuniziert in der Coronakrise mit Bevölkerung per PDF
22. März 2020 - 21:20 Uhr
Überraschend und ohne öffentliche Kommunikation veröffentlichte die Stadt Dresden im Namen von Oberbürgermeister Dirk Hilbert am frühen Freitagabend eine sogenannte Allgemeinverfügung, welche einer Ausgangssperre gleich kommt. Der Oberbürgermeister, welcher in der Corona-Krise nur hinter den Paywalls lokaler Zeitungen mit der Dresdner Bevölkerung kommuniziert hatte, verschärft darin die erst zwei Tage zuvor vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS) erlassene Verfügung um weitreichende Ausgangsbeschränkungen.
Bereits am Freitagnachmittag hatte die Sächsische Landesregierung in einer öffentlichen Videopressekonferenz die erst am 18. März erlassene Allgemeinverfügung anlässlich der Corona-Pandemie ausgedehnt. Die seit dem 22. März 0 Uhr geltenden Änderungen sahen ein Verbot von Menschenansammlungen im gesamten Freistaat vor, was am Sonntag noch einmal um eine generelle Ausgangsbeschränkung erweitert wurde. Rechtliche Grundlage für das Außerkraftsetzen von Grundrechten ist das bereits 2001 in Kraft getretene Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Ohne vorherige Rücksprache mit den gewählten Mitgliedern des Dresdner Stadtrats oder einer zuvor erfolgten öffentlichen Kommunikation verkündete die Stadt Dresden am Freitag auf ihrer Internetseite eine „Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt Dresden über Ausgangsbeschränkungen sowie über die Einschränkung der Besuchsrechte in Krankenhäusern und vergleichbaren Einrichtungen zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2“, welche schon ab 0 Uhr des Folgetages in Kraft trat. Die mit umfassenden Einschränkungen des Alltags verbundene Allgemeinverfügung gilt vorerst bis zum 5. April um 0 Uhr.
Bei vielen Menschen sorgte vor allem die Art der Kommunikation von grundrechtseinschränkenden Maßnahmen für Irritationen. Begründet wurden die als alternativlos verkauften drastischen Einschränkungen mit Menschenansammlungen in Parks, an den Elbwiesen und einem „unsolidarischen Verhalten“. Tatsächlich verbrachten in der vergangenen Woche viele Menschen die ersten warmen Frühlingstage im Freien und vereinzelt auch in Gruppen. Zwar wirkte dieses Verhalten angesichts der aktuell für viele Menschen schwer einzuschätzenden Gesamtsituation vielfach unsensibel, dennoch fehlte es im Vorfeld an öffentlichen Erklärungen und einer klaren Kommunikation über die Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen von Seiten der politisch Verantwortlichen in der Stadt.
Während in anderen Städten die Oberbürgermeister:innen mit wiederholten Videoansprachen an die Bevölkerung um eine klare und transparente Kommunikation bemüht waren und ihre Maßnahmen vor einer breiten Öffentlichkeit erläuterten und erklärten, gab Oberbürgermeister Hilbert in der letzten Woche lediglich Exklusivinterviews für Lokalzeitungen. Umso skandalöser wirkt der Erlass der Allgemeinverfügung in Dresden, selbst Stadtratsabgeordnete waren von der Maßnahme überrascht worden. Seit Samstag ist nun in Dresden das Verlassen der eigenen Häuslichkeit ohne triftige Gründe, „die gegenüber der Polizei, dem Gemeindlichen Vollzugsdienst sowie dem Gesundheitsamt und anderen mit dem Vollzug dieser Verfügung betrauten Stellen, bei Aufforderung glaubhaft zu machen sind“, untersagt.
Triftige Gründe die eigene Häuslichkeit zu verlassen
Ein triftiger Grund ist z.B. die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum. Das heißt, u.a. ein Brandfall oder ein medizinischer Notfall. Weiterhin dürfen alle Menschen ihrer beruflicher Tätigkeiten nachgehen und ihre Kinder in die „Unterbringung von Minderjährigen in der Notbetreuung“ bringen. Eine Inanspruchnahme medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen (z.B. Arztbesuch, medizinische Behandlungen; Blutspenden sind ausdrücklich erlaubt) sowie der Besuch bei Angehörigen akademischer Heilberufe und Gesundheitsfachberufe, soweit dies medizinisch dringend erforderlich ist (z.B. Psycho- und Physiotherapeuten).
Ebenfalls erlaubt bleiben Versorgungsgänge für die Gegenstände des täglichen Bedarfs (z.B. Einzelhandel für Lebensmittel, Getränkemärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Tankstellen, Banken und Sparkassen, Poststellen, Reinigungen, Waschsalons, der Zeitungsverkauf, Tierbedarfsmärkte und der Großhandel).
Der Besuch bei Lebenspartner:innen, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen (außerhalb von Einrichtungen) ist ebenso wie die Wahrnehmung des Sorgerechts im jeweiligen privaten Bereich gegenüber den Ordnungsbehörden ein triftiger Grund. Wichtig für die Umsetzung der auch in Dresden zahlreichen Nachbar:innenschaftsnetzwerke: Die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Menschen bleibt erlaubt. Private Schicksalsschläge wie die Begleitung Sterbender sowie Beerdigungen im engsten Familienkreis mit maximal 15 Teilnehmenden dürfen ebenfalls stattfinden. Gerade bei schönem Wetter ist auch Sport und Bewegung an der frischen Luft gestattet. Darunter fallen auch Joggen und Spaziergänge. Allerdings ausschließlich allein oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes (WG und Familie) und ohne jede sonstige Gruppenbildung größer als fünf Personen. Sogenannte Handlungen zur Versorgung von Tieren, also Gassigehen etc. sind ebenfalls nicht eingeschränkt.
Die plötzlichen Ausgangsbeschränkungen zeigen, dass in Zeiten der Krise sowohl Dresdens Oberbürgermeister Hilbert als auch die Ordnungskräfte von Polizei und Polizeibehörde weniger auf Kommunikation und Transparenz setzen, sondern auf autoritäre Maßnahmen. Die vielbeschworene Solidarität hört auf, wenn es um wohnungslose, sozial benachteiligte und geflüchtete Menschen geht. Jene Menschen, welche über keine Rückzugsmöglichkeiten verfügen, sondern häufig auf engem Raum zusammenleben müssen, treffen diese Ausgangsbeschränkungen besonders hart. Vorgelebtes solidarisches Handeln der Stadt und des Oberbürgermeisters würde bedeuten, diesen Menschen konkrete Angebote zu machen. Eine professionelle und transparente Krisenkommunikation, welche offensiv die Ansprache an die Bevölkerung sucht, lässt der Oberbürgermeister in dieser Zeit vermissen. Es scheint ganz so als würde sich Hilbert der Kommunikation völlig entziehen, um dem Krisenstab und der Verwaltung den Vortritt zu lassen.
Bildquelle: https://twitter.com/Kampfmops1/status/1241742207708811264/photo/3
Veröffentlicht am 22. März 2020 um 21:20 Uhr von Redaktion in Freiräume, Soziales