Patriarciao – Aktion zum Save Abortion Day in Dresden
7. Oktober 2020 - 17:16 Uhr
Am 28. September protestierte die feministische Gruppe e*vibes vor dem Kaleb-Zentrum Dresden und dem Diakonissenkrankenhaus. Anlass war der Aktionstag „Save Abortion Day“, an dem internationale Akteur:innen mit unterschiedlichen Aktionen für das Recht auf Abtreibung aufmerksam machten und auf Bundesebene u.A. die Abschaffung des §218 StGB und eine sichere Versorgungslage forderten. Besonders der Kaleb-Laden sieht sich seit ein paar Jahren wieder vermehrt feministischer Kritik ausgesetzt, da der Verein sich offen gegen Abtreibungen ausspricht und fundamentalistische Werte vertritt.
Am gleichen Tag wurde im „Büro für gute Maßnahmen“, einem neu gegründeten Ladenkollektiv in der Jordanstraße , von 14-22 Uhr in Dauerschleife den Dokumentarfilm “Maria, Christiane, Else, Karin, Lea, Lydia, Petra S., Petra W. und der Paragraph 218“ von Mara Schepsmeier gezeigt, der von unterschiedlichen Schwangerschaftsabbrüchen erzählt. Am Vortag veranstaltete e*vibes außerdem einen Diskussionszirkel zum Thema „Feministisch lesen – Abtreibungsedition“ und stand weiterdenken Rede und Antwort zu Fragen internationaler Abtreibungsgesetzgebungen.
Mit rund einem halben dutzend Aktivist:innen begab sich die Gruppe e*vibes am Montag morgen vor den Kaleb-Laden auf der Bautzner Straße 52 am Rande der Äußeren Neustadt. Sowohl vor dem Büro der an den Kaleb e.V. angegliederten Schwangerschaftsberatung, als auch vor der Kleiderkammer selbst verlas die Gruppe ihre politischen Forderungen und trug den Song „Patriarciao“ vor. Eine Umdichtung des bekannten Songs „Bella Ciao“, der aus der italienischen Arbeiter:innenbewegung stammt. In dem Lied thematisiert die Gruppe u.A. das Recht auf körperliche und reproduktive Selbstbestimmung. Dieses Recht nicht zu wahren, werfen die Aktivist:innen unter anderen dem Verein vor.
Schon vor den 1990er Jahren hätte sich der Verein gegen das in Teilen liberale Abtreibungsgesetz der DDR eingesetzt, berichtete eine Aktivistin im Anschluss an die Aktion. „Auch heute noch sind sie aktiv in diesem Bereich. Der Name bedeutet ‚Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren‘, das sagt eigentlich schon alles aus“. Ziel des Vereins sei es, insbesondere ungeborenes Leben zu schützen. So würden keine Beratungsscheine ausgestellt und Schwangerschaftsberatung teilweise manipulativ geführt, erklärte die Aktivistin gegenüber addn.me. „Bei all den guten Projekten, die der Verein macht, wie die Unterstützung von Familien, Menschen mit Kindern oder der Kleiderkammer, schwingt leider bei allen der fundamentalistische Gedanke mit. Das ungeborene Leben steht immer vor den Bedürfnissen der schwangeren Person. Dazu kommt ein sehr traditionelles Familienbild“, schließt die Aktivistin ihre Kritik an dem Laden ab.
In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Aktionen gegen den Verein. Besonders im Vorfeld des sogenannten „Marsch fürs Leben“ war der Laden in Dresden in den Fokus feministischer Aktivist:innen geraten. Die Veranstaltung wird alljährlich in Annaberg-Buchholz abgehalten und von fundamentalistischen Freikirchen organisiert. Der Verein organisierte über etliche Jahre einen Bus zu der Veranstaltung, bei der jedes Jahr im Frühsommer mehrere hundert Menschen gegen Abtreibungen und körperliche Selbstbestimmung demonstrieren. Der Verein selbst hat mittlerweile in mehreren Städten Läden und steht fundamentalistischen Strömungen nahe. In der Selbstbezeichnung wird der Verein als Teil einer „christlichen Lebensrechtsvereinigung“ bezeichnet. Neben der Nähe zum konservativen Flügel der sächsischen CDU treten immer wieder Personen im Umfeld des Kaleb-Ladens auf, die u. A. in der neurechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ schreiben.
Vor dem Räumen des Vereins gab es einige positive Reaktion auf die Aktion. Einige Wartende kamen mit dem Aktivist:innen ins Gespräch und zeigten Interesse an den Inhalten der Gruppe. Dies sei auch das Anliegen gewesen, Personen „außerhalb der Bubble“ zu erreichen, so eine Aktivistin gegenüber addn.me, die das Angebot des Ladens nutzen weil sie darauf angewiesen sind, aber manchmal die Hintergründe des Vereins gar nicht kennen. Dabei gibt es lokale Alternativen, wie z.B. das Projekt Kinder Kleidung Austausch. Auf positive Rückmeldung stießen auch die Forderungen der Aktivist:innen: „Freier und legaler Zugang zu Abtreibungen. Kostenübernahme von Abtreibungen für alle Schwangeren die es benötigen – und nicht für nur Menschen mit deutschem Pass“.
Die Gruppe stelle jedoch nicht nur strukturelle und rechtliche Forderungen, merkte eine weitere Sprecherin an. „Abtreibungen müssen als möglicher Teil einer Biografie von Menschen, die schwanger werden können, gesamtgesellschaftlich akzeptiert werden. Außerdem nervt es, dass das Thema nur von eben diesen Menschen behandelt wird. Zur ungewollten Fortpflanzung gehören – wenigstens biologisch – (mindestens) zwei Menschen. Abtreibung geht alle an.“ Das, so die Aktivistin weiter, würde Menschen in dieser schwierigen Situation unterstützen und könnte dazu führen, dass offener über das Thema gesprochen wird. Da dies allerdings nicht passiere, müssten Menschen, die abtreiben, mit Falschinformationen, Moralkeulen, Stigmatisierung und Tabuisierung klarkommen.
Um der Tabuisierung entgegenzuwirken und Abtreibung als Alltagsphänomen sichtbar zu machen, wurde von der Gruppe eine Online-Kampagne gestartet: „Abtreibungegschichten„. „Menschen werden dafür ausgegrenzt, beschämt, verurteilt und bestraft. Es wird geschwiegen.“ heißt es auf der Seite der Gruppe zum Anlass für die Kampagne. Unter dem Motto „Let’s Break the Silence!“ können dort ungewollt Schwangere anonym von ihren Erfahrungen mit Schwangerschaftsbrüchen berichten. Zusammengekommen sind bisher 18 Geschichten, die ganz unterschiedliche Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühle zum Thema schildern. Die Reihe wird fortlaufend erneuert. Vor allem am Safe Abortion Day nutzten andere Akteur:innen wie Pro Familia aus verschiedenen Städten die Geschichten, um für das Thema zu sensibilisieren. Die Gruppe freut sich über die Einsendung weiterer Geschichten.
Mit einem weiteren Onlineprojekt sind die Kritischen Mediziner:innen zum „Save Abortion Day“ an die Öffentlichkeit gegangen. Auf der Internetseite sammelt die Gruppe Informationen zu Schwangerschaftsbrüchen. „Leider sind die gesellschaftlichen Unterstützungs- und Informationssysteme noch nicht gut ausgeprägt. Wir denken, dass alle Menschen ein Recht auf den Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche haben sollten“, erklärte die Gruppe gegenüber addn.me. Auch e*vibes bietet auf ihrer Internetseite einen Überblick über Schwangerschaftsberatungsstellen und Kliniken, in denen Abtreibungen vorgenommen werden.
Veröffentlicht am 7. Oktober 2020 um 17:16 Uhr von Redaktion in Feminismus