Aus den Augen aus dem Sinn: Obdachlose sollen nach Klotzsche umziehen
20. August 2019 - 17:18 Uhr
Mehrere Menschen mit Handicap sollen in den nächsten Tagen aus der Obdachlosenunterkunft Hubertusstraße in Pieschen zur Wetterwarte nach Klotzsche umziehen. Dagegen machen die Betroffenen jetzt mobil. Am Montagmorgen protestierten mehrere Aktivistinnen und Aktivisten gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Obdachlosenunterkunft gegen deren Zwangsumzug. Zeitweise wurde dabei auch ein Umzugsauto blockiert. Bisher kündigt sich keine Entspannung der Lage an.
René K. hat sich mit zu den Protestierenden gesellt, die auf einer großen Decke Frühstück ausgebreitet haben. K. ist Bewohner des Obdachlosenunterkunft in der Hubertusstraße. Er erzählt den zumeist jungen Menschen, was in den letzten Tagen geschehen ist. Auch wenn er ruhig spricht, merkt man sein Angespanntheit bei dem Thema. „Drinne ist die Stimmung noch angespannter. Die wissen gar nicht, was jetzt mit ihnen passiert“, so René K. aufgebracht. Nach eigenen Aussagen hat K. als einziger eine offizielle Aufforderung bekommen, die Unterkunft an der Hubertusstraße zu verlassen und sich an der Wetterwarte in Klotzsche einzufinden. Das Schreiben konnte von uns eingesehen werden. Darüber hinaus soll eine Liste existieren, auf der Personen stehen, die das neue Objekt in Klotzsche künftig beziehen sollen.
In einer Pressemitteilung informierte Dresdens Sozialbürgermeisterin Kristin Klaudia Kaufmann (Die Linke) bereits 2017 über die Pläne, eine neue Obdachlosenunterkunft auf der Wetterwarte in Klotzsche zu bauen. Begründet wurde das Vorhaben damit, dass der Platzbedarf innerhalb der letzten Jahre um 20 Prozent angestiegen sei. „Es gilt, die Notfallinfrastruktur behutsam dem Bedarf anzupassen“, so Kaufmann. Vormals war das Objekt als Flüchtlingsunterkunft geplant. Da die Kapazitäten für Geflüchtete ausreichten, wurde das Vorhaben nie verwirklicht. „Die dezentrale Lage des Objekts bietet sich dafür an“, so die Sozialbürgermeisterin zur Wahl des Gebäudes für die Umbaupläne. Die Bewohnerinnen und Bewohner sollen ihren Alltag möglichst selbstbestimmt gestalten können, wird in der Pressemitteilung angeführt. „Das wird nur mit viel Geduld, Schritt für Schritt, und mit guter Netzwerkarbeit gelingen. Wir setzen deshalb auf einen Betreiber mit starken Partnern in der Region“, kündigte Kaufmann weiter an.
An diesen Aussagen üben die Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkunft Kritik. Für sie kann das neue Objekt keine Teilhabe an der Gesellschaft gewährleisten. „Der Ort liegt am Stadtrand. Es gibt keine Einkaufsmöglichkeiten in näherer Umgebung und die Anbindung an den Nahverkehr ist fast nicht gegeben“, schildert René K.. Weiter wirft er der Stadt vor: „Nach dem Motto: aus den Augen aus dem Sinn – raus aus der Gesellschaft, sollen wir an unserer Partizipation an der Gesellschaft gehindert werden.“ Besonders für Menschen mit Orientierungsschwierigkeiten könnte die Lage direkt am Wald zu Problemen führen. René befürchtet, dass es nicht lange dauern wird, bis Menschen sich im Wald verirren würden. Besonders skandalös findet er, dass es bereits vor längerer Zeit bei den Bewohnerinnen und Bewohnern eine Umfrage gab, bei der sich ein Großteil gegen den Umzug ausgesprochen hatte. Er selber spricht von den Maßnahmen nur als Zwangsumsiedlung.
In einer Stellungnahme verteidigte das Sozialamt am Dienstagmorgen das Vorhaben. Zum einen habe „der Stadtrat am 20. September 2018 das Wohnungsnotfallhilfekonzept beschlossen. Dieses sieht unter anderem zur Verbesserung der Unterbringung von wohnungslosen Menschen eine stärkere Profilierung von Einrichtungen (s. Maßnahme B.1) und die Schaffung einer Motivationseinrichtung (s. Maßnahme B.2, Objekt Zur Wetterwarte 34) vor“. Zum anderen sollen die auf der Hubertusstraße frei werdenden Plätze wohl mit Bewohnerinnen und Bewohnern des Übergangswohnheims am Emerich-Ambros-Ufer 59 gefüllt werden. Die Sanierung dieses Objektes steht zeitnah an. Auch zu den Vorwürfen der mangelnden Kommunikation äußerte sich die Behörde insoweit, als dass sie berechtigt sei, Personen ein Übergangswohnheim zuzuweisen. „Ein Rechtsanspruch auf Aufnahme oder dauerhaften Verbleib in einer bestimmten Einrichtung oder in Räume bestimmter Art und Größe besteht nicht“, führt das Sozialamt in seiner Pressemitteilung aus. Die Leiterin der Behörde machte sich am Dienstagmorgen einen Überblick über die Situation vor Ort.
Unterstützung erhalten die Betroffenen auch von Mitgliedern der Linkspartei. Die Direktkandidatin für den Wahlkreis 3 Uta Gensichen brachte am frühen Montagmorgen Kaffee zum Protestfrühstück. Die 38-Jährige will sich solidarisch zeigen und freut über die vielen Aktiven um früh am Morgen: „Ich finde es einfach toll, dass so viele Menschen sich um die frühe Uhrzeit eingefunden haben. Ich finde es ist wichtig, auch spektrenübergreifend Sachen miteinander zu machen, anstatt sich immer gegeneinander zu bekämpfen!“ Auch zum Umgang des Sozialamtes mit den Betroffenen äußerte sich Gensichen gegenüber addn.me und wünscht sich eine andere Herangehensweise der Behörde: „Dass nicht einfach über ihren Kopf hinweg entschieden wird, wo sie hinkommen und wo nicht. Zum Teil auch, nachdem sie mehrere Jahren in dieser Unterkunft gewohnt haben. Das geht gar nicht. Deswegen muss mindestens mit ihnen gesprochen werden, wie es weiter geht.“ Mit dem Versprechen, weiter Öffentlichkeit zu schaffen und in der Partei Werbung für das Anliegen der Betroffenen zu machen, verabschiedete sich die Politikerin von den Betroffenen.
Auch René K. wünscht sich, dass weiterhin Aktivistinnen und Aktivisten das Anliegen unterstützen. „Solidarität mit Menschen, die zu sogenannten Randgruppen gehören ist dringend notwendig. Wir wollen die Möglichkeit bekommen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.“ Er selbst hat anwaltlichen Beistand, um auch auf juristischem Weg gegen die geplante Umsiedlung vorzugehen. Nach jetzigem Stand konnte der Rechtsanwalt einen vorläufigen Umzugsstopp am hiesigen Verwaltungsgericht erwirken.
Bis zum späten Nachmittag waren immer noch Protestierende an der Hubertusstraße vor Ort. Das Sozialamt hat angekündigt, dass die ersten Umzüge frühesten am Mittwoch stattfinden sollen. Die Aktivistinnen und Aktivisten haben für diesen Zeitpunkt bereits eine Kundgebung vor dem Haus angemeldet. „Wir werden vor Ort sein, wenn das Sozialamt den Umzug durchführen will und die Maßnahme kritisch begleiten“, so eine Anwesende. Weiter führt die Aktivistin aus: „Die positiven Reaktionen der Bewohnerinnen und Bewohner haben uns gezeigt, dass es dringend notwendig ist, ihnen weiterhin zu zeigen, dass sie nicht allein gelassen werden.“
Titelbild: flickr.com/photos/76469079@N07/8484045654
Veröffentlicht am 20. August 2019 um 17:18 Uhr von Redaktion in Freiräume, Soziales